Wolfram Weimer hat mit seiner Verlagsgruppe zuletzt mit der größten „Tageszeitung der Welt“ für Aufsehen gesorgt. Clap konnte den Chef der Weimer Media Group als regelmäßigen Kolumnenschreiber gewinnen. Los geht’s mit einem Kommentar zum umstrittenen „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“.
Heiko Maas hatte es gut gemeint. Doch sein Eifer gegen vermeintliche „Fake News“, „ausländische Desinformation“ und „Hasskommentare“ hat ein fatales Gesetz hervor gebracht. Was technokratisch verschleiernd „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ heißt, ist in der Realität das erste Wahrheitsgesetz der deutschen Geschichte.
Bislang hat sich unser Staat nicht in Debatten seiner Bürger eingegriffen und sich angemaßt, über Wahrheit oder Lüge zu entscheiden. Bislang gab es eine hohen Respekt vor der Meinungsfreiheit einer Bürgergesellschaft. Bislang fühlte sich die politische Klasse nicht attackiert durch neue Kritik von innen oder außen. Die Grenzen der Meinungsfreiheit waren im liberalen Rechtsstaat weit gesteckt und ihre Zäune waren durch Gesetze wie Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede und Volksverhetzung und einen Pressekodex recht klar definiert. Doch das reicht Berlin offenbar nicht mehr. Die Regierung zieht neue Zäune von Gesagtem und Gelogenem, von Schein und Wahrheit, von Fake und Fantasie hoch. Man wird den Verdacht nicht los, dass es hier in Wahrheit um einen Kampf gegen neue Kritik geht – um eine Einschüchterungsoffensive. Denn die bisherigen Gesetze decken alle von Heiko Maas vorgebrachten Beispiele von Kommunikationsvergehen bereits ab.
Der Marsch in eine Republik aus Selbstzensur und Wahrheitsministerium ist gefährlich, denn es greift die Integrität der Bürgergesellschaft in ihrem Innersten an. Er verletzt unsere politische Kultur der Meinungsfreiheit und verschiebt die Koordinaten der Gewaltenteilung.
Bislang verstehen sich freie Demokratien so, dass keine Obrigkeit entscheidet, was richtig und falsch ist. Dass der Staat nicht kontrolliert und überwacht und zensiert, dass er nicht zur Wahrheitspolizei mutiert, denn die darf es in freien Gesellschaften nicht geben. Die Freiheit besteht ja gerade darin, dass man das Oppositionelle, das Andersgedachte, ja auch das objektiv Falsche toleriert. So war die These vom deutschen „Waldsterben“ eigentlich eine „Fake News“. Hätte man sie in den Siebzigern staatlich bekämpfen und unter Strafe stellen sollen? Nein, Meinungsfreiheit darf sich nicht weder der Mehrheit, noch der Regierung noch dem politischen Diktat unterwerfen, nicht einmal dem gut gemeinten.
Es ist also kein Wunder, dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz weiträumig für Entsetzen und Kritik sorgt. So warnt der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) von der staatlichen Einsetzung einer privaten Meinungspolizei. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) weist daraufhin, dass nicht nur die Plattformbetreiber, sondern sämtliche Medien, die auf sozialen Plattformen präsent sind, von dem Gesetz betroffen sind. Der IT-Branchenverband Bitkom ist ebenfalls alarmiert: „Ob es sich bei einer Äußerung um Beleidigung, Verleumdung oder eine sonstige strafrechtlich relevante Aussage handelt, ist mit wenigen Ausnahmen nicht in kurzer Zeit und manchmal auch nicht abschließend ohne einen juristischen Instanzenweg zu klären. Der vorliegende Gesetzentwurf führt als Konsequenz zu einem Löschen auf Zuruf“.
Deutschland droht nun eine umfassende Löschbeflissenheit des vorauseilenden Gehorsams. Es wird im Zweifel mehr gelöscht, als notwendig wäre. Man hat ja nur 24 Stunden Zeit, als keine Zeit etwas seriös zu überprüfen, also wird weiträumig gelöscht. Wir Medien- und Netzwerkbetreiber sind seit Jahresbeginn gezwungen, ohne vorhergehende richterliche Überprüfung Schnellermittler, Schnell-Richter und Schnell-Henker über die Meinungsfreiheit zu werden. Wir werden zu billigen Handlangern eines üblen Zensurgesetzes degradiert.
Wenn Heiko Maas nun erklären läßt, „zum Schutz der Meinungsfreiheit“ werde „ein behutsames Vorgehen der Bußgeldbehörde angezeigt“ dann klingt das beängstigend nach Orwells „Neusprech“ und „Gutdenk“.Wir sollten Heiko Maas mal eine Ausgabe von George Orwells „1984“ schenken. Sein Traum von einem Wahrheitsministerium führt wirklich in die Irre. Die Grünen und die FDP haben mit ihrem Appell zum Jahresstart völlig Recht: Schafft dieses Gesetz sofort wieder ab!
Text: Wolfram Weimer
Foto: Alexander von Spreti