Wize.life-Chef Bily: Offener Brief an Heiko Maas

In die gerade tobende Dikussion um Fake-Inhalte und Regulierung der sozialen Medien mischt sich Wize.life-Geschäftsführer Thomas Bily, das frühere „Seniorbook“, mit ein. Er fordert in einem offenen Brief an Bundesjustizminister Heiko Maas, die Gesetze zu ändern und den Durchgriff in der Strafverfolgung sicherzustellen. Betreiber deutscher Netzwerke, die sich an deutsches Gesetz halten, solle aber keine Zensuraufgabe untergeschoben werden, die diese de jure nicht lösen können. Maas drohte Facebook Mitte Dezember Bußgelder an, wenn Hassbotschaften nicht gelöscht werden.

Thomas Bilys Brief an Heiko Maas im Wortlaut

Sehr geehrter Herr Bundesminister Maas­­­,

immer häufiger wird aus Politik, Medien und Verbänden die Forderung laut, Betreiber sozialer Netzwerke stärker in die Verantwortung zu nehmen für Posts mit rassistischen, fremdenfeindlichen Inhalten und für die Verbreitung von „Teilwahrheiten“. Namhafte Printmedien und TV-Formate kritisieren den Einfluss sozialer Medien auf die öffentliche Meinungsbildung. Es wird beklagt, dass immer mehr Menschen auf einseitige und falsche Informationen aus sozialen Medien zurückgriffen. Gleichzeitig wird ein Verlust der Glaubwürdigkeit in der Medienberichterstattung konstatiert. „Postfaktisch“ wurde zum internationalen Wort des Jahres 2016 gewählt. Der Begriff beschreibt, dass die öffentliche Meinung immer weniger durch objektive Tatsachen als durch eine Mischung aus Gefühlen und persönlichen Überzeugungen geprägt werde.

Als Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz haben Sie eine führende Stimme in dieser Diskussion. Als Gründer des in Deutschland ansässigen sozialen Netzwerks wize.life erlaube ich mir, Ihnen unsere Erfahrung aus der Praxis darzustellen. wize.life zählt rund 4,5 Millionen Visits pro Monat und hat eine sehr engagierte Community – vor allem in gesellschaftlichen und politischen Fragen. Die meisten Nutzer sind zwischen Ende 40 und Anfang 70, also Leute mit reichlich Lebenserfahrung. Die Kommunikation wird geregelt nach Nutzungsbedingungen sowie geltenden gesetzlichen Regelungen zum Datenschutz und TMG.

Pro Monat zählt wize.life Millionen von Veröffentlichungen in Form von Beiträgen, Notizen, Kommentaren oder Nachrichten. Veröffentlichungen, die gegen die Nutzungsbedingungen oder Gesetze verstoßen, so auch extremistische und fremdenfeindliche Äußerungen, können durch Nutzer gemeldet werden. Automatismen und ein Support-Team bearbeiten diese Meldungen zeitnah. Von Januar bis November 2016 wurden 32.327 Verstösse gemeldet, knapp die Hälfte davon bestätigt und die Inhalte gelöscht. Entscheidungen bei Verstößen nicht immer trennscharf. Kritisch sind vor allem die Randbereiche. Jeder User hat andere Vorstellungen davon, was noch hoffähig und legal ist. Die einen fordern Löschung, die anderen berufen sich auf Meinungsfreiheit.

Fakt ist, dass die anstößigen Veröffentlichungen weniger als 1% der gesamten Kommunikation ausmachen. Und davon wiederum rührt ein großer Teil von Wiederholungstätern, die immer wieder Hetzparolen und Hasstiraden posten – geschützt durch die Anonymität des Internets und das deutsche Telemediengesetz, das eine Strafverfolgung praktisch unmöglich macht.

