Die Wirtschaftspresse stand zu lange an der Seitenlinie

Es rumorte schon seit vielen Jahren beim Fall Wirecard. Schon lange ging es um rätselhafte Bilanzen, um seltsame Geschäfte in Indien oder verschwundene Mitarbeiter. Doch bis sich die deutschen Wirtschaftsmedien der Sache annahmen und aus ihrer Passivität ausbrachen verging viel Zeit. Sie vertrauten in ihrer Beweisführung bei der Wirecard-Berichterstattung zu lange nur den investigativen Recherchen des „Financial Times“-Journalisten Dan McCrum (im Bild). Viele zu lange stand dabei auch die Frage im Raum, ob der Reporter mit Shortsellern zusammenarbeitet. Dabei gab es sogar schon im Jahr 2008 offensichtliche Unregelmäßigkeiten beim Aschheimer Unternehmen.

Diese Nicht-Reaktion auf die „FT“-Recherchen verwunderte beispielsweise unseren Kolumnisten und Kommunikationsprofi Wolfram Winter. Er fragte hier in Clap deswegen schon im April 2019 in Richtung deutsche Wirtschaftspresse: „Auf was haben Sie gewartet? Zumindest scheinen die Redaktionen auf irgendetwas zu warten.“ Es vergingen noch viele Monate, bis sich etwas in der Berichterstattung veränderte.

Erst als der „Spiegel“ Anfang Dezember 2019 endlich die Sache genauer beleuchtete wurden die Recherchen konkreter. Die Story unter der Überschrift „Ist Wirecard-Chef Markus Braun ein Betrüger“ gehörte daraufhin sogar zu den meistgelesenen Artikeln des Jahres 2019 beim Online-Dienst. Danach kam endlich Leben in die Sache. Erst vor wenigen Wochen gab es dann auf den Wirtschaftsseiten Rücktrittsforderungen an Wirecard-Chef Markus Braun.

McCrum, der aus Deutschland viele Anfeindungen ertrug, hat auf jeden Fall recht behalten. Falls er den Pulitzer-Preis nicht gewinnen sollte – vielleicht hat ausnahmsweise ein ausländischer Journalist den Nannen-Preis verdient.

Das Clap-Magazin hat in seiner aktuellen Ausgabe, die gestern erschienen ist, auch eine kritische Geschichte über den einstigen Dax-Hoffnungsträger geschrieben und darin eigene Erlebnisse verarbeitet. Doch vor rund 14 Tagen war die unglaubliche Entwicklung nicht abzusehen. Insofern sind diese Recherchen trotz des Vor-Ort-Besuchs nur noch teilweise aktuell. Liebe Abonnenten: Die Geschichte bitte unter diesen Voraussetzungen lesen. (dh)

 

Fotos: CNBC, dh