Schon jemanden bestochen, Michael Kneissler?

Michael Kneissler, zuletzt Editorial Director bei Gruner + Jahr sowie Delius Klasing, lebt seit fast einem halben Jahr mit seiner Familie in Ecuador. Ein Anruf in Südamerika.

Von München nach Guayaquil. Was ist der auffälligste Unterschied?

Guayaquil ist doppelt so groß wie München, zehn Mal chaotischer und 365 Tage im Jahr schwül und heiß. Die Menschen hier sind so stolz und unbeugsam wie die Bayern, aber viel kleiner. Außerdem sprechen sie leider spanisch.

Das ist eine Hürde bei der journalistischen Arbeit.

Und wie! Aber ich lerne viel und verstehe jeden Tag mehr, außerdem habe ich eine tolle ecuadorianische Journalistin als Stringer, die perfekt englisch spricht, alle Termine für mich organisiert und bei den Recherchen übersetzt.

Was unterscheidet den Journalismus in Ecuador von dem in Deutschland?

Im Prinzip nichts. Es geht darum, ein Gespür für Themen zu haben und sich bei der Recherche nicht abwimmeln oder einschüchtern zu lassen. Wie in Deutschland ist hier niemand besonders scharf darauf, bei Problemen, Versagen, Betrug erwischt zu werden. Die Kolleginnen und Kollegen hier sind gut, mutig und hartnäckig.

Welches sind die Themen, über die Sie berichten?

Ich bin Journalist geworden, weil ich neugierig bin und mich alles interessiert. So gesehen ist Ecuador wie ein Paradies für mich: Überall exotische, skurrile, spannende, empörende Stories. Gerade schreibe ich für den Playboy über Kokain-Lieferungen nach Deutschland, für Profil in Österreich über einen von der FARC nach Kolumbien verschleppten Österreicher, für Annabelle in der Schweiz über die 1.400 Kilometer lange Pazifikküste und für Focus über den Kampf um die Rettung der Banane. Außerdem habe ich ja meine monatliche Kolumne „Live aus Ecuador“ bin Eltern Family. Und meine spanischen Kolumne „Neu in Guayaquil“ startet voraussichtlich in den nächsten Wochen in einer ecuadorianischen Tageszeitung. Die Themen gehen einem hier in Südamerika nicht aus. Außerdem muss ich auch noch zwei Bücher schreiben.

Sie haben Ihre Familie nach Ecuador mitgenommen?

Eigentlich war es umgekehrt. Meine Familie hat mich mitgenommen. Wir wollten neue Herausforderungen für die Beziehung, die Liebe, das Leben. Meine Frau bekam einen Job als Profesora an der deutschen Schule in Guayaquil angeboten. Und ich bin mitgegangen – das ist nur fair: Schließlich ist meine Frau vor ein paar Jahren auch mir gefolgt, als ich von München nach Hamburg zu Bauer Media ging.

Wie organisieren Sie Ihren Arbeitstag in Ecuador?

Ich stehe um 6 Uhr auf, dann ist es in Deutschland schon Mittag, und kommuniziere mit den Redaktionen dort. Ab 10 Uhr sind auch die ecuadorianischen Gesprächspartner fit und empfangsbereit. Von 14-16 Uhr gönnen wir uns den Luxus der Siesta. Und abends schreibe ich meine Stories.

Sie waren in Deutschland gut vernetzt, und in Ecuador?

Das war meine größte Befürchtung: Dass ich hier als freier Autor im Gegensatz zu meiner Familie, die ja zur Schule geht, sozial ziemlich isoliert bin. Das Gegenteil ist der Fall: Die Leute hier sind sehr offen und interessiert und ich habe schon einen kleinen und wie sich gezeigt hat einflussreichen Freundeskreis. Und es ist tatsächlich so, dass es hier ganz stark auf Beziehungen ankommt. Dann reicht ein Telefonat, sonst läuft wochenlang gar nichts.

Man hört immer von der hohen Kriminalitätsrate in Ecuador.

Ja, ich höre auch immer davon. Die Häuser sind mit Gittern und Kameras gesichert, wie ein Spezialgefängnis. Wir wohnen in einer guarded community mit Wächtern. In der Eltern-Whatsapp-Gruppe unserer Klasse wird regelmäßig gewarnt: „Achtung an der Kreuzung xy rotten sich bewaffnete Gangs zusammen. Meidet das Gebiet“. Oder: „Bin gerade vorm Zahnarzt in der yz-Strasse überfallen worden“. Uns ist noch nichts passiert, es gab noch nicht einmal eine halbwegs kritische Situation, aber vorsichtshalber haben wir ein altes Handy zum Weggeben im Auto und immer ein paar 20-Dollar-Scheine parat.

Und was ist mit Korruption?

Bisher lief alles wie geschmiert, ohne dass ich irgendjemanden schmieren musste. Aber vor Weihnachten brauchen alle Leute Geld und dann kommt es schon mal vor, dass man von der Polizei auf der Landstrasse angehalten und rausgewunken wird. Ist mir kürzlich passiert. „Papiere bitte!“ Ich zeige meinen deutschen Pass und sehe schon die Dollarzeichen in den Augen des Beamten. Ein Gringo, den kann man ausnehmen! Und tatsächlich droht der Mann mit einem fadenscheinigen Grund mein Auto zu beschlagnahmen. Glücklicherweise hatte ich gerade an diesem Tag einen Polizei-General interviewt. Ich zücke dessen Visitenkarte. „Perdon, mein Spanisch ist nicht so gut, aber dieser Herr kann Ihnen alles erklären, rufen Sie ihn doch einfach an“. Der Beamte dreht die Karte argwöhnisch in der Hand: „Arbeiten Sie mit dem General zusammen?“. Ich sage „Ja“ – und in gewisser Weise traf das ja zu. Daraufhin wurde der Polizist nervös, gab mir die Papiere zurück und winkte mich weiter. War das ein Korruptionsversuch?

Was fehlt Ihnen am meisten?

Ganz ehrlich? 1. Gutes deutsches Brot. Manchmal träume ich von der Schwarzen Sonne aus der Münchner Hofpfisterei. 2. Die Möglichkeit mit jeder und jedem fließend zu reden, zu scherzen, zu flirten, wie ich es in Deutschland gemacht habe.

Wann kommen Sie zurück?

Wir werden zwei Jahre hier bleiben, so lange läuft der Vertrag meiner Frau. Und dann? Schaun mer mal.

Interview: dh

Foto: privat