Warum Kissler zur Schweizer „NZZ“ wechselt

Bei dem von Chefredakteur Christoph Schwennicke geführten „Cicero“ schöngeistig zu wirken, ist Alexander Kissler nicht mehr genug. Wohl auch, weil sich viele der Kollegen zusehends in ihrem Wirkungsgrad beschränken müssen oder lassen. „Der Kulturbetrieb driftet ab ins staatsfromme Politisieren“, sagt Kissler, derzeit noch Leiter des „Cicero“-Kulturressorts („Salon“), gegenüber „Clap“. Für den früheren Theaterregisseur fällt daher schon bald der Vorhang beim Coffeetable-Magazin. Mehr Reiz verheißt „ein helvetischer, ein freisinniger Blick auf die echte Politik“. Einen solchen kann der 50-Jährige ab August bekanntlich bei der „Neuen Zürcher Zeitung“ wagen. Charme hat der Transfer für den Ex-Feuilletonisten von „FAZ“ und „Süddeutscher Zeitung“ in doppelter Hinsicht: Kissler darf dann mehr in Politik und weniger in Kultur machen. Und er kann in Berlin bleiben.

Seine neue Wirkungsstätte ist – nach Hauptstadt-Dimensionen – allerdings nur einen Steinwurf von der alten entfernt. Statt in der City-West steht der Schreibtisch des promovierten Literatur- und Medienwissenschaftlers künftig in Berlin-Mitte. Dort, am rechten Spreeufer, zwischen dem Gebäude der „BMW Foundation“ und dem „Parlament der Bäume“, hat die aktuell achtköpfige Berliner „NZZ“-Redaktion ihren Sitz. Mit Kisslers Engagement unterstreicht sie ihre Ambitionen auf dem deutschen Markt. Es sei „keine Entscheidung gegen den ,Cicero’, sondern für die ,NZZ’“, betont der gebürtige Pfälzer. Über sieben Jahre sei er gern bei dem Coffeetable-Magazin gewesen. Mit der Schweiz verbinde ihn seit seinen beiden Jahren als Regieassistent am Stadttheater Luzern „eine innere Nähe“. Für die Gesinnung der „NZZ“, Politik und Gesellschaft in Deutschland den Spiegel vorzuhalten, dürfte das auch gelten.

Beim „Cicero“ ist Kissler seit Januar 2013 fürs Kulturressort verantwortlich. Auf cicero.de betreibt er mit „Kisslers Konter“ zudem eine regelmäßig erscheinende politische Kolumne. Doch alles hat seine Zeit. Einer der wahrnehmbarsten Akteure der Zunft wird ein bisschen Schweizer. Er verändert sich, um er selbst zu bleiben. Der römische Philosoph Marcus Tullius Cicero soll einmal gesagt haben: „Ein kluger Mensch wird genau bemerken, wie lange seine Unterhaltung dem anderen Vergnügen macht.“ Kissler ist ein kluger Mensch. Er geht auf dem Zenit und startet kurz vor Erscheinen seines neuen Buches. Auf seinen „Transfer“ habe er mit seinem Lieblingsweißburgunder angestoßen, dem „Truttiker Pinot blanc“ von Zahner aus dem Anbaugebiet Zürich, – „und mir dazu eine St. Galler Bratwurst gegrillt“. Hernach gab es Bündner Nusstorte und einen Zuger Kirsch. Hopp, Schwiiz!

 

Foto: Maurice Weiss