Bily wundert sich… über unverfrorene Fassadenmalerei

Wie es der Zufall will melden sich Sir Martin Sorrell und Kai Diekmann kurz vor der Dmexco und fordern eine Neudefinition des Marketings und Anforderungsprofils für Marketeers. Das ist mehr als ein Fuchteln um Aufmerksamkeit aus ihrem medialen Austragshäusl. Das ist die in Worte gegossene Zuspitzung einer Revolution, die seit Jahren in vollem Gange ist. Für die Offenbarung unbequemer Wahrheiten sind Grandseigneurs wie Mr. Diekmann oder Sir Sorrell ideal. Sie verbinden Erfahrung und Anerkennung der „alten“ Welt mit einer gewissen Neutralität. Damit können sie die klassischen CMOs in die Arena zitieren, ohne viel Widerspruch oder Kritik befürchten zu müssen. Im Gegenteil: schnell kommen Verbündete aus der Deckung und schießen sich ein. 

Dass der Zunft der CMOs so öffentlich an den Karren gefahren wird, ist eigentlich nicht üblich in den heutigen Zeiten des Wandels. Der Normalfall ist, dass die Beteiligten den Schein so lange wie möglich hochhalten. Sie spielen das alte Spiel weiter. Keiner spuckt dem anderen in die Suppe. Dafür läuft die apokalyptische Exekution hinter den heimischen Mauern umso erbarmungsloser und radikaler. Redaktionen werden lautlos dezimiert oder ausgelagert. Vermarkter werden fusioniert. Die Ad Alliance ist ein starkes Beispiel.

Funke und Burda arbeiten an einem Gegengewichtlein. ARD und ZDF feilen schon mal an höheren Rundfunkgebühren. Die privaten TV Sender verordnen sich einen Strukturwandel und erfinden neue Streaming-Angebote. Agenturen verlieren nicht nur Etats, sondern auch Standorte. Neue Player nagen an den Pfründen der Etablierten. Kunden holen digitales Media-Know-how ins Haus. Wo immer mehr auf direktem Weg gemacht werden kann, braucht man immer seltener Mittler. Dies erfasst auch die Welt der Messen: BMW & Co stutzen ihre Präsenz auf der IAA deutlich. Und wir erinnern uns, dass Größen wie Discovery die Dmexco schon letztes Jahr weg kürzten. Sky is ausnahmsweise not the limit. Überall brodelt es hinter den Fassaden. Nicht nur in Unterföhring

Nach den zurückliegenden feisten Jahren keimt Angst vor Rezession. Das erhöht den Handlungsdruck. Ernüchtert stellt man fest, dass man mit den alten Mitteln nicht mehr punkten kann. „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind“, meinte Albert Einstein. Aber mei, was wußte der schon von Marketing, Medien und Kommunikation. Bei uns ticken die Uhren anders. Wir schalten klassische Werbung, bis das Licht ausgeht. Kollabierende Auflagen? Uns doch egal! Doppelseite bleibt Doppelseite.

Erodierende TV Quoten: Solange Heidi Klum in heiratsfähiger Verfassung ist, schalten wir Spots. Weil, mal ehrlich: digitale Kommunikation funktioniert doch nicht! Oder hat schon mal jemand gehört, dass jemand am Samstagabend vor den Nachrichten im Internet Werbung gesehen hat? Werbung – das ist doch ein Gemeinschaftserlebnis. Kommunikation verbindet! Diese technologisch getriebenen Ausspielstationen im Netz sind doch nur herz- und charakterlose Maschinen.

Sie sind kalt im Vergleich zur wärmenden Hand eines Mediaplaners, der für die Drittelseite Badesalz schon seit jeher das ideale Wellness-Umfeld gefunden hat. Natürlich ausgerichtet auf 20-49jährige Zielgruppen, die bei einem Glas Wein in der Badewanne ihre Lieblingszeitschrift durchweichen. Ab 50, ich kann es bestätigen, badet man nämlich nicht mehr. Da wäscht man sich wieder, um frisch zu sein für den Themenabend von Arte. 

Mr. Diekmann und Sir Sorrell meinen nichts anderes, als dass diese Marketing-Welt der Vergangenheit angehört. Game over. Julia Bönisch hat vor kurzem, aus Redaktionssicht, in das gleiche Horn gestoßen. Sehr laut und deutlich. Dafür hat sie sich einen Rüffel der Altvorderen eingeholt. Sie ist halt noch keine Grande Madame und vor allem ist sie noch mittendrin statt nur dabei. Hören will sie kaum einer. Aber Recht hat sie trotzdem. Sie erkennt die Notwendigkeit eines Umdenkens. Und ja, es gibt neue Wachstumschancen in unserem alternden und digitalen Deutschland – aber halt nicht mit alten Methoden auf ausgetrampelten Pfaden. Für Neudenker gibt es mehr Stoff in meinem gerade erschienen Buch über  „Marketing im demografischen und digitalen Wandel“
 
Thomas Bily, der Mitgründer der Social Media-Plattform Wize.Life, hat für Clap Online wieder in die Tasten gegriffen. Als ehemaliger Manager in der deutschen Printmedienlandschaft (Burda, Gruner + Jahr) robbt er sich durch den digitalen Wandel und stolpert manchmal über Seltsamkeiten in seiner alten und neuen Branche. Wenn Sie den Buchautoren erreichen wollen: t.bily@wize.life