Zamorano: „In Medienunternehmen ist Diversity nicht richtig angekommen“

Carlos Zamorano, Manager beim Privatsender RTLzwei, setzt sich seit Jahren selbst immer für das Thema Diversity ein. Vielleicht auch bedingt durch seine Herkunft. Political Correctness? Jetzt nicht und auch nicht mit Zamorano. Hier kommen ein paar ehrliche Antworten zum Aufregerthema Diversity. Und es geht auch darum, wie RTLzwei es besser machen will:

Momentan sorgt ein Buch für Furore, welches den vielfach verschmähten Old White Men eine Bühne gibt: „Alte weise Männer“. Franca Lehfeldt, eine der beiden Autorinnen, wird bei T-Online zitiert mit den Worten: „Ich fürchte sogar, dass manche Führungs­kraft heute mit Diversity davon ablenken will, dass ihre Zahlen ansonsten nicht stimmen.“ Ärgern Sie sich über diese Aussage?

Zamorano: Ich habe die Diskussion um das Buch verfolgt und mir das Interview angesehen. Das Zitat geht ja noch weiter mit „Diversity ist ein wichtiges Ziel, aber doch nicht wichtiger als Leistung.“ Mich ärgert an dieser Aussage eher das Entweder-oder. Hier wird ja suggeriert, dass das eine wichtiger als das andere sei. Natürlich geht es im unternehmerischen Kontext immer um Leistungsbereitschaft, Leistungsfähigkeit und Erfolg. Und genau das ist ja das Ziel bei der Zusammenstellung von diversen Teams. Eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit durch verschiedene Blickwinkel. Die Unterschiedlichkeit eines jeden Einzelnen führt zu noch mehr Erfolg und Leistung. Und damit kann natürlich auch ein älterer weis(s)er Mann im Team sein. Ich stimme den Autorinnen zu, dass es falsch wäre, deren Erfahrungswerte und Tugenden nicht zu nutzen, dies wäre genauso diskriminierend und ginge an der Sache vorbei. Ein Team oder eine Leitungsebene mit ausschließlich alten weis(s)en Männern wiederum mag ich mir nicht mehr vorstellen.

Sie engagieren sich seit längerem für das Thema Diversity. Woher rührt dieses Engagement? Ihre eigene Herkunft?

Zamorano: Menschen, die Diversity-Kriterien erfüllen, haben bei diesem Thema sicherlich eine höhere Sensibilität und engagieren sich dadurch stärker. Bei mir ist es das Thema Herkunft. Mein Vater kam Ende der 60er-Jahre aus Chile dank eines Stipendiums zum Studieren nach Deutschland, ich selbst wuchs in Oberschwaben in den 80er-Jahren auf. Um es kurz zu halten: Da wurde ich schon anders wahrgenommen als meine Freunde. Ich habe mit Studium und Leistung meinen Weg gemacht. Aber vielen meiner Freunde mit Migrationshintergrund war das nicht möglich. Da fragt man sich schon, warum das so ist. Meine Antwort fällt für das Einwanderungsland Deutschland leider nicht sehr positiv aus. Bei der Integration und Förderung von Menschen mit Migrationshintergrund haben wir noch viel zu tun. Und auch bei den Medienunternehmen in Deutschland sieht es nicht anders aus. Wie kann es sein, dass wir nach einer Studie der Neuen Deutschen Medienmacher*innen lediglich 6,4 Prozent Chefredakteur*innen mit Migrationshintergrund in den deutschen Medien haben. Und davon stammen alle aus Europa. Als Mitglied einer Geschäftsleitung im deutschen Fernsehen mit außereuropäischem Migrationshintergrund bin ich quasi ein Unicorn. In den Medienunternehmen Deutschlands ist Diversity noch nicht richtig angekommen, weder auf der Ebene der Mitarbeiter*innen, vor allem aber nicht auf Leitungsebene. Und das bei einem Anteil von etwa 30 Prozent an Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland.

„Wenn ich es richtig mache, sind diverse Teams einfach besser“, sagte vor kurzem der Werber Michael Trautmann. Mal anders herum gefragt, was kann man denn bei der Besetzung von diversen Teams falsch machen?

Zamorano: Generell macht man vor allem viel richtig, wenn man das Thema angeht. Und man sollte es angstfrei angehen. Hier hilft es, einen anderen Blickwinkel einzunehmen. Nehmen wir das Beispiel Anforderungen. Menschen, die aus sozial schwächeren Umfeldern kommen, konnten zum Beispiel während des Studiums weniger Praktika machen, da sie entweder zügig studieren oder viel arbeiten mussten. Diese Bewerber*innen haben eventuell die Regelstudienzeit überschritten. Was ist jetzt für ein Team wichtiger? „Lebenserfahrung“ oder ein schnelles Studium in kurzer Zeit mit möglichst vielen Praktika?

