Seit Oktober 2019 ist Helge Fuhst Zweiter Chefredakteur von ARD-aktuell, der ARD-Gemeinschaftsredaktion für Tagesschau und Tagesthemen. Das große Clap-Portrait können Sie über ihn hier lesen.
Zurück in die Zukunft
Endlich wieder einmal ein Mann, nicht aus dem Osten, ohne Migrationshintergrund: Schon in dieser Hinsicht ist Helge Fuhst eine wohltuende Besetzung als „ARD-aktuell“-Vize und Chef der „Tagesthemen“. Wo man ihn einst zum Journalisten formte, könnte er jetzt zum Intendant reifen. Im „Clap“-Gespräch verrät Fuhst, was sein größter Schicksalsschlag damit zu tun hat.
Er ist jung, smart und gutaussehend – und eigentlich viel zu schade, um sich alsbald hinter die Kamera zu verdrücken. Genau das aber hat Helge Fuhst vor. Noch einmal wird er auf Phoenix zum „Internationalen Frühschoppen“ laden, dann will sich der 35-Jährige in seinem neuen Job als Zweiter Chefredakteur von „ARD-aktuell“ ganz aufs Management verlegen. Im Bunde mit der formellen Nummer eins, Marcus Bornheim, und Juliane Leopold fürs Digitale bildet Fuhst seit Oktober des Jahres das Triumvirat in der zentralen Fernsehnachrichtenredaktion der ARD.
In seiner neuen Position verantwortet der gebürtige Niedersachse von Hamburg aus vor allem die „Tagesthemen“ und kehrt damit zugleich zu den Wurzeln seines journalistischen Werdens zurück. Es war 2012 Fuhsts erste berufliche Station nach seinem Volontariat beim NDR – und das erste Aufeinandertreffen mit Tom Buhrow („mein Mentor“). Eineinhalb Jahre arbeitete er bei den „Tagesthemen“ als Redakteur eng mit dem damaligen Anchorman zusammen, bevor der ihn im November 2013 als neuer WDR-Intendant in Köln zu seinem Assistenten machte.
Fuhst sitzt in seinem Büro in Haus 18A auf dem NDR-Gelände in Hamburg-Lokstedt. Auf der Fensterbank steht ein gemaltes Bild mit David Bowie, aus einer Galerie in Tel Aviv. „Bowie ist einer der Künstler, die ich am meisten bewundere“, sagt Fuhst. Zählt großartige Songs auf, wie „Under Pressure“ (mit Co-Autor Freddie Mercury und „Queen“) oder „Heroes“, einer der wenigen international bekannt gewordenen Popsongs über die Berliner Mauer. Bedauert, dass er Bowie nie live in einem Konzert erlebt hat – ein Traum, der auf ewig unerfüllt bleibt.
Es ist ein recht frischer, aber doch sehr freundlicher November-Tag. Immer wieder bricht die Sonne durch. Von der Nordsee her weht eine schwache Brise übers Land. Fuhst blickt kurz in die Ferne, widmet sich dann wieder seinem Gegenüber. Er strahlt diese berückende Offenheit aus, mit einer Mischung aus Neugier und Vorfreude auf den nächsten Moment. Seine Mimik mit dem ihm so eigenen verschmitzten Lächeln wirkt auf sympathische Weise listig. Froh ist er, wieder in Hamburg zu sein. Es fühlt sich beinahe so an, als sei er nach Hause gekommen.
Geboren und aufgewachsen in Hannover, wechselte Fuhst mit 14 Jahren aufs Gymnasium in Cuxhaven, wo er auch sein Abi baute. Dass ihm dies überhaupt gelang, verdient im Rückblick allen Respekt: Wenige Wochen vor den Prüfungen, da war er gerade 18 oder 19, verstarb sein Vater an Krebs. Plötzlich war alles anders, waren sie nur noch zu dritt – die Mutter, Helge und sein fünf Jahre jüngerer Bruder. Plötzlich hatte er eine neue Rolle innerhalb der Familie inne, musste über Nacht erwachsen werden und seine eigene Lebensplanung verwerfen.
„Eigentlich wollte ich nach dem Abitur ausziehen und mir etwas Eigenes aufbauen“, erinnert sich Fuhst. Er habe sich dann jedoch entschieden, seinen Zivildienst in Cuxhaven abzuleisten, um bei der Familie zu bleiben. Anschließend ging er nach Hannover zurück, schloss 2010 sein Magisterstudium in den Hauptfächern Politikwissenschaft und Geschichte ab. Als sei das nicht genug, wurde Fuhst vier Jahre später auch noch an der TU Chemnitz promoviert. Woher nimmt man diese Energie, diese Zielstrebigkeit, wenn einen das Schicksal derart trifft?
