Marion Horn wollte nie eine große Nummer sein. Doch Liebe und Leidenschaft trieben die Mutter zweier Töchter bis an die Spitze der „Bild am Sonntag“. Auch, weil sie sich innerlich und äußerlich treu blieb. Im Clap-Gespräch macht die Horn ihr Herz laut über schicksalhafte Fügungen und den Preis ihrer Karriere – und verrät, was ihr zu einem erfüllten Leben fehlt. Ein Porträt aus Clap-Ausgabe 50:
Die Frau ist der Hammer! Keine Stunde, nachdem ihr die eigenen Bonmots zur Abstimmung vorliegen, greift Marion Horn schnell selbst zum Hörer. Fliegt durch die Passagen, amüsiert sich über ihre derbe Wortwahl, streicht hier ein „geil“ und da ein „Scheiße“ und lässt den Rest doch unverändert. Freigabe? Erteilt die „BamS“-Chefin persönlich, vorbei am stets eilfertigen Springer-Pressekorps. Horn braucht keine Abfangjäger und keinen Geleitschutz. Sie nimmt sich heraus, authentisch zu sein – ungeachtet der Position, ungeachtet der äußeren Umstände.
So war das schon zu Bauers Zeiten. Damals, Horn war gerade Mitte 20 und zu Deutschlands jüngster Chefredakteurin avanciert, wollte der Verlag sie fürs Macho-Medien-Business stylen. „Da gab es auch diesen Rhetorik-Coach“, grinst die inzwischen 48-Jährige. Nachdem der sie einen Tag lang in seinen Fängen hatte, seufzte er, er könne ihr die Art abtrainieren, wie sie sei, das aber würde ein langer, schmerzhafter Prozess werden. „Stattdessen riet er mir, nur Sachen zu machen, an die ich wirklich glaube“, erinnert sich Horn. Sie hat sich dran gehalten.
Magenweh und Herpes
„Irgendwas zu vertreten, was ich für Unfug halte, kriege ich nicht hin. Ich kriege Magenweh und Herpes und fange an, mit den Augen zu rollen.“ Entspannt beugt sich die Macherin der hierzulande immer noch größten Sonntagszeitung über ein lederbezogenes Stehpult, das eher aussieht wie ein Seitpferd. Ihr Blick schweift aus dem 16. Stock des Axel-Springer-Hauses in Kreuzberg ins Nichts. Im Hintergrund die „Bild“-Collage von Jens Lorenzen, ein Duplikat. Horn ist ein Original. „Ich habe nicht genug Kraft, etwas gegen meine Überzeugung D Titel clap 07 Magenweh und Herpes zu tun.“ Kraft – ein Wort, das sie auch in anderem Zusammenhang gebraucht. Etwa mit Blick auf so manchen aufreibenden Twitter-Dialog mit Kollegen. Wie damals, kurz nach ihrem Antritt bei der „BamS“, mit Springer-Manager Pit Gottschalk, dem sie unterstellte, ihren Leitartikel nicht gelesen oder einfach nicht verstanden zu haben. Es ging ein bisschen hin und ein bisschen her; andere, auch ihr Mentor Kai Diekmann, schalteten sich ein. Am Ende des Tages zwitscherte Horn mitgenommen: „Heute stehe ich negativen Gedanken nicht zur Verfügung.“
Ein anderes Mal blaffte sie jemanden via Twitter an, ob er noch alle Latten am Zaun habe. Die heftige Gegenreaktion ließ nicht lange auf sich warten, Horn entschuldigte sich für ihren Ton – damit Haken dran. Hätte man, hätte sie hoffen können. Doch jetzt schoss ihr Gegenüber erst richtig zurück und frotzelte, weil keine Antwort mehr kam, das Mädchen (also sie) sei wohl gekränkt. „Darüber habe ich mich tagelang geärgert und gedacht: Darf man eigentlich in diesem Medium nicht auch mal zugeben, dass man was falsch gemacht hat?“
„Zwei-Phasen-Mutter“
Sie habe die Kraft nicht für so einen „Battle“, sagt sie heute. „Das hört ja auch nicht auf. Du schreibst was, dann kommt was zurück, dann schreibst du wieder und so weiter. Ich mach da jetzt in Twitter nicht mehr viel.“ Äußerlich frisch und mit purer Lust bei der Sache, wirkt die Horn innerlich erschöpft, nach diesem halben, so wahnsinnig intensiven Leben. „Um ehrlich zu sein, finde ich alles schwierig, was noch on top kommt.“ Ihre Zeit als Alleinerziehende war eine Grenzerfahrung, der Alltag mit Job und zweiter Tochter, fast fünf, ist stressig genug.
