Bily wundert sich: über die Selbstzerstörung des traditionellen Journalismus

Früher hatte ich „Spiegel“, „Stern“, „Schöner Wohnen“, „Essen & Trinken“ und die Süddeutsche Zeitung“ (über 30 Jahre) mit Freude abonniert – und gