Kemper, der Keiler

In einer der ersten Clap-Ausgaben hatten wir 2007 (damals noch im alten Layout) ein Porträt von Opernball-Fan und Amateur-Boxer André Kemper, das wir heute aus aktuellem Anlass online stellen. Wer ist der Mann, der schon mal ausholt, um seine Freunde zu beschützen? Eine hautnahe Beobachtung von Clap-Chefreporter Bijan Peymani …

Kleiner Keiler

Er sei ruppig, aggressiv, unberechenbar – na klar, gibt André Kemper im Gespräch mit Clap zu und rät Mitmenschen vorsorglich, Abstand zu halten. Wie er so mit den Klischees um seine Person kokettiert, will dieser Ausnahmekreative in Wahrheit doch nur eins: gemocht werden.

Hamburg, Große Bleichen, ein so schlichtes wie unübersehbares Schild an der Eingangstür. Und eine Sau am Fahrstuhl: Via Flachbildschirm in der Wand grunzen von Harald Schmidt vertonte Spots für den Media-Markt in einer Endlosschleife. Vielleicht das bekannteste Werk der noch jungen Reklamewerkstatt Kemper Trautmann („kt“). Acht Stockwerke höher läuft gerade die Feinabstimmung der neuen Audi-Kampagne.

„Herzlich willkommen!“ – André Kempers Begrüßung ist ehrlich und direkt, der Smalltalk eher von Zurückhaltung denn von der üblichen Schaumrhetorik seiner Zunft geprägt. Couch-Garnitur mit Binnenalster- Blick, eine kunstvoll bearbeitete Wand aus Olivenesche und jede Menge Glas: Auf allen fünf „kt“-Etagen das gleiche Bild. Wie Mega-Aquarien voller Zier- und Kampffische wirken die spartanisch eingerichteten Büroräume. Ob es eine Wette gegen sich selbst gewesen sei, dieses Reich zu erschaffen? „Durchaus“, räumt Kemper ein. Nach 13 erfolgreichen Jahren habe er wissen wollen, wo er selbst – ohne Springer & Jacoby – stehe. „Dann kam BBDO, und da gab es in den sechs Monaten nicht nur Applaus.“

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Das ist euphemistisch formuliert. Für ihn, das Ausnahmetalent, das immer auf Sieg gesetzt und meist gewonnen hatte, war jene Zeit eher so etwas wie der persönliche Jakobsweg. „Ich habe mich gefragt: Wie gut bin ich wirklich?“ Kemper weiß, dass er gut ist. Alle wissen es. Doch so ganz scheint seine Verunsicherung nicht gewichen zu sein. Dritten offenbart der André im Kemper eine latente Angst vor erneuten Verletzungen. Eher unbewusst, wenn er eine Ewigkeit lang redet, ohne seinen Gesprächspartner anzusehen. Oder wenn er auffallend häufig das schützende „Man“ gebraucht, wo ein bekennendes „Ich“ angebracht wäre. Da sitzt er nun, braun gebrannt mit jungenhaftem Charme. Schwarze Hose, perfekt gebügeltes weißes Hemd, blitzblanke Schuhe. Lässt beim Zuhören und mehr noch beim Sprechen immer wieder eine kleine Dose „Scruf“ über die Finger wandern – skandinavischen Kautabak, mit dem ihn seine schwedische Assistentin Kristina versorgt, „aber nur ein- oder zweimal im Jahr, sie hält mich da auf Sparflamme“.

Junge oder Raubein?