„Der frühe Tod meines Vaters hat mich sehr geprägt“, sagt Fuhst, „ich bin mir ziemlich sicher, dass ich ohne diesen Einschnitt nicht einen solchen Ehrgeiz entwickelt hätte.“ Es habe ja doch nur zwei Alternativen gegeben: in ein tiefes Loch fallen oder sich mit der Frage konfrontieren, was man aus dem eigenen Leben eigentlich noch machen möchte. „Bei meinem Vater wurde der Krebs mit 49 diagnostiziert, und im Familienkreis gab es damals weitere Todesfälle – da wird einem bewusst, wie schnell es vorbei sein kann.“
Und es wird einem klar, was wirklich zählt. Fuhst arbeitet nach eigenem Bekenntnis viel, und das gern. Er ist ein typischer Vertreter der „Generation Y“, mit unbändigem Gestaltungswillen ohne blinden Ehrgeiz, befördert von einem bewundernswerten Bewältigungsoptimismus. Die persönliche Karriere steht nicht im Vordergrund, sondern der Sinn in respektive Reiz an einer Aufgabe. Und das Arbeiten in Teams statt in Hierarchien: „Jeden Tag sammeln wir die besten Ideen im Haus ein; ein Einzelner kann nie allein die besten Ideen haben“, ist Fuhst überzeugt.
Schon als Kind habe er gewusst, dass er einmal Nachrichtenjournalist werden wolle. Früh hat der kleine Helge die „Tagesschau“ im Fernsehen verfolgt. Irgendwann habe ihm sein Vater ein Aufnahmegerät samt Mikrofon geschenkt. Am Wohnzimmertisch wurden fortan Meldungen nachgesprochen und Schaltungen zu Außenreportern simuliert. Die Kassetten existieren noch heute, liegen „irgendwo auf dem Dachboden“. Auch Fuhsts Respekt vor einer Institution wie der „Tagesschau“ ist geblieben; „beim 20-Uhr-Gong bekomme ich noch heute Gänsehaut“.
Es fehlte nicht viel, dann hätte der „Tagesthemen“-Comebacker vielleicht einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Als Student war Fuhst politisch aktiv, stand zwischen 2004 und 2007 als CDU-Mitglied der Jungen Union in Cuxhaven vor. In jener Zeit kandidierte er auch auf einem Ticket der Christdemokraten für den dortigen Kreistag. Ein Mandat blieb ihm indes verwehrt, später trat Fuhst aus der Partei wieder aus, kniete sich in die Journalistenkarriere. „Ich habe das damals für mich so entschieden, als Journalist wollte ich parteilos und unabhängig sein.“
Natürlich könne man als Journalist auch mit Parteibuch unabhängig arbeiten, selbst wenn man über politische Themen berichte, betont Fuhst. Er aber ist seither parteilos. Traurig über seine verhinderte Politkarriere sei er keineswegs, im Gegenteil: „Es war eine wertvolle Erfahrung; ich profitiere bis heute davon, dass es mir möglich war, ein paar Jahre hinter die Kulissen des politischen Betriebs zu schauen.“ Der Ausstieg kam zur rechten Zeit. Auf dem Plan stand ein Wechsel nach Washington, um während der US-Vorwahlen bei NBC News zu hospitieren.
Sechs Monate später arbeitete Fuhst für eineinhalb Jahre als Producer im Washingtoner ARD-Studio, erlebte die historische Wahl von Barack Obama zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten aus nächster Nähe mit. Zurück in Deutschland, drängten Fuhst mehrere Professoren zu der eigentlich ungeliebten Doktorarbeit über Obamas erste Amtszeit. Das Thema liegt vor Deinen Füßen, mahnten sie. „Tatsächlich habe ich bei NBC einige Präsidentschaftskandidaten und deren Strategen persönlich kennengelernt, war wirklich im Machtzentrum“, sagt er stolz.
Wohlgemerkt, da war Fuhst kaum Mitte 20! Er wurde, er bleibt so etwas wie ein Überflieger wider Willen. Ab 2016 übertrug man ihm in Bonn eine Managementrolle bei Phoenix, wo er als Vize-Programmchef auch Verantwortung für den gesamten Spartensender übernahm. Der Aufstieg zum Phoenix-Boss Anfang 2018 war da schon vorbestimmt. Nun also Hamburg, nun wieder „Tagesthemen“, neben der „Tagesschau“ eine – etwas verblassende – Ikone deutscher Nachrichtenkunst. Von beiden Formaten erwarten die Zuschauer täglich absolute Perfektion.
