Soheil Dastyari, bislang Verlagsgeschäftsführer bei Gruner + Jahr, wird neuer CEO von Territory, das Unternehmen, in dem Gruner + Jahr seine Corporate-Content-Einheiten bündelt. Das war gestern die Top-Meldung in der Medienfachpresse. Clap hatte den Gruner+Jahr-Manager für Heft 46 in seinem Hamburger Büro am Baumwall besucht und stellt aus aktuellem Anlass das ausführliche Porträt aus dem Jahr 2013 online …
Baumwallung
Vom pomadigen Printkonzern zum zackigen Inhalte-Startup: Gruner+Jahr gibt sich plötzlich wild entschlossen. Und mittendrin Soheil Dastyari. Als einer der Kapitäne steuert er die Hamburger Fregatten mit gütiger Härte durch raue See. So viel in ihm vorgeht, so wenig lässt der smarte Iraner heraus – und offenbart im Clap-Talk doch einen komplexen Charakter.
Geschäftigkeit bei Gruner: Seit Monaten wird hier reorganisiert, retuschiert und revitalisiert, als ginge es um alles. Und das tut es auch, weshalb sich der Verlag unter der Eisernen Lady Julia Jäkel wieder einmal neu erfindet. Herzstück der Metamorphose zum „Inhaltehaus“ ist, das ansehnliche Titelportfolio und die getreuen Truppen im Headquarter am Hamburger Baumwall zusammenzuziehen und in Interessengemeinschaften zu zwingen. Vier dieser acht Communities unterstehen Soheil Dastyari, für den bei G+J inzwischen alles möglich scheint.
Statt sich wie andere als Trainee oder Vorstandsassi erst ein-, dann hochzuschleimen, schlug Dastyari quer ein, stieg vom Firmen-, Marken- und Innovationsmanagement übers Corporate Publishing bis zu einem von zwei Verlagschefs neben Frank Stahmer auf. Und das als Ex-Reklame-Heini. Er sei in dem Sinn ja kein solcher, korrigiert Dastyari mit gequältem Lächeln, „ich bin Markenstratege; nur, weil man aus der Werbung kommt, ist man nicht automatisch ein Verkäufer“. Heute sieht er sich als „Hybrid aus Marken-, Konzept- und Inhaltemensch“.
Gestapelte Umzugskartons
Vorerst aber ist Dastyaris Talent zur Selbstorganisation gefragt. Im neuen Büro im 3. Stock – hier sitzt er ab sofort Tisch an Tisch mit Kollege Stahmer – stapeln sich noch Umzugskartons, ein überraschend kleiner, schmuckloser Raum mit grandiosem Blick über den Hafen. Dastyari drapiert sich auf der über Eck gestellten schwarzen Couch-Garnitur. Gruner+Jahr sei von Kindheit an sein heimlicher Wunsch gewesen, plaudert Dastyari entspannt. Erst habe ihn das Gebäude fasziniert, später auch das, was darin passiert: „Ich wollte unbedingt hier hin!“ In Teheran geboren, kam Dastyari mit einem Jahr nach Deutschland. Der Vater, angestellt bei der „Bank Melli Iran“, hatte die Chance ergriffen, in die Dependance nach Frankfurt/Main zu wechseln. Später zog es die Familie – wieder durch den Vater – nach Hamburg, wo die „Bank Melli“ unweit von G+J ebenfalls einen Standort unterhält. Der adoleszente Soheil baute sein Abitur in der Hansestadt, studierte dann in Lüneburg Kulturwissenschaften und gründete dort en passant eine Uni-Zeitung, die es heute noch gibt. Es folgte eine steile Agenturkarriere.
Wie die meisten seiner Art bei der einstigen Agenturikone Lintas zum Strategischen Planer ausgebildet, wechselte Dastyari bald darauf zum Mitbewerber Foote, Cone, Belding an die Außenalster. In Hamburg verankert, verschlug es ihn innerhalb des FCB-Reiches zwischenzeitlich nach New York und Berlin, bis er 2005 schließlich bei Gruner+Jahr landete. Über Agentur-Etats für „Impulse“ und die „FTD“ (Gott hab sie selig) war Dastyari bereits mit dem Verlag verbandelt. „Das war für mich die einzig vorstellbare Option für eine Neuorientierung.“
Filmfan & Hobbykoch
Dastyari spricht schnell, fast druckreif, wenn auch leicht nasal und mit manchmal liederlich gesprochenen Silben. Wenn er antwortet, arbeiten seine Arme, dreht sich sein Kopf weg vom Gesprächspartner, so als sammele der Filmfan und Hobbykoch seine Gedanken da draußen in der weiten Welt ein. Am Fenster zieht ein riesiges Container-Schiff vorbei. „China Shipping“ prangt an der weiß-grünen Wand aus Stahl, der Bauch vermutlich unter anderem gefüllt mit der Milch glücklicher deutscher Kühe – einer der Exportschlager hiesiger Unternehmen nach Fernost.
