Koch-Kolumne: Herr Rabe, wo sehen Sie sich in fünf Jahren?

„Weiße Raben sind seltene Vögel“, weiß ein altes Sprichwort. So begann noch kein Text über Thomas Rabe, den neuen Chef von RTL Deutschland und Rausschmeißer von Ex-Co-Chef Stephan Schäfer. Außerdem ist schon alles über Thomas Rabe geschrieben worden, meinen Sie? Mitnichten, wie Sie gleich sehen werden.

Gruner + Jahr, das altehrwürdige, stolze Hamburger Haus des Magazin-Journalismus, existiert nicht mehr. G+J ist einfach weg, aber noch nicht bei RTL in Köln angekommen. Somit befindet man sich irgendwo im Medien-Nirvana. Manchen geht es alles nicht schnell genug. Profis wissen besser, dass derart komplexe Integrationen eine halbe Generation dauern können. Aber egal.

Es gibt wohl keinen Text über die Machtübernahme von Rabe, der ohne das Wort „Baustellen“ auskommt. Weil es im Konzern übermäßig viele davon gibt. Und jetzt alle Welt voller Schadenfreude zusieht, wie Rabe von Baustelle zu Baustelle eilt und diese bewältigt – oder auch nicht. Dazu wird Popcorn gereicht.

G+J ist eine der Baustellen. Wie finanziert man Journalismus, wenn die Werbeeinnahmen wegbrechen? RTL ist die nächste. Denn die werberelevante Zielgruppe sagt dem linearen Fernsehen gerade Lebewohl. RTL+, die hauseigene Bezahlplattform, die nicht weniger als die Streaming-Zukunft sichern soll, muss es mit Netflix, Amazon, YouTube, Disney, WOW und Joyn gleichzeitig aufnehmen. Dabei stehen die nächsten Streamingdienste längst in den Startlöchern. Und Insider wissen, dass es Unternehmen wie Samsung im Addressable TV-Markt sein werden, die das ganz große Geld abräumen.

Das sind aber nur die offensichtlichen Baustellen. Die wirklich interessante und bislang nie gestellte Frage ist jedoch: „Herr Rabe, wo sehen Sie sich in fünf Jahren?“ Was hat Chefstratege Rabe für Ziele? Welches ist das Endziel, das er zu erreichen gedenkt? Ich kenne es, Thomas Rabe auch.

Das Problem, mit dem sich unsere deutschen Medienhäuser konfrontiert sehen, ist weitaus größer als alle bislang an Rabe gestellten Fragen. Derzeit fließen die Werbegelder, von denen alle deutschen Publisher existentiell abhängig sind, tsunamiartig aus Deutschland ab.

Sie wandern in Milliarden Euro-Höhe ab Richtung Westen zu Google, Meta, Amazon und zunehmend auch nach Osten in die Hände von TikTok. Wenn‘s in dem Tempo weitergeht, fehlen dem deutschen Publishermarkt nach meinen Berechnungen in wenigen Jahren bis zu vier Milliarden Euro Werbeeinnahmen jährlich. Da würden auch größere Medienhäuser ins Straucheln geraten.

Das Ziel: blankes Überleben

Dem etwas Substanzielles entgegenzusetzen, ist Aufgabe des (nach Altice N.V.) zweitgrößten europäischen Medienhauses Bertelsmann SE & Co. KGaA. Wenn es Thomas Rabe als mächtigstem Medienmanager Deutschlands nicht gelingt, den Abfluss unserer Werbegelder ins Übersee-Digitalien zu stoppen, gibt es wenig Hoffnung für unzählige deutsche Medien, die auf der Strecke bleiben werden. Das wäre eine mediale Katastrophe.

Das Endziel von Rabe ist blankes Überleben. Sollte das allerdings gelingen, werden wir ihm ein Denkmal setzen. Ich wünsche ihm dabei viel Fortune. Und wenn Sie zufällig für ein deutsches Medium arbeiten, sollten Sie sich mir anschließen.

Foto: Alex von Spreti