Riekel-Abgang: Kleine Füße, große Stapfen

Michael Kneissler über Patricia Riekel, die am 30. Juni nach 20 Jahren die Chefredaktion der „Bunte“ abgibt und Herausgeberin wird.

 

Vor ziemlich genau 20 Jahren saß Patricia Riekel im Büro meines Buchagenten Lionel von dem Knesebeck und entdeckte in einem Regal einen Leitz-Ordner mit meinem Namen. „Kneissler“, sagte sie, „kann man den bei Ihnen haben?“. Seitdem kennen wir uns. Als sie mich damals zu „Bunte“ holte, traute ihr kaum jemand zu, das Ding zu wuppen. Franz Josef Wagner, ihr Vorgänger als Chefredakteur, hatte das Blatt mit seinem Borderline-Journalismus fast ruiniert. Spaß an „Bunte“ hatte damals nur noch, wer über Schadenfreude oder sehr viel skurrilen Humor verfügte. Humor ist bei den Kunden der „Bunte“, den Promis, aber Mangelware – vor allem, wenn über sie selbst gelacht wird.

 

Nun saß die mädchenhaft aussehende Patricia Riekel plötzlich im Chefbüro an der Arabellastraße, umgeben von alten Männern, die selbstverständlich alle davon überzeugt waren, sie könnten es besser als die Neue. Da war der legendäre Axel Thorer, ein hervorragender Textchef, der gern im Outfit eines Großwildjägers auf der Elefantenjagd auftrat und auch so redete – nur die Büchse fehlte. Da war der Blattmacher Thomas „Doc“ Schneider, ebenfalls ein Platzhirsch ersten Grades. In der zweiten Reihe warteten Wolfgang Ritter, in Personalunion Chef vom Dienst und Gourmetpapst, sowie Interview-Gott Paul Sahner, dem ein amouröses Verhältnis mit der neuen Chefin in grauer Vorzeit nachgesagt  wurde – aber vielleicht diente dieses Gerücht nur der Legendenbildung.

 

Patricia Riekel jedenfalls äußerte sich niemals zu derartig delikaten Fragen. Überhaupt war Diskretion erstaunlicherweise ihr zweiter Vorname. Die Prominenten, vor allem jene weiblichen Geschlechts, schütteten ihr regelmäßig das Herz aus. Und nur ein Bruchteil der Beichten fand den Weg ins Heft. Trotzdem wusste „Bunte“ fast immer mehr und besser, was hinter den verschlossenen Türen der Villen (und manchmal auch der Bruchbuden) passierte, in denen die Celebrities ihr Leben leben. Nur „Bild“ konnte da manchmal mithalten.  Und neuerdings das Internet.

 

Sehr diskret ging Patricia Riekel auch mit einer weiteren, komplexen Personalie um: Helmut Markwort, der charismatische Rundfunkmillionär und „Focus“-Erfinder war als journalistischer Direktor bei Burda nicht nur ihr Chef, sondern auch ihr Lebenspartner.  Selten kam er bei „Bunte“ vorbei, und dann nur kurz. Niemals setzte er sich und wenn Patricia Riekel über ihn sprach, dann war er selbstverständlich nicht „der Helmut“, sondern stets „der Herr Markwort“.

 

Es dauerte nicht lang, bis Riekel den Club der alten Männer enteiert hatte. Das heißt: Die Jungs erledigten das selbst. Patricia Riekel wendete ein schlichtes soziologisches Verfahren an: die teilnehmende Beobachtung. Am runden Tisch in der Chefredaktion, die Kommandozentrale der „Bunte“, saß sie dabei im hübschen Kleidchen auf ihrem Sessel, so sweet und klein, dass sie mit den Füssen wippen konnte wie ein Schulkind auf einem zu großen Stuhl, und schaute sich den Gockelkampf der Alten an, für die jeden Tag High Noon mit anschließendem Show Down war. Nur selten musste sie die Peitsche holen, um bei der Domestizierung nachzuhelfen. Das machte sie diffizil, aber wirkungsvoll. So zum Beispiel: Montag, Dienstag, Mittwoch nicht im Haus sein (Dienstreise nach Hollywood, Berlin, Paris…). Die Jungs machen lassen. Donnerstag, am Schlusstag, zurückkommen. Alles umwerfen, was die Jungs bisher gemacht haben. Keine Titelzeile gut finden. Frustriertes Gesicht ziehen (das konnte sie übrigens genauso gut wie Lächeln). Insgesamt: die Männer maximal demütigen. Und dabei meistens tatsächlich ein besseres Heft machen.

 

Eigentlich war Patricia Riekel nie eine richtige Chefredakteurin. Eigentlich war sie Psychologin – ihr Traumberuf. Und so führte sie die „Bunte“ wie eine Psychotherapeutin ihre Selbsthilfegruppe führt. Obwohl die Verhältnisse bei „Bunte“ manchmal eher einer geschlossenen Anstalt glichen.

 

Es gab Redakteurinnen, die Redakteure stalkten und nachts in die Redaktion einbrachen um Terminkalender zu durchforsten (ein Fest für die Psychologin Patricia Riekel). Es gab komplizierte Dreiecksbeziehungen und Liebesdramen. Es gab Skandale, Prozesse, Streit, Intrigen. Und es gab den ganz normalen Wahnsinn. Die Suche nach der besten Titelzeile zum Beispiel.

