Wir haben Ines Pohl ausspioniert!

 

Miau?

Berufen durch ihr Talent, bekannt durch Diekmanns Gnaden: Ines Pohl war die Ober-„Tazze“. Im Clap-Gespräch kommentierte sie ihr Nicht-Verhältnis zum „Bild“-Boss, offenbarte Last wie Lust ihrer Aufgabe bei der „taz“ und geißelt die eigene Zunft.

Berlin, ach Berlin, was wärst du ohne deine Schnauze und deine Chuzpe? Durchaus galant, oft auch freches Biest, und gefällst dir in der Rolle des Mittellosen. Gäbe es einen besseren Ort für die „tageszeitung“ als hier in der Hauptstadt? Seit ihrem Start 1978 regelmäßig ohne ein Morgen, erbettelte sich die „taz“ wiederholt und mit Erfolg Rettung. Allein die Tatzenkrallen wurden stumpf, und das Innerste verströmt bis heute den WG-Mief alter Tage. Ortstermin Kreuzberg, Rudi-Dutschke-Straße: Den Weg in die Chefetage im 4. Stock säumen Alleen aus vergilbten Papierstapeln und wuchernden Grünpflanzen, verbunden durch ein ödes Altbautreppenhaus. An den Wänden Reminiszenzen alter Kampftage.

Alternativ, unorthodox, scheinbar aufbegehrend gegen jeden Ordnungssinn – die „taz“-Redaktionsräume muten wie eine Collage aus Asta-Büro und Gemeinschaftsküche an. Hier also soll Ines Pohl Zug reinbringen. „Wie machen wir’s?“, fragt die groß gewachsene, schlanke Frau zur Begrüßung. Das Entree ist unkompliziert, Pohl wirkt offen, interessiert, wahrt dennoch professionelle Distanz. Trotz Duzkultur in der „taz“: Als Kumpeltyp mag sich die hierzulande derzeit einzige Frau an der Spitze einer überregionalen Gazette nicht geben. Der Stress der vorangegangenen Wochen und Monate steht ihr im Gesicht, auch heute muss bis 17 Uhr wieder eine Ausgabe stehen.

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„Das ist schon sehr anstrengend“, kommentiert Pohl ihren neuen Job, „abends bin ich oft ein bisschen fertig.“ Immerhin fühle sie sich inzwischen „angekommen“ – kurzes Zögern: „Bin ich bereits angekommen? Ich bin auf dem besten Wege dahin.“ Auch, weil sie „viel Energie“ darauf verwandte, ihr Team – gut 120 Leute – außerhalb des Redaktionsalltags zu treffen, sich kennenzulernen, eine persönliche Beziehung aufzubauen, Gemeinsamkeiten zu erarbeiten.

Etwas burschikos

Pohl gilt als zupackend, ungeduldig („Manchmal muss ich mich bewusst zurücknehmen“) und oft etwas burschikos. Man sagt ihr nach, sie könne zuhören und lasse sich gern vom besseren Argument überzeugen. Und sie hat ein Gefühl für die richtige Dosierung, für den Moment – etwa, wenn sie sich trotz Produktionshektik auf das ausführliche Ratschen darüber einlässt, wer denn die attraktivste Frau und der attraktivste Mann in der „taz“-Redaktion seien. Mühsamer scheint da schon die aktuell laufende Debatte darüber, ob sich das Team weibliche und männliche Schreibweise in Zukunft oktroyieren sollte – als etwa Bürgerinnen und Bürger, Radfahrerinnen und Radfahrer und so fort. Ein ziemlich unnötiger Vorgang, doch Pohl lässt auch ihn zu.

Auffallend an der 42-Jährigen ist weniger ihre Unerschütterlichkeit als vielmehr die Unverstelltheit, und sie trägt nichts nach. Das macht sie berechenbar, schafft Vertrauen. Es half und hilft nicht nur im täglichen Nachrichtengefecht, sondern verbündet zudem gegen äußere Frontlinien. Etwa die der „Bild“-Zeitung in Person von Chefredakteur Kai Diekmann. Diesem hatte in Anspielung auf einen Rechtsstreit – hier geht es um das beste Stück Diekmanns – die „taz“ (noch unter Bascha Mika) einen Sechs-Meter-Phallus des Bildhauers Peter Lenk gewidmet. Seither prangt das Ding an der „taz“-Fassade.

Unbedarft?

Indes, Pohls Reaktion auf Diekmanns anschließende Provokationen wurde von ihm als „unbedarft“ abgekanzelt. Tatsächlich schwingt bei Pohl Rat- bis Hilflosigkeit mit, wie mit dem Wandfries umzugehen sei: „Ich finde das Lenk-Machwerk gestrig und auch doof, dass es da hängt, aber – ich guck grad aus dem Fenster – es ist für mich jetzt in der Tat auch ein bisschen Schnee von gestern.“ Wie denn heute ihre Beziehung sei, zu diesem Diekmann, der längst selbst „taz“-Anteile hält – was zur Vermutung verleiten könnte, alles sei lediglich ein PR-Trick gewesen. „Ich finde einige seiner Einlassungen mir gegenüber unverschämt.“ Sie begegne ihm „höflich-distanziert“, habe „kein persönliches Verhältnis zu ihm und strebe das auch überhaupt nicht an“. Und sein inzwischen abgeschaltetes Blog? Nicht interessant, dem entzog sie ihre Zeit und Beachtung.

