ZDF-Chefredakteur Peter Frey: „Fast nur schriftliche Äußerungen von der Industrie“

Anfang der nächsten Woche kommt das nächste Clap-Magazin zu den Abonnenten. Neben der Titelgeschichte mit „Bunte“-Chefredakteur Robert Pölzer konnten wir ein Interview mit ZDF-Chefredakteur Peter Frey in Stuttgart führen, der erst vor kurzem für weitere vier Jahre in seinem Amt bestätigt worden ist. Im Clap-Gespräch ärgert er sich aktuell besonders über die deutsche Industrie, die nicht ausreichend bereit sei, mit den ZDF-Journalisten zu kooperieren. Leider sei es die durchgängige Erfahrung, dass die „Industrie nicht mit uns spricht“. Auszüge aus dem Interview lesen sie hier. Wer das komplette Gespräch sehen möchte, schreibt uns eine Mail clap@clap-club.de. Die ersten zehn Einsender bekommen das Heft gratis zugesandt.

Können Sie uns zunächst eine Einschätzung geben, ob das ein erfreuliches oder weniger erfreuliches Jahr für das ZDF werden wird?

Frey: Was den Markterfolg angeht, wird es für das ZDF wieder ein gutes Jahr werden. Wir sind wieder Marktanteilssieger  im deutschen Fernsehen – mit weitem Abstand vor den Wettbewerbern. Wir stehen gut da, auch in unseren jüngeren Digitalprogrammen ZDFneo und ZDFinfo. Aber für Journalisten war es auch ein schwieriges Jahr – ein Jahr, mit vielen Angriffen, verbalen, aber auch körperlichen. Dass wir wie in Chemnitz unsere Korrespondenten bei Demonstrationen vor Ort schützen müssen, darf nicht zum Normalfall werden.

Ihre Stimme als ZDF-Chefredakteur ist wichtig, findet Beachtung. Ein beherrschendes Thema ist erneut in diesem Jahr die Diesel-Krise gewesen. Finden Sie, dass manche Medien bei der Berichterstattung zu sanft mit der Automobilbranche umgegangen sind?

Frey: Als wir bei Frontal 21 im Jahr 2014 die erste Story über manipulierte Abgaswerte gemacht haben, war das für die Redaktion und mich ein ganz schwieriger Prozess. Was ist, wenn wir uns irren? Es geht ja um Milliardengeschäfte, um hunderttausende Arbeitsplätze, um Konzerne mit Rechtsabteilungen, die größer als unsere Redaktionen sind. Ich fand die Frontal 21-Geschichte aber überzeugend und habe schließlich grünes Licht zur Sendung gegeben. Leider ist unsere durchgängige Erfahrung, dass die Industrie nicht mit uns spricht. Wir bekommen fast nur schriftliche Äußerungen. Auch von den Konzernchefs.

Volkswagen-Chef Diess versucht zumindest gerade, sich den Medien gegenüber offener zu geben. Aber er findet noch nicht die richtige Haltung zu Medien und Publikum.

Stimmt, er war bei Maybrit Illner. Aber das sind sehr seltene Auftritte. Dass sich fast kein DAX-Vorstand dem ‚Heute-Journal’ stellen will, finde ich sehr bedauerlich. Die Stimme der Industrie ist wichtig für den Exportweltmeister Deutschland. Man kann sich nicht selber immerfort verstecken und von Journalisten erwarten, dass sie trotzdem umfassend und vielseitig berichten.

Kooperation ist also nicht zu erwarten?

Im Wesentlichen ist es Journalisten und NGOs zu verdanken, dass der Diesel-Skandal ans Licht gekommen ist. Da es von der Automobilindustrie kaum Hilfe gibt, ist es auch schwer, zu einem unabhängigen Urteil zu kommen. Das sollten die Herren bedenken. Und wenn sie schon nicht zum Interview kommen, sollten sie mindestens Hintergrundinformationen geben.

Über den Krimi-Sender ZDF wird ja immer mal wieder gescherzt. Sind sie denn selbst ein Krimi-Fan?