 

Während Riekels Mops Churchill, ein Tier mit überbordendem Flatulenz-Verhalten, in der Ecke friedlich vor sich hinfurzte, versammelte sich der Club der alten Männer um den runden Tisch und ereiferte sich, wer den besten Titel habe. Einigung gab es oft, aber nicht immer. Dann griff Patricia Riekel zum Telefon und rief eine Person an, der sie ein absolutes Gespür für die richtige Zeile zutraute. Nein, nicht „der Herr Markwort“ ging ans Telefon, sondern ihre Haushälterin, eine Dame namens Gerlach. Doc Schneider, Riekels Stellverteter, konterte manchmal mit einem Anruf bei seiner Mama. Und schließlich wurde es dann meistens so gemacht, wie Haushälterin und Mama es wollten. Eine Art Marktforschung rudimentär, die ziemlich gut funktionierte.

 

Jedenfalls kackte „Bunte“ nicht halb so krass ab, wie andere Blätter, die Konkurrenz „Gala“ beispielsweise oder Herrn Markworts „Focus“. Dabei waren die Ausgangsvoraussetzung nicht besonders gut. Unter Wagner hatte „Bunte“ Relevanz verloren und dazu kam der natürliche Abgang im Abonnentenstamm aus Altersgründen. Tausende Witwer und Waisen kündigten jedes Jahr „Bunte“, weil die Oma, die das Heft bezogen hat, verstorben war. Riekel musste das Blatt also jünger und relevanter machen. Mit dem Club der alten Herren an der Backe, keine ganz leichte Aufgabe.

 

Sie regelte es auf ihre Art, feuerte die übelsten Bremser und Schaumschläger und stellte junge, starke Frauen ein. Uli Zeitlinger zum Beispel (jetzt in der „Bild“-Chefredaktion) oder Claudia Ciezlarczyk (jetzt Chefredakteurin bei „Frau im Spiegel“). Außerdem brachte sie Politik und Wirtschaft ins Blatt. Scharping badete bei „Bunte“ solange im Pool, bis er als Verteidigungsminister gefeuert wurde und bei Seitensprüngen sowie verheimlichten unehelichen Kindern war Patricia Riekel unerbittlich, Horst Seehofer kann das bestätigen. Und tatsächlich, es funktionierte. Unter Riekel wurde „Bunte“ wieder relevant und (ein wenig), jünger. Plötzlich war es in der Business-Class von Lufthansa zwischen Hamburg, Berlin, Köln und München nicht mehr pfui, mit „Bunte“ in der Hand gesehen zu werden. Auf manchen Flügen fragten dort mehr Manager nach „Bunte“ als nach „Focus“ oder „Spiegel“. Klatsch und Tratsch kennt scheinbar weder Hemmschwellen noch Grenzen. Vermutlich haben die Urmenschen die Sprache hauptsächlich deshalb erfunden, um sich mitzuteilen, wer was wann mit wem hatte.

 

Diese Woche hört Patricia Riekel auf. Sie wird Herausgeberin bleiben und jeden Donnerstag ein paar Stunden in die Arabellastraße fahren, um ihre Post zu sichten. Herr Markwort macht das auch so. Zu sagen haben die beiden aber in Wirklichkeit nichts mehr. Patricia Riekel überlegt deshalb, ob es jetzt nicht an der Zeit wäre, einen Lebenstraum zu erfüllen. Psychologie studieren könnte eine Alternative sein. In der Uni würde das kaum auffallen. Trotz ihrer 66 Jahre sieht sie jünger aus, als manche Langzeitstudentin – ein Vorteil ihrer Jojo-Figur. Realistischer ist aber die Erfüllung eines anderes Traums.

 

Schon vor Jahren hat Patricia mir gesagt, sie würde gern eine Frühstückspension eröffnen. Ein schönes Haus, liebevoll dekorierte Zimmer (gern im Landhausstil), ein leckeres Frühstück, prominente Gäste, viele Gespräche. Klingt wie das Konzept für eine Vorabendserie auf Sat.1, ist aber ernst gemeint. Eine passende Villa hat Patricia Riekel schon gefunden, auf der anderen Seite des Starnberger Sees, sie könnte von ihrem Haus in Ambach mit dem Elektroboot hinübergleiten und nach dem Frühstück wieder zurück.

 

Könnte aber auch sein, dass das nichts wird. Das Haus hat acht Zimmer und kostet 7.000 Euro Miete. Ob sich das rechnet? Patricia Riekel kann bei Bedarf zwar unbedarft schauen, wie eine Unschuld vom Land. Aber doof ist sie nicht. Schließlich verantwortete sie bei „Bunte“ (und „Amica“ und „Instyle“) Jahresetats von angeblich über 50 Millionen Euro. Für den Notfall hat sie aber auch noch das eine oder andere Medienkonzept im Köcher. Wenn Gruner+Jahr „Barbara“ macht, warum sollte es dann aus München keine „Patricia“ geben?

 

Ihr Nachfolger wird erstaunlicherweise nicht Ulrike Zeitlinger, die Powerfrau aus Berlin, sondern ein Mann. In dessen Haut möchte ich nicht stecken. Das kann nur schiefgehen. Patricia Riekel hat zwar kleine Füsse, aber sie hat gewaltige Fußstapfen hinterlassen.

Text: Michael Kneissler

 

Foto: Burda News