Diversität bedeutet also erst einmal den Blick zu öffnen, aufgeschlossen zu sein für andere Lebenswelten, auch Spannungen und Reibung zuzulassen und zu schätzen, was Heterogenität manchmal mit sich bringen kann. Es geht darum, die Komfortzone zu verlassen. Menschen und Aufgaben müssen zueinander passen. Wenn das gelingt, ohne das frühere „gleich und gleich gesellt sich gern“, entsteht etwas Neues, das tatsächlich besser ist und zu besseren Produkten führt – im Fall von RTLzwei bessere Formate und besseres Marketing, in dem sich vielfältige Zielgruppen besser wiederfinden. 

Im Vorgespräch haben Sie gesagt, es gebe immer noch viel zu wenige diverse Teams in der TV-Branche und auch viele TV-Formate würden immer noch nicht so richtig den Bevölkerungsschnitt abbilden. Die Lebensrealität würde nicht richtig abgebildet. Welche Projekte haben Sie denn in dieser Hinsicht in Grünwald in den vergangenen Jahren umgesetzt, etwa um die Teams perfekt zusammenzustellen?

Zamorano: Unsere Daily Soaps mit ihren jungen Fans bilden seit Jahren schon vieles ab, was diese Zielgruppe beschäftigt, beispielsweise sexuelle Identitäten und Orientierungen oder Herkunft. Wir hatten die erste Transgender-Kandidatin in einer Dating-Show und schon 2014 eine Doku-Reihe über Transgender, die bei der Kritik gut ankam. Es gibt viele Beispiele im Programm. Und unsere Sozialreportagen zeigen beim Kriterium soziale Herkunft Lebenswelten von Menschen, die aus schwierigen sozialen Verhältnissen kommen und geben diesen eine Stimme.

Intern haben wir bei RTLzwei eine eigene Projektgruppe aus Mitarbeiter*innen, die sich um die Förderung der Diversität im Unternehmen bemüht. Auf der einen Seite machen wir schon einiges bei RTLZWEI, auf der anderen Seite stehen wir bei manchen Dingen erst am Anfang. Wir sind im letzten Jahr dem „Bündnis Medien für Vielfalt“ beigetreten und versuchen das Thema sowohl auf Ebene der Mitarbeiter*innen, als auch in unserem Programm und Marketing anzugehen.

Defizite sehe ich in der Kommunikationsbranche auch. Ich selbst habe als ostdeutscher Journalist nie den Eindruck einer besonderen Bevorzugung wegen meiner Herkunft gehabt, das brauche ich natürlich auch nicht. Aber es ist ein vielleicht Beispiel: man bekommt manchmal den Eindruck Ostdeutsche sind irgendwie nicht ausgefallen genug, es muss einen Vorzeigeangestellten geben, der das Thema auch nach außen hin symbolisiert. So wie bei manchem Tagesschau-Sprecher. Aber hinter der Kamera sind dann wieder in der Vielzahl die angesprochenen „Old white Men“. Sind wir manchmal nicht ehrlich genug zu uns selbst?

Zamorano: Spannend, dass Sie das Verhältnis Ost und West ansprechen. Ich habe oft den Eindruck, dass sich Ostdeutsche durchaus mit Menschen mit Migrationshintergrund solidarisieren und sich mit ähnlichen Vorurteilen konfrontiert sehen – unglaublicherweise auch heute noch. Und ja, bei den Nachrichtensprechern wird versucht, das Bild einer diversen Gesellschaft zu zeigen. Grundsätzlich ist das absolut richtig, aber es stellt für mich nur einen ersten, wichtigen Schritt dar. Von dort aus muss es weiter gehen. Es sollte eben auch versucht werden, das Thema Diversität intern, in die Redaktionen, Marketingabteilungen und Verwaltungen der Fernsehsender zu bringen. In der externen Wahrnehmung haben wir als Bewegtbildanbieter die Möglichkeit und Pflicht, die Realität im Land auch im Programm und im Marketing in unserer Bildsprache abzubilden.

Manchmal hat man also das Gefühl, dass manche Teams nun zwanghaft „divers“ besetzt sind. Auf der Strecke bleiben dann manchmal auch diejenigen, die eigentlich besser für den Job geeignet sind. Oder sehen Sie das anders?