Auch wenn Horn inzwischen einen Mann an ihrer Seite hat. Die junge Familie lebt heute in Berlin, nachdem Marion mit ihrer „zweiten großen Liebe“, wie sie ihn nennt, anfangs eine Fernbeziehung führte und zunächst wieder allein erzog. Ein Kind mit 21, eines mit 43 – das brachte ihr im Frauenmagazin „Myself“ ein Porträt als „Zwei-Phasen-Mutter“ ein. Und wie geht’s der Zwei-Phasen-Mutter?„Ich bin immer am Rande des Nervenzusammenbruchs, es ist ein bisschen so, als wenn man an zwei Enden brennt.“ Weshalb denn so jung das erste Kind? Weiß sie auch nicht. Sie sei so verliebt gewesen, voller Hormone, habe halt unbedingt Mama sein wollen. Vielleicht, weil sie „aus keiner sehr heilen Familie“ kommt, und sicher, weil sie es besser habe machen wollen, in ihrer Rolle. „Es war ein Wunschkind!“ Ein „Glory-or-grave-Job“ allemal. Schließlich hatte die gebürtige Kielerin gerade ihr Volontariat beim W&WVerlag in Hamburg absolviert, den dornigen Weg als freie Journalistin gewählt und sich vom Kindsvater getrennt, mit dem sie aber bis heute ein gutes Verhältnis verbindet, wie sie betont.
Mal im Stile einer Horn zurückgefragt: Hatten Sie da noch alle Latten am Zaun? Sie waren doch selbst quasi noch ein Kind! Horn lächelt, zögert kurz: „Hm, ja. Sag ich aus der heutigen Perspektive auch. Damals fühlte ich mich unfassbar erwachsen. Aber in der Tat war das kein Scheißdreck.“ Horn lässt sich in einen Patchwork-Sessel fallen. Erzählt von Phasen, in denen sie absolut kein Geld gehabt, nicht gewusst habe, wie sie überhaupt ihre Miete zahlen und ein Kind ernähren solle. Sie habe sich „auf jeder erdenklichen Ebene sehr allein gefühlt“, sagt sie. „Daraus ist ein Gefühl der Stärke entstanden. Ich habe mir gesagt: Zur Not machst du eben Toiletten sauber.“ Die Latrinen blieben verschont, von Springer ging’s über Bauer zurück zu Springer. Hoch und höher, ohne Masterplan, wie Horn versichert: „Alles, was ich je plante, war in Wahrheit eher kontraproduktiv.“ Sie sei einfach ihrer Leidenschaft gefolgt. „Ich hatte nie vor, ’ne große Nummer zu werden. Ich wollte mein eigenes Geld verdienen können und nie abhängig sein, von einem Mann. Das war auch schon alles. Und ein eigenes Auto haben.“
Die Butter bleibt auf dem Brot
Horn lacht. Ihr blauen Augen funkeln wie Diamanten, und der sinnliche Mund wippt durch ihr wunderschönes Gesicht. Ein Gesicht, dem nichts Menschliches fremd zu sein scheint. Was hat diese Frau für eine Ausstrahlung: stark und sensibel zugleich, das Herz auf der Zunge und am rechten Fleck. Aber auch eine, die sich die Butter nicht vom Brot nehmen lässt. In ihr sieht es oft anders aus: „Ich habe leider schlimmste Selbstzweifelattacken, falle gern alle vier Wochen in so ein Loch: Ich kann das alles eigentlich gar nicht, und morgen wird man das entdecken.“
Ach Hörnchen, du bist echt süß! Komm her und lass dich drücken. Im aktuellen „BamS“-Werbespot wirkt Horn so klar, ausgestattet mit einer Grundhärte. Jetzt im Gespräch zeigt sie sich weich, verletzlich und so wohltuend weiblich, zwischen all den Alphamännern, die häufig durch noch toughere Führungsfrauen übertrumpft werden. Zum Schluss glaube sie dann doch stets fest daran, es irgendwie hinzukriegen, sagt Horn. Ähnlich muss es gewesen sein, als sie vor ihrer wohl schwersten Entscheidung stand: Familienglück oder Karriere.
Zum ersten Mal im Leben frei
Denn als Springer immer mehr Verlagsteile nach Berlin verschob, traf es auch ihren Bereich. Die Große studierte noch und blieb allein in Hamburg zurück. „Ich bin schweren Herzens weggegangen“, sagt Horn. Und man nimmt es ihr ab, auch wenn sie an anderer Stelle sagt, sie sei beruflich nicht zu Opfern bereit. Aber in diesem Moment ist sie ganz Mutter. „Ich fand die Situation so absurd, dass Mutti auszieht, ich habe wirklich damit gehadert, dass der Job mir abverlangt, mein Kind zurückzulassen. Das fand ich ziemlich scheußlich.“
Das Normale sei ja, dass irgendwann die Kinder ausziehen und „die Mütter dann gefälligst heulend zurückbleiben“. Andererseits, sagt Horn, sei sie „zum ersten Mal in meinem Leben frei“ gewesen. Bis zu jenem Zeitpunkt, als sie nach Berlin ging, hatte sie nicht einen einzigen Tag allein gelebt. Bei allem Trennungsschmerz: Die schicksalhafte Fügung musste für Horn wie eine Befreiung wirken. Wer in ihre Nähe kommt, spürt diesen unbändigen Drang nach Unabhängigkeit. Typisch Steinbock-Frau: Sie pocht auf ihr eigenes Leben, will sie selbst sein.
