„Je ne suis pas Spiegel“, oder was?

Ich weiß nicht, ob es an der (verlorengegangenen?) Strahlkraft des „Spiegel“ liegt oder an der (nicht vorhandenen?) Spontanität der karikierenden Kollegen. Jedenfalls brachte ein Zeichen-Aufruf der Hamburger offenbar nicht die gewünschte Resonanz. Am Abend des nach wie vor unbegreiflichen 7. Januars bin ich in einer (in solchen Fällen durchaus zulässigen) Sammelmail gefragt worden, ob ich bereit wäre, eine Zeichnung anzufertigen:

„(…) Wir im Kultur-Ressort bei Spiegel Online haben darüber nachgedacht, eine kreative Form der Würdigung gegenüber den getöteten Karikaturisten in Paris vorzunehmen. Könnten Sie sich vorstellen, solch eine Würdigung zu zeichnen? (…)“

Gewünscht war die Antwort möglichst schnell, am besten bis zum Morgen des nächsten Tages, also bis gestern. Wirkte so, als ob das Ganze unentgeltlich geschehen sollte – auch das empfinde ich in einer solchen Situation als durchaus legitim. Ich also den Zeichenstift gezückt und folgende Karikatur zu Papier gebracht:

Charlie-Hebdo-Karikatur_klein

Am nächsten Morgen erhielt ich die Info, dass unklar sei, ob die Geschichte stattfinden könne, weil bis dato nur zwei (!) Karikaturisten reagiert hätten. OK – nicht wirklich viele. Am Abend des selben Donnerstages schien sich die Zahl aber erhöht zu haben, denn wieder bekam ich eine redaktionelle Anfrage – dieses Mal an mich persönlich gerichtet. Man bat mich …

„(…) noch um eine kurze Stellungnahme (3 Sätze) zu der Hinrichtung der Karikaturisten in Paris. Sie könnten einfach kurz Ihre Gedanken aufschreiben (…)“

Machte ich selbstverständlich ebenfalls gern und versprach, bis heute (9.1.) Morgen 9.00 Uhr zu liefern, was ich dann auch tat. Auf Nachfrage erfuhr ich am Nachmittag aber, dass leider zu wenige Karikaturisten gewonnen werden konnten und die Geschichte damit endgültig platzte. Na sag mal: Was’n das?! Nicht mal eine Handvoll Zeichner? Mir ist zwar aufgefallen, dass in den vergangenen Tagen überwiegend Arbeiten aus Frankreich, Spanien oder den Niederlanden und ganz wenig heimische Kollegen in den Galerien der Gazetten gelistet waren. Aber dass eine solche Aktion von Deutschlands furchtlosestem Nachrichtenmagazins einfach so verpufft, hat mich dann doch gewundert. Nun gut, wie auch immer. Weil ich die Gedanken nicht umsonst aufgeschrieben haben will, veröffentliche ich sie jetzt einfach an dieser Stelle:

„Du erfährst von dem Unfassbaren durchs Radio. Als Hörer sagst du „Oh mein Gott!“, als Verleger „Oh mein Gott!“ und als Karikaturist fehlen dir einfach nur die Worte. Aber nicht die Bilder. Denn du weißt: Am trefflichsten kannst du mit dem Zeichenstift reagieren. Je monströser eine Situation, desto plakativer und pointierter sind die Möglichkeiten, sie zu verarbeiten. Und obwohl jeder Zeichner selbstverständlich über die toten Kollegen trauert, wird er sich irgendwie auch freuen, dass jetzt der Öffentlichkeit bewusst wird, welche Kraft in einem überlegten Strich steckt. Ein Foto kann nur abbilden, was war oder ist – eine Zeichnung auch, was sein könnte oder sogar, wie es sein wird. Damit ist sie mächtiger. Die Karikatur kreiert eine Welt, die überzeugender als die Wirklichkeit sein kann. Sie motiviert, inspiriert und kommentiert. Mitunter kann sie auch trösten. Und das global verständlich, wie viele grandiose Arbeiten beweisen, die jetzt entstanden sind. Damit verursachen Karikaturen nicht nur Kopf-, sondern auch Bauch- und Herzkino. Erkennt das endlich, liebe Publisher, und greift wieder vermehrt auf dieses wunderbare Stilmittel zurück, das nicht sterben darf!“

Ende der Geschichte. Ach nee, nicht ganz. Nachdem ich auf Twitter ja erwähnt hatte, dass jeder ungefragt diese Karikatur nehmen und verbreiten, drucken, etc. kann, kam die „Bild“ heute offensichtlich auf dieses Angebot zurück:

Bild

Auf meinen Vorschlag, mir die Originalzeichnung abzukaufen, damit ich das Geld an „Charlie Hebdo“ weiterleiten kann, haben die Berliner bisher allerdings noch nicht reagiert …

(Bulo) Illus/Foto: Bulo