Koch-Kolumne: Auch schon infiziert – vom Podcast-Virus?

Podcasts sind in aller Munde. Verzeihung, in aller Ohren. Dagegen ist das Corona-Virus ein Witz. Deutschland befindet sich in einem regelrechten Podcast-Fieber: Hierzulande gibt es bereits Zehntausende dieser Audio-Ergüsse. Bald werden es Millionen sein. Die Liste der Podcaster wäre kürzer, wenn man fragt, wer noch keinen hat. Jeder, mit dem man in diesen Tagen spricht, startet bald seinen eigenen.

Da will man dazugehören. Podcaster, verrät uns die Forschung, sind extravertierter, offener, ausgeglichener und denkfreudiger als der Durchschnitt. Wahre Superhelden. Wann nochmal starten Sie Ihren?

Jeder Dritte hört sie, ob kurz oder lang. Die Zeit alleine bringt es auf ein Dutzend Podcasts und mit „Alles gesagt“ hauen sie uns in jeder Folge locker ein paar Stunden um die Ohren. Der CDU-Zerstörer Rezo brauchte bei „Alles Gesagt“ fast neun Stunden, um „alles“ zu sagen.

Wie es zu diesen Überlängen kommt, ist ganz einfach: Chefredakteur Jochen Wegner braucht bisweilen so lange, um seine verschwurbelten Fragen zu formulieren, dass der Interviewte sich nicht mehr an die Frage erinnert. Sinn eines Gesprächs sollte schon sein, dass der Fragende dem Gast eine Frage stellt, weil die Antwort interessiert. Nicht so Jochen Wegner. Aber gut, man kennt reichlich Leute in der Branche, die sich gerne selbst reden hören.

Außer „Alles gesagt“, „Stern Crime“ und „Fest & Flauschig“, welche Podcasts hören Sie noch? Natürlich „Morning Briefing – Der Podcast“ von Gabor Steingart. Steingart ist ein Muss. Sagt schon der Name: Der Podcast. Keiner traut sich zuzugeben, er oder sie höre Steingart nicht. Zu schnell käme das Gerücht auf, man sei nicht up-to-date oder gar ein Podcast-Verweigerer. Oder höre stattdessen heimlich „Tichys Einblick“…

In Wirklichkeit hören Sie Charlotte Roche („Paardialogie“) oder „Sex with Emily“ („Mit ihren Folgen bleibt kein Bett trocken“). Die Folge „Penis Genius-Guide“, lieber Herr Steingart, ist übrigens, was Menschen wirklich bewegt. Wenn es um Erotik geht, kommt einem Die Zeit zwar nicht sofort in den Sinn, doch Erotik kann sie auch. Sie podcastet aus allen Rohren und weiß: „Was passiert, wenn das Kondom platzt?“

Sie suchen noch nach einem geeigneten Podcast-Thema? Medien-Podcasts gibt es noch nicht wie Sand am Meer. Hörenswert ist „TechBriefing“ mit Daniel Fiene und Richard Gutjahr. Podcasts über Werbung fehlen auch noch, sind aber schwieriger, wie „USP – Werbung auf den Punkt“ beweist. Hier versuchen zwei mir nicht näher bekannte Herren vergeblich, Bewegtbild akustisch zu beschreiben. Kann leicht in die Hose gehen – tut es auch. Da ist room for improvement.

Ach, Sie haben schon einen? Aber Ihrer ist nicht für den Deutschen Podcast-Preis nominiert? Das ist nicht gut. Bei Twitter fragt man sich: „Gibt es eigentlich Podcasts, die nicht für den Deutschen Podcast Preis „nominiert“ sind und falls ja, wie heißen die zwei?“ Also, jetzt geben Sie sich mal ein bisschen Mühe!

Allerdings weiß ich nicht, wozu die ganze Aufregung. Podcasts sind doch nichts anderes als das gute, alte Radio. Also schwafeln – das lieben die Menschen. Nur eben ohne störende Musik. Man fühlt sich zurückversetzt in die Zeit der ersten Radios, als sich die ganze Familie gespannt um die neuartigen Empfangsgeräte versammelte und Hörspiel-Klassikern wie „War of the Worlds“ lauschte. Damals. Noch vor dem Fernsehen. Die Älteren erinnern sich…

Thomas Koch ist Media-Experte, lebt in Düsseldorf und befindet sich derzeit dort in freiwilliger Quarantäne. Er schreibt regelmäßig für Clap. 

Foto: Alexander von Spreti