Manchmal rollt das Döschen in Kempers Schoß. Dann wirken die Hände wie befreit, reden ohne Unterlass, während er über alte S&J-Zeiten und moderne Führung sinniert. Gott, diese Hände – wie alt mag der Kerl wirklich sein? 18, 19 vielleicht? Schon drängt sich die Frage auf, womit der gebürtige Hamburger eigentlich mehr kokettiert: Ist es diese Jugendlichkeit oder doch eher sein Raubein-Image? „Was glauben Sie, wie die Leute André Kemper sehen?“ Auf diese Frage hat der Vater eines Mädchens und eines Jungen nur gewartet. „Ich denke, dass ich polarisiere“, sagt Kemper nach einer wirkungsvollen Pause. Um dann diesen einen Satz auszukosten, die Entwicklung von „kt“ habe „mir gezeigt, dass man nicht nur auf den Schultern eines Riesen gut sein, sondern auch selbst etwas schaffen kann“. Kemper wirkt wie erlöst; die Hackordnung stimmt wieder, im Bestienstall der Werbung. Von null auf mehr als ein Dutzend Kunden und über fünf Millionen Euro Umsatz in diesem Jahr. Ohne das wärmende Nest einer Großagentur, ohne Konstantin und „Reini“, wie Kemper bis heute die Überväter einer ganzen Werbergeneration mit einer Mischung aus Zuneigung und Respekt nennt. Das inzwischen 44-jährige Babyface ist stolz auf die eigene Emanzipation.

Mit Partner Michael Trautmann hat der Top-Kreative binnen drei Jahren „Deutschlands kleinste Großagentur“ hochgezogen. Für das Team, heute gut 50 Leute, nicht immer einfach. „Ich lass halt auch schon mal die Sau raus“, bekennt Kemper. „Große, sichtbare Kampagnen auf einem · · · “Ich la ss ha lt auch schon ma l die Sau raus!“ (André Kemper) kreativ hohen Niveau hinzukriegen ist eben supersuperschwierig.“ Oder profaner ausgedrückt: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Gute Werbung ist harte Arbeit und Energie in Kempers Gleichung die Variable. Sich und andere permanent in Bewegung zu versetzen sei „eine der wichtigsten Führungskomponenten“ – das geht mit leisen Tönen à la Jean-Remy von Matt und „manchmal auch mit lauter Schocktherapie“, fast etwas prollig wie Vorbild Konstantin Jacoby. Management by WYSIWYG: Kemper ist echt, ein Freigeist, der mit seiner schier unbändigen kreativen Kraft zerstören will, um Besseres zu erschaffen.

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Boss und Actionheld: Er sei cholerisch, schmeiße mit Computern, Stühlen und Mülleimern durch die Gegend. All das ist ihm bekannt, „ich bin ja weder blind noch taub“. Doch nicht schwarzes Loch, sondern Pulsar will er sein. Die Menschen sollen nicht nur an André Kemper glauben, sie sollen ihn um seiner selbst willen mögen. „Was man über mich sagt, ist oft Klischee, ich habe mir abgewöhnt, mich damit intensiv zu befassen – hin und wieder bedient man es auch rein aus Daffke.“

Nicht ohne Funkenflug

Von seinem Stil bleibt Kemper, Sternzeichen Widder, überzeugt: „Erfolg macht Talenten mehr Spaß als reine Harmonie. Wenn aus Energie und Hitze außergewöhnliche Dinge entstehen, mögen das die Leute.“ Weil solches bei Kemper nicht ohne Funkenflug abgeht, hält man besser räumliche Distanz. Privat, bei Maren, spürt er dagegen diese Sehnsucht nach Ruhe und Geborgenheit. Und tankt Kraft für sein „Abenteuer“ Werbung, das nie geplant war. Fast hätte André nach der Realschule den Azubi im Handwerk gegeben, parallel lockte der Otto-Versand. Doch er baute sein Wirtschaftsabi und entdeckte die Liebe zum Kreativgeschäft. Auch Andrés drei Jahre jüngerer Bruder Wulf-Peter macht heute in Werbung. Und so verloren Vater Wulf und Mutter Elke – in der Modewelt zu Hause – am Ende beide Söhne an die Reklame.

(Bijan Peymani) Fotos: Clap 06