„Tatsächlich erlaubt man uns nicht, Fehler zu machen“, bestätigt Fuhst, „dabei wird immer wieder vergessen, dass bei uns auch nur Menschen arbeiten.“ Und anders, als von außen oft wahrgenommen, seien unter anderem die „Tagesthemen“ durchaus mit der Zeit gegangen – die Abläufe nicht mehr so starr. Dazu trage auch das neue Nachrichtenhaus mit News-Room bei. „Bei uns sitzen nicht mehr Redaktionen getrennt hinter verschlossenen Türen, sondern alle zusammen.“
Das verändere die Stimmung, die Kultur im Haus, bekräftigt Fuhst. Und bald werde man bei den „Tagesthemen“ auch seine Handschrift erkennen. „Wir prüfen derzeit, an welchen Stellen wir uns weiterentwickeln, wie wir Themen besser präsentieren und vor allem noch besser erklären können.“ Er sehe das Format nicht in seiner „größten Krise“ („Cicero“), wehrt Fuhst ab: „Das grundsätzliche Problem der ,Tagesthemen’ war und ist ihr Sendeplatz um 22.15 Uhr, nach allen anderen. Wir müssen den Zuschauern also einen Mehrwert bieten.“
Der könnte zunächst in kleineren und wird bald in größeren Veränderungen liegen. So soll das Team aus Moderator (m/w/d), Nachrichtensprecher (m/w/d) und gelegentlich Sportredakteur (m/w/d) sichtbar zusammenrücken, in dem vor fünf Jahren neu errichteten Studio. Wie Fuhst betont, verfügt es – anders als virtuelle Pendants andernorts – über echte Tische, einen echten Fußboden und eine echte, 17 Meter lange Projektionswand. In diesem News-Gehege soll es laut Fuhst in Zukunft deutlich mehr menscheln. Kein Small-talk, aber mehr Miteinander.
Eine wahrnehmbarere Veränderung wird sein, dass es bald Studiogäste geben soll – fürwahr keine Revolution im Markt, aber immerhin werden die „Tagesthemen“ damit ein Stück state-of-the-art. Macht er seinen Job ordentlich, wovon auszugehen ist, könnte Fuhst in vielleicht zwei Jahren zur Nummer eins der zentralen Fernsehnachrichtenredaktion aufrücken. Der Weg in die Intendanz wäre vorgezeichnet, siehe Ulrich Deppendorf (auch wenn der Dagmar Reim letztlich unterlag) oder Bornheim-Vorgänger Kai Gniffke. Oder Buhrow hilft einmal mehr.
Für Buhrow hat Fuhst nur lobende Worte parat. Stets optimistisch und positiv zu sein, das vor allem zeichne den WDR-Intendanten aus. Buhrow könne jedoch auch sehr nachdenklich sein. „Er hört nicht nur gut zu, sondern auch hin, was ich sehr wichtig finde“, adelt Fuhst seinen Förderer, der ihm mit den Jahren ein väterlicher Freund wurde. Sein Gestaltungswille hat den „Ziehsohn“ fasziniert und inspiriert – zu einer Zeit, als der Druck im einsetzenden Medienwandel groß war, die Marke „Tagesthemen“ in die Moderne zu überführen.
Auf naheliegende Gedankenspiele zu seinem weiteren Werden lässt sich Fuhst indes nicht ein. Er kommentiert sie mit einem kecken Lachen, betont, wie sehr ihn die jetzige Aufgabe reize. Berichtet schmunzelnd davon, dass Udo Lindenberg (mit Erstwohnsitz im Hotel „Atlantic Kempinski“ in Hamburg) jetzt quasi sein Nachbar sei. Fuhst selbst wohnt mit seinem Mann – die beiden sind seit fast zehn Jahren ein Paar, inzwischen verheiratet – nahe der Außenalster. „Ich liebe es hier, den Blick und das Wasser habe ich in den letzten Jahren echt vermisst.“
Ob Fuhst hier wirklich sesshaft werden kann, hängt auch vom gebürtigen Rheinländer – und damit einmal mehr von – Buhrow ab. Der plant nach der Übernahme des ARD-Vorsitzes zum Jahreswechsel, bei den rund 50 Gemeinschaftseinrichtungen des Senderverbundes zu sparen. Zu ihnen zählen so unterschiedliche Institutionen wie „ARD-aktuell“, der „Beitragsservice“
(Ex-GEZ) oder ARD-Filmeinkäufer Degeto. Einige könnten bald in den Osten der Republik verlegt werden. Auch Dresden liegt an der Elbe. Da soll es ebenfalls sehr schön sein.
Fotos: Frank Siemers