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Damit steht Pohl gegen das Gros ihrer Zunft, die sich mit Hochgenuss an dem bis in die „taz“-Telefonwarteschleife reichenden Scharmützel delektiert. „Die deutsche Medienlandschaft ist sicher sehr selbstreferenziell“, sagt sie trocken, „da ist dann so eine schrille Figur wie Kai Diekmann natürlich was Außergewöhnliches.“ Mutiert der Journalismus zum Voyeurismus? Muss derlei als Beleg für den schleichenden Qualitätsverlust der Medien gewertet werden? Pohl will das nicht in einen direkten Zusammenhang bringen. Stattdessen verweist sie auf die zunehmende Konzentration. Die wirke viel stärker negativ auf die Qualität des Journalismus, beschleunigt durch die Finanzmarktkrise.

„Zwischen Verlagen und Anzeigenkunden wachsen die Abhängigkeiten“, maunzt die „taz“-Mieze und sieht „die Pressefreiheit im engeren Sinne in Gefahr.“ Parallel regiere der Rotstift, „das merkt man den Blättern allmählich auch an“. Fehlt es heute an Verlegerpersönlichkeiten? Pohl überlegt ihre Antwort gut: „Ich sehe schon ein Problem darin, dass viele Verleger sich zunehmend als Geschäftsleute verstehen, die im Zweifelsfall auch Schrauben verkaufen könnten, aber keine publizistische Grundidee mehr haben beziehungsweise ihre demokratische Verantwortung vernachlässigen.“ Hinzu komme ein Verlust an Ethos unter den Journalisten, es fehle vielen an Haltung und Anstand.

Schon gern im Scheinwerferlicht

Sie selbst kann, sie will es besser machen. Ende 2009 hatte ihr das „Medium Magazin“ mit der Auszeichnung „Newcomerin des Jahres“ vorsorglich den entsprechenden Auftrag erteilt – auch wenn ihr Medienpreise ziemlich wurscht sind. Sagt Pohl nicht, man merkt es ihr aber an. Die Frau ist Überzeugungstäterin, Bewunderung zu erheischen ist ihr zuwider. Dabei steht sie „schon gern im Scheinwerferlicht“, nutzt Podien, um öffentlich die „taz“-Stimme zu erheben.

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Sie ist gewiss ein Solitär, nur wenige Frauen tragen Führungsverantwortung im Printsegment. „Das liegt sicher an den mangelnden Vorbildern und daran, dass Männer besseres Networking betreiben.“ Dabei zieht sie einmal mehr eine Augenbraue hoch und wirkt für Augenblicke wie eine linke Anne Will. „Das hab ich schon gemacht, bevor Will auf Sendung war, ist wohl eine Macke von mir“, sagt sie lachend, Schon gern im Scheinwerferlicht Unbedarft? „mein älterer Bruder macht das übrigens auch.“ Dann knöpft sich Pohl erneut ihre Geschlechtsgenossinnen vor: Vielen Kolleginnen fehlten Bereitschaft und Mut, Macht und Verantwortung „auch letztlich auszuüben und auszuhalten“. Eine emanzipierte Haltung, nicht von ungefähr war Pohl in ihrer schwäbischen Heimat in der Frauen- und Lesbenszene aktiv. Damals focht sie für mehr Respekt im Umgang; das Kämpfen für die aus ihrer Sicht richtige Sache hat die einstige Friedensaktivistin stets ausgezeichnet.

„Ja, ich habe wirklich die Vision, die Welt etwas besser zu machen.“ Doch nicht altruistisch, erst recht nicht verbohrt; sondern voll Lebenshunger: Pohl, die selbst in Kreuzberg lebt und täglich auf ihrem Drahtesel zur Arbeit reitet, lacht gern und viel, sie weiß die guten Momente auszukosten. Und wenn sie ins Reden kommt, über gute Kindheit und Elternhaus – der Vater Facharbeiter im Automobilbereich, die Mutter Kindergärtnerin –, wird ihr Schwäbeln hörbar. Musikgymnasium, Gesangsausbildung, dann zum Schafezählen nach Neuseeland und nach dem Sprachstudium („Ich wollte mal nach Schweden auswandern und Deutsch unterrichten“) vom Volontariat bis an die Redaktionsspitze.

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Auf die Frage, ob sie sich im Establishment angekommen fühle, reagiert Pohl beinahe erschrocken: „Überhaupt nicht!“ Aber sie habe nun die Möglichkeit, die Dinge auf eine Art mitzugestalten, „die mich sehr, sehr befriedigt“. Wie schon während des gesamten Gespräches hat sie dabei ihren Blackberry im Blick, tippt bisweilen wie beiläufig darauf herum. „Ich bin schon ein bisschen gefährdet, ein Junkie zu sein. Abends, wenn’s geht, schalte ich ihn aus, manchmal nehme ich ihn auch ganz bewusst nicht mit.“ Zumeist scheitert ihr guter Vorsatz. Chefredakteurinnen und -redakteure sind eben auch nur Menschen. Vielleicht zeichnet Pohl gerade aus, dass sie das nie vergisst.

(Bijan Peymani) Fotos: Daniel Häuser, Bulo