Ein Bedürfnis, das für Horn längst unstillbar geworden scheint: „Die Einzige, die in meinem Leben keine Rolle mehr … „Zwei-Phasen-Mutter“ Titel 08 clap Die Butter bleibt auf dem Brot Zum ersten Mal im Leben frei … „Ich bin immer am Rande des Nervenzusammenbruchs.“ Marion Horn Titel 10 clap spielt, bin ich.“ Das sei eben der Preis für ihren Aufstieg. Sie wolle ja nicht jammern, bremst sich die „BamS“-Chefin ein: „In meinem Leben ist verdammt viel sehr gut gelaufen, oft gegen jede Wahrscheinlichkeit.“ Und sie liebe ihren Beruf, selbst nach bald 30 Jahren noch. Ihre Kinder und den Mann sowieso. Aber ihr größtes Glück empfinde sie, „wenn ich fünf Minuten meine Ruhe habe und stumpf auf eine Wand gucken darf“. Der Satz musste raus, den schien die Horn während des gesamten Gesprächs nur mühsam fesseln zu können. Jetzt war der Augenblick gekommen, ihn loszulassen. Schweigen. Horn steht am Fenster, die Arme vor der Brust verschränkt, den Kopf gesenkt: „Ich habe eine intensive Sehnsucht, mal für einen Moment für mich allein zu sein.“ Das nervt sie wirklich. „Ich klaue mir kleine Minuten für mich.“ Aber sie könne derzeit zum Beispiel „nicht mal ein Buch lesen, ich bin einfach unfassbar müde, wenn ich diesen irren Tag hinter mir habe“.
Neulich sei sie „richtig wütend“ geworden, weil eine Nachbarin ihr vorhielt, Horn habe ja nicht mal Zeit, zusammen zur Kosmetik zu gehen. „Ich hatte nur Lust, sie zu schlagen – ich bin jemand, der unglaublich gern allein mit sich ist.“ Das fehlt ihr im Alltag wirklich total, „und ich weiß auch nicht, wo ich diese Zeit herholen soll“ – Pause – „das ist gerade echt Shit“. Selbst wo andere mal Momente für sich empfinden, kommt die Horn nicht zur Ruhe. Beim Friseur zum Beispiel, auch so ein Thema, wo ihr die Haare hochgehen.
„Der Grund, warum ich nicht mehr zum Friseur gehen mag, ist: Die wollen immer mit einem reden. Ich habe jetzt eine Frau, die kommt alle zwei Monate zu mir, und der Deal ist: NICHT SPRECHEN!“ Und bis sie begriffen habe, dass die Berliner Taxifahrer reden wollten, dass die einfach unhöflich würden, wenn man ihnen nicht ein bisschen Futter gibt, das habe lange gedauert. Umgehen kann Horn damit trotzdem nicht. Ebenso wie mit anderen Eltern. „Gehen Sie mal auf so einen Spielplatz! ,Annamaria ist immer total blockiert‘ – grau-en-voll!“
Oder erwachsene Männer, die plötzlich anfangen, in Babysprache zu reden. „Ach Jacqueline, ich weiß auch nicht, was du die letzten Male hattest.“ Horn redet sich jetzt richtig in Rage: „Und dieser ganze Mutter-Erde-Kack: ,Ja, diese Kekse habe ich selber gebacken.‘ Ich finde Eltern ganz schwer zu ertragen. Ich weiß auch nicht, warum ich mich mit den anderen Eltern zusammentun soll, nur weil die sich auch fortgepflanzt haben. Hab mit denen nichts gemein. Höchststrafe Spielplatz! Ganz schlimm.“ In Horns Hirn startet ein irres Kopfkino.
Aber warum tut sie sich all das noch an? Ein Leben, in dem sie sich selbst verliert? „Diese Aufgabe mit diesem Weltklasse- Team sehe ich als mein Masterpiece, und die möchte ich zu einem erfolgreichen Ende bringen.“ Danach soll etwas anderes passieren. Wann ist „danach“? „Die Halbwertszeit von Chefredakteuren hier ist, wenn man nicht Kai Diekmann heißt, zwei bis fünf Jahre, und eines hab ich im Oktober rum.“ Sie wolle das jetzt hier machen, wolle, dass man zum Schluss sagt: Hey, das Ding ist gedreht, die Auflage stabil und das Medium in der Jetztzeit angekommen. „Und danach würde ich gern außerhalb der Redaktion etwas Spannendes tun. Das treibt mich schon länger um.“ Sie wird, da darf man sicher sein.
(Bijan Peymani) Fotos: Frank Siemers