Zamorano: Oh, da kann ich Sie beruhigen (lacht). Da kann in der deutschen Medienlandschaft keine Rede davon sein. Wie gesagt, es leben durchschnittlich circa 30 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland und der Anteil der Journalist*innen mit Migrationshintergrund in deutschen Redaktionen wird wiederum auf lediglich fünf Prozent geschätzt. Noch drastischer ist die Relation bei Menschen mit Behinderung: Auf rund 10 Prozent Menschen mit Behinderung in Deutschland kommen 0,4 Prozent mit sichtbarer Behinderung on air auf den Bildschirmen. Expert*innen in TV-Formaten sind immer noch größtenteils männlich, als ob es keine Frauen mit Fachexpertise gäbe. Oder nehmen Sie das Kriterium Alter. Beim deutschen Privatfernsehen gibt es kaum Mitarbeiter*innen, die über 60 Jahre alt sind. Ich könnte Ihnen alle Kriterien aufzählen. Von einer “zwanghaft” diversen Besetzung kann keine Rede sein.

Ich stehe mit meiner Kritik jedenfalls nicht ganz alleine da. Journalist Stephan Anpalagan, der auch Chef von „Demokratie in Arbeit“ ist, sorgte letztens für Aufsehen, mit seinem Ärger über „halbgare Diversity-Versuche der deutschen Medien-Unternehmen“. Er prangerte sogar ein „Systemversagen der gesamten Medienlandschaft“ an. Manchmal sei ein Beauftragter eines Medienunternehmens nur nebenbei für die Schaffung von mehr Vielfalt beauftragt. Übersieht Anpalagan da einiges?

Zamorano: Ich kenne Anpalagans Kritik nicht im Einzelnen. Halbgare Versuche sind aber nie gut. Beim Thema Diversity gilt, wie bei vielen anderen Themen: Wir müssen sie ernsthaft und mit Nachhaltigkeit angehen – insbesondere wir Medienunternehmen – denn Fakt ist:  Unser Land hat sich im Vergleich zu den 70er-Jahren verändert und damit auch unsere Zuschauer*innen.  Es macht etwas mit Menschen, wenn ihre Lebenswirklichkeit in den deutschen Medien gar nicht oder nicht repräsentativ gezeigt wird. Ich möchte heute genauso eine Frau als Kommissarin sehen, eine Person of Color als Arzt, einen älteren Menschen als Trainer, einen Menschen mit Behinderung in einer Rolle, die ihn nicht auf die Behinderung reduziert, sondern als Experten zeigt oder ein homosexuelles Paar, das ganz selbstverständlich in einen Handlungsstrang eingebunden ist. Darum geht es. Unsere Gesellschaft ist vielfältig und wir als Medienunternehmen sollten das auch zeigen. Nach außen und nach innen.

Hinsichtlich Frauenquoten in Führungsteams hat sich ja, so bekommt man den Eindruck, mittlerweile eine breite Front gebildet. Nun gibt es aber verschiedene Formen und Ausprägungen von Diversity. Welche Gruppe hat denn ihrer Meinung nach immer noch eine zu kleine Lobby?

Zamorano: Eigentlich alle. Schaut man sich nämlich an, was Frauen in den letzten Jahrzehnten geschaffen haben, ist das beachtlich. Sie haben bisher am meisten in Sachen Diversity erreicht – und dennoch gibt es noch viel zu tun. Denn es kann aber auch erst der Anfang sein, wenn man sieht, wie männlich Führungsetagen immer noch besetzt sind. Generell verstehe ich Diversität als umfassendes Thema, die jeweiligen Merkmale korrelieren mitunter sehr stark. Soziale Herkunft und Migrationshintergrund liegen beispielsweise oft beieinander, sei es, weil ihnen der Zugang zu den meinungsbildenden Institutionen oder Medien fehlt. Dies ist Aufgabe der Politik, aber auch die öffentlich-rechtlichen und privaten Medien müssen hier im ersten Schritt die Lebenswirklichkeit repräsentativ zur Bevölkerung abbilden. Mir ist bewusst, dass wir nicht alle Themen auf einmal angehen können. Ein Schritt nach dem anderen, denn Veränderung beruht auf Nachhaltigkeit. Wichtig ist es loszulaufen. Und zwar nicht zum Selbstzweck. Sondern, um dann als diverse Teams noch leistungsfähiger und erfolgreicher zu sein.

Als Inspiration empfiehlt Zamorano übrigens das Buch „Diversity-Guide – Wie deutsche Medien mehr Vielfalt schaffen“. Das Buch ist von NeueMedienmacher.de. Dort ist er selbst Mitglied.

Interview: dh

Foto: RTLzwei