Mit der aktuell wieder aufflammenden Forderung nach Regulierung der sozialen Medien drängen Sie die Betreiber sozialer Netzwerke in eine Rolle als Zensurorgan. Wohlwissend, dass diese dem Gesetz nach nicht für fremde Inhalte ihrer Nutzer haften und nicht verpflichtet sind, Inhalte zu überwachen und zu überprüfen. Nur bei Kenntnis muss eine Überprüfung stattfinden. Es ist sogar so, dass wir Betreiber diese Inhalte nicht ohne weiteres überprüfen dürfen, weil dies bedeuten könnte, dass wir uns diese zu eigen machten. Und selbst wenn wir dürften: Wie stellen Sie sich die Überprüfung von Meldungen auf Wahrheitsgehalt oder Vollständigkeit vor? Wir erleben täglich, dass dies nicht einmal traditionellen Medien durchgängig gelingt. Sollen Betreiber sozialer Netzwerke nach Gutdünken Beiträge, welche sie für „verdächtig“ erachten, aussortieren oder kennzeichnen? Wer definiert fallweise die Grenzen der Meinungsfreiheit?

Selbst bei unstrittigen Verstößen – wie extremistischen Posts – steht die Anonymität im Netz einer konsequenten Durchsetzung von Nutzungsbedingungen bis hin zu einer strafrechtlichen Verfolgung im Wege. Denn das Gesetz verbietet eine Verpflichtung der Nutzer zur Anmeldung mit Klarnamen. Also jagen wir Phantome – und zwar mit verbundenen Augen.

Es gibt etliche Fälle von Strafanzeigen wegen Beleidigung und massiver Verleumdung in sozialen Netzwerken, die von der Staatsanwaltschaft eingestellt wurden, selbst wenn der Täter ermittelt worden war. Auch renommierte Politiker, die Opfer von Hasstiraden wurden, können das bestätigen. Das erweckt den Eindruck, dass die Strafverfolgungsbehörden der wachsenden Zahl von Anzeigen wegen Beleidigung, Verleumdung und Verbreitung von Gewaltaufrufen nicht nachkommen, und an einer tatsächlichen Verfolgung kein gesteigertes Interesse besteht. Ein Polizist hat auf eine Strafanzeige eines Nutzers sinngemäß geantwortet, dass er Wichtigeres zu tun habe. Die Strafanzeige wegen massiver Beleidigung, Bedrohung und Verleumdung wurde von der Staatsanwaltschaft mit knapper Begründung eingestellt. Eine Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft war erfolglos. In vielen Fällen werden Anzeigeerstatter auf den Privatklageweg verwiesen.

So sieht der faktische Alltag beim Betrieb eines sozialen Netzwerks aus, sehr geehrter Herr Bundesminister. Wir verstehen, dass Sie sich den Applaus der Bevölkerung abholen wollen mit Ihren Forderungen. Aber bitte nicht, indem Sie Betreiber deutscher Netzwerke, die sich an deutsches Gesetz halten, eine Zensuraufgabe zuschieben, die diese de jure nicht lösen können. Ganz abgesehen von US-amerikanischen Netzwerken, auf die Sie aktuell keinerlei Weisungsrecht ausüben können.

Zum Vergleich: Von Betreibern sozialer Netzwerke erwarten Sie, dass sie in einer virtuellen Umgebung unmittelbar alle Verletzungen von Umgangsformen löschen. Wir sprechen über Veröffentlichungen von Usern, die anonym posten und vor Strafverfolgung gefeit sind. Und der deutschen Polizei gelingt es nicht einmal, vor Ort handelnde und damit greifbare Leute dingfest zu machen, die – wie am Tag der Deutschen Einheit 2016 in Dresden – ranghöchste Politiker unseres Landes beleidigen vor den Augen anderer Anwesender und vieler Zuschauer im Fernsehen.

Wenn Sie wollen, dass Betreiber sozialer Netzwerke Hetzer und Pöbler schnell stellen und zur Anklage bringen, müssen Sie die Gesetze ändern und den Durchgriff in der Strafverfolgung sicherstellen. Unter der aktuellen Gesetzeslage ist realistisches Ziel beim Betrieb eines sozialen Netzwerks, den Usern das Gefühl zu vermitteln, dass sie grundsätzlich sicher sind und dass sie bei Angriffen und Verstößen auf schnelle Hilfe zählen können. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Bily

Gründer von wize.life

Foto: BMJV/ Werner Schuering