Mein Fokus liegt ganz klar auf dem Informationsprogramm, das beginnt mit dem „Morgenmagazin“ und endet mit ‚Heute plus“, da kommen viele Stunden Pflichtprogramm zusammen. Für Fernsehen als Unterhaltungsmedium bleibt nur wenig Zeit. Aber freitags ist bei mir ein besonderer Fernsehabend. Vor dem „heute journal“ kommt „Soko Leipzig“ und dann die „heute show“. Passt, super Einstieg ins Wochenende!

Ärgern Sie sich auch manchmal darüber, etwa weil Oliver Welke manchmal  zu populistisch ist?

Nein, ich finde, die Kollegen kennen die Grenze zwischen Kritik und Populismus sehr genau. Satire muss wehtun, aber man muss deshalb die Institutionen des Staates nicht schmähen. Dem ZDF tun die Kabarett-Programme gut. Dass wir jetzt für Kritik und nicht mehr für Kukident stehen, ist das Verdienst der „heute show“, der „Anstalt“, aber auch von Formaten wie „Dunja Hayali“ oder des „heute journals“ mit seiner erstaunlich jungen Zuschauerstruktur.

Zwei Landtagswahlen liegen hinter uns in diesem Jahr. Wie intensiv erleben Sie diese Zeit?

Es ist viel ins Rutschen gekommen. Solche Abende sind demokratische Marksteine, der Absturz der Parteien der großen Koalition ein klares Signal der Wähler. Die deutsche Parteienlandschaft verändert sich schnell, die Ära Merkel geht zu Ende. Ich habe mich gefreut, dass wir mit unserer Bayern-Wahlsendung die Kollegen mit dem ersten Knopf geschlagen haben.

Haben Sie das Gefühl, dass die deutsche Wahlberichterstattung besser ist als anderswo?

Sie ist ganz anders, schon deshalb weil der Föderalismus bei uns stärker ausgeprägt ist. Die bundesweite Ansage durch die starke Rolle der Länder im Bundesrat ist eine ganz andere als in den meisten anderen Ländern. Ich bin davon überzeugt, dass der Föderalismus stabile Strukturen in unser ganzes System einzieht. Wenn das Verhältnis zwischen Zentralregierung und Regionen nicht ausgewogen ist, kann es zu Krisen kommen, wie man gerade in Spanien studieren kann.

Sie waren als ZDF Korrespondent in Washington, haben als Reporter aus Moskau, China oder Jerusalem berichtet. Wir sind hier in Stuttgart, als ZDF-Chefredakteur reisen Sie nicht mehr so viel und nicht mehr so weit. Vermissen sie das manchmal, dass sie nicht mehr in den Metropolen dieser Welt unterwegs sind?

Naja, manchmal komme ich noch raus, bei den Midterm Elections z.B. konnte ich gerade in die USA reisen und ein Land wieder erleben, das sich sehr verändert hat. Aber es gibt nicht nur Trump! Ich war beeindruckt vom neuen Museum für afrikanisch-amerikanische Geschichte, das an die Sklaverei, den amerikanischen Bürgerkrieg, aber auch an die Bürgerrechtsbewegung und den Beitrag der Schwarzen zur populären Kultur erinnert. Großartig, wie viele Menschen sich das andächtig angeschaut haben! Reporter zu sein, das vermisse ich manchmal schon, aber ich bin sehr dankbar für alles, was ich erlebt habe. Und wissen Sie was? Auch Stuttgart ist interessant. Wie ich überhaupt finde, dass in diesen politisch aufgewühlten Zeiten wir als Journalisten uns sehr viel mehr darum kümmern müssen, wie es in Gelsenkirchen, Suhl oder Plauen aussieht. Deshalb gehen wir als ZDF regelmäßig „aufs flache Land“, berichten über die alternde Gesellschaft, steigende Immobilienpreise oder die Integration von Flüchtlingen. Journalismus lebt ja nicht vom Glamour, sondern von Erdung. Deshalb nehme ich dann selbst oft an unseren Bürgergesprächen mit den Zuschauern vor Ort teil.

Foto + Interview: Daniel Häuser