„Meine Aufgabe ist im Grunde, mit Menschen, die kreativer sind als ich, über deren Ideen zu reden“, räsoniert Dastyari, „ich habe immer versucht, das so demütig wie möglich zu tun, aber auch so konsequent wie nötig.“ Die bisher so freundliche Fassade des smarten Iraners bekommt erste feine Risse. Dastyari rutscht sich zum wiederholten Mal auf der Couch zurecht, verschränkt die Arme vor der Brust. Bei allem konstruktiven Moment, bei aller Gabe, Dinge ins Positive zu deuten: Je länger der Talk dauert, desto komplexer erscheint der Kerl. Empathie gehe ihm einigermaßen ab, räumt Dastyari auf Nachfrage ein, das scheint ihn mit G+J-Vorstandschefin Jäkel zu einen. „Dem nötigen Raum für Befindlichkeit steht im Alltag oft der Entscheidungsdruck entgegen“, sagt er, „da bleibt wenig Zeit, sich groß einzufühlen – ab einem Punkt muss man dann einfach sagen: Das machen wir jetzt so.“ Er jedenfalls halte sich „nicht gerade für den empathischsten Menschen unter der Sonne“. Dafür sei er aber einer, „der gut nachvollziehen kann, warum Menschen etwas wollen oder nicht“, so Dastyari.
Sich selbst überraschen können
Ein Talent, das ihn manchmal auch behindert. In Diskussionen bildet Dastyari sich – häufige Berufskrankheit von Planern – oft ein zu wissen, was jemand als nächstes sagen wird. „Das macht mich automatisch viel ungeduldiger; die Kunst ist, diesen Impuls zu unterdrücken und zuzulassen, dass man eventuell trotzdem überrascht wird.“ Wichtiger noch sei aber, sich selbst überraschen zu können, schiebt Dastyari in Anlehnung an Frankreichs Fußball-Legende Eric Cantona nach: „Je mehr Brüche und Widersprüche man in sich hat, desto besser gelingt das.“ Und wie ist er? „Ich glaube, ich bin deutlich mehr ,Beef‘ als ,Neon‘ und etwas mehr ,Capital‘ als ,Business Punk‘.“ Als Getriebener sieht sich Dastyari nicht, auch nicht als ein Handy-Junkie, und er müsse keine Nächte durcharbeiten („aus meiner Sicht schlecht organisiert“) – auch wenn er so aussieht, mit den tiefen Ringen unter den Augen. Und doch drängt sich der Verdacht auf, dass Dastyari sich, einem Forscher gleich, über den Tag hinaus in ein Problem verbeißen kann, bis er die optimale Lösung hat.
Als „ITHG-Wissenschaftler“-Typ skizziert ihn, wer ihn besser kennt: „agiert Introvertiert, denkt Theoretisch, interagiert Hart, lebt Geplant“. Solche Menschen erweisen sich als sehr analytisch, eigensinnig, nonkonformistisch, sind ruhig, zurückhaltend und von angeborener Skepsis geprägt.Bundeskanzlerin Angela Merkel etwa ist so. Aber auch auf Dastyari passen diese Attribute. Prinzipiell wirkt er mehr aufgaben- als menschenorientiert, teilt sein Innerstes nur mit wenigen Vertrauten, gepaart mit einem begrenzten Bedürfnis nach Geselligkeit. Doch auch wenn diese Persönlichkeiten nicht sehr viel nach außen zeigen, so geht doch viel in ihnen vor. Ihr Gehirn arbeitet und verarbeitet permanent Eindrücke. Für andere sind diese Menschen nur schwer zu lesen, wirken distanziert, treten oft undiplomatisch auf. Aus eigener Sicht sagen und tun sie schlicht, was getan werden muss – ohne Lyrik oder Sentimentalitäten. Im Falle von Dastyari hieß das beispielsweise, Anfang 2013 CP-Haudegen Peter Haenchen nach 20 Jahren im G+J-Geschirr unmissverständlich klar zu machen, dass dessen Zeit abgelaufen war.
Auch an die Journalisten im Haus hat Dastyari Botschaften, die – freundlich interpretiert – als „Ermunterung“ gelten dürfen: „Ihre Arbeit wird noch orientierungsstiftender sein müssen als bisher. Basis dafür ist, dass sie ihre Denke digitalisieren.“ Journalisten näherten sich Dingen stark über Themen an, beobachtet Dastyari, „was ich als Stratege addiere, ist der Versuch, eher eine konzeptionelle Perspektive einzunehmen; Identifikationsgetriebenheit ist ein wesentliches Kriterium für medialen Erfolg, und das erfordert stärker eine Bedürfnisdenke“. Das greife bei Gruner bereits zu guten Teilen, wie überhaupt der Verlag wesentlich besser für die Zukunft gerüstet sei, als von außen mithin wahrgenommen: „Wir sind unglaublich aktiv, launchen gerade unser ,Chefkoch‘-Magazin – und zuvor etwa ,Couch‘, ,Deli‘ oder ,Viva‘. Dazu revitalisieren wir unsere großen Marken, stellen sie neu auf und erweitern sie digital – siehe ,Gala‘, ,Brigitte‘, ,Stern‘.“ Auch, so Dastyari, werde „häufiger verkannt, dass Gruner+Jahr voll ist von charakterstarken, charismatischen, selbstbewussten Menschen“.
Und während er all das bejubelt, bricht die Sonne durch den wolkenverhangenen Himmel über Hamburg. Alles also super? Nein, weiß auch Dastyari und schickt eine letzte Mahnung in Richtung der Truppen: „Was wir in der Tat tun müssen, ist, die internen Nichtangriffspakte zu reduzieren. Wir wollen, dass sich die Menschen hier untereinander noch stärker einmischen, weil wir überzeugt davon sind, dass unsere Produkte damit noch ein Stück besser werden.“ Und dabei lächelt Dastyari milde und rutscht sich erneut auf der Couch in Position. In seinem Kopf ist das Verlagsgeschäft wie eine Schachpartie, und längst spielt er die nächsten Züge durch.
Text: Bijan Peymani, Fotos: Frank Siemers