Bily wundert sich: DSGVO – jemand hat Schlamm ins Netz gepumpt

Heute ist es endlich soweit: die DSGVO ist scharf geschaltet. Oder zumindest 3/4 scharf, weil Kanzlerin Merkel in letzter Sekunde ein Bedenken-Zeichen (neues Satzzeichen aus Brüssel, steht für eine Mischung aus Fragezeichen und Gedankenstrich) in der Öffentlichkeit platziert hat. Mit dem Satz „Manches ist wirklich eine Überforderung“ hat sie allen eine vorläufige Entschuldigung geliefert. Und sie hatte wieder mal recht. Viele sind überfordert.
 
Google hat bis heute 300 Mannjahre! Entwicklerzeit investiert in Vorbereitung auf die DSGVO – und das ist noch lange nicht das Ende der Fron. Facebook hat angeblich auch ein paar Sicherheitsmitarbeiter eingestellt. Zuckerberg hat vor dem EU Parlament hoch und heilig versprochen: „Die Sicherheit der Menschen ist wichtiger als unser Profit.“ Das hat die Abgeordneten natürlich überzeugt: „Ach so, Herr Zuckerberg, mei, das hätten´s doch gleich sagen müssen.“ 
 
Dagegen sind kleine und mittelständische Unternehmen seit Wochen aufrichtig und hektisch am werkeln, um in Sachen Datenschutz einigermaßen wasserdicht in den 25.5.2018 zu rutschen. Seminare wurden besucht. Berater wurden eingespannt. Datenschutz-Software wurde installiert. 
 
All das geschieht nur, um einer Verordnung gerecht zu werden, die Bürger in ihrer Selbstbestimmung schützen soll. Und was macht der liebe Bürger? Der surft einfach fremdbestimmt weiter wie bisher. Bei Wize.life – immerhin rund 10 Millionen Visits groß – haben wir das Thema Datenschutz von Anfang an nach deutschem Gesetz gepflegt, sind auch jetzt in Sachen DSGVO gut vorbereitet und haben das ordnungsgemäß an die Nutzer kommuniziert. Immerhin 350 Seitenaufrufe haben die neuen Datenschutzbestimmungen erzielt. 350 von über 30 Millionen gesamt. Der Anteil der am Datenschutz interessierten User ist deutlich geringer als der Anteil der rothaarigen Schmetterlingsjäger an der Gesamtbevölkerung Niederbayerns.
 
Natürlich gibt es viele Neugierige, auch ein paar Korinthenkacker und Denunzianten, die vor allem die Landesämter für Datenschutz fluten. Sie übernehmen die Rolle der 110 im Internet. Und ersticken im Datenmist. Aufnahme neuer Anfragen? Nicht vor Mitte August. Im Datenschutz herrscht Hochbetrieb. Anwälte, Datenschutzbeauftragte, dazu gehörige Technologie und deren Betreuung lassen einen neuen Dienstleistungssektor entstehen – vergleichbar mit der Sicherheitsindustrie an Flughäfen, die es vor 20 Jahren noch nicht gab und heute ganze Berufsgruppen ernährt. Vielleicht wird das ein Ersatz für hochgefährdete Jobs wie Tageszeitungsjournalisten oder Zählerableser, wie das Time Magazine letztens veröffentlichte.
 
Um es in Zuckerbergs Klarheit zu sagen: Eine Datenschutzverordnung ist überfällig. Die aktuelle wirkt nur brüsselesque, also überreguliert und unverständlich für das Normalgehirn. Das ist kein Wunder, wenn eine Verordnung von alltagsfernen Regulierungsbüros konzipiert wird. Wenn sie von Entscheidern verabschiedet wird, die dafür wenig Interesse oder Verständnis haben. Wenn sie von klassischen Medienvertretern bewertet wird, die insgeheim immer noch auf ein Verschwinden des Internets hoffen. Und wenn sie von Unternehmern und Bürgern ernst genommen werden soll, die in den letzten Jahren sorg- und rücksichtslos in einer Wildwest-Phase des Internets mit Daten um sich geballert haben.
 
Erste schnelle Erfolge sind schon zu spüren: Täglich bekommen wir zig Mails von Anbietern, die um Erlaubnis bitten, uns auch weiterhin mit Mails zu beglücken. Eine Erlaubnis, die wir in vielen Fällen nie erteilten oder die sich der Sender zurecht interpretiert hatte. Und jetzt soll man per Klick das explizite Go für immer und ewig erteilen. Meine Lieblingseinladung dazu ist: „Ja, ich will trotz DSGVO weiter in Kontakt bleiben.“ Trotz Schutzvorrichtung bleibe ich waghalsig.
 
In Summe dominiert zum Start der DSGVO am 25.5.2018 das Gefühl, dass jemand Schlamm in das Netz pumpt und die Nutzung mühsam macht für alle. Irgendwie wird man auch das Gefühl nicht los, dass irgendwelche Aktivisten und Bürokraten etwas aushecken durften für Auftraggeber, die Null Ahnung und noch weniger Interesse haben am Netz. Bekommen haben wir somit genau die DSGVO, die wir verdienen. Aber wir werden uns frei schwimmen vom Schlamm. Und am Ende bleibt vielleicht eine Netzwelt, in der wir uns frei UND sicher bewegen können. 
 

Thomas Bily, Geschäftsführer der Social Media-Plattform Wize.Life, hat für Clap Online wieder in die Tasten gegriffen. Als ehemaliger Manager in der deutschen Printmedienlandschaft (Burda, Gruner + Jahr) robbt er sich durch den digitalen Wandel und stolpert manchmal über Seltsamkeiten in seiner alten und neuen Branche. Unter folgender Mail-Adresse erreichen Sie ihn auch im Funkloch: t.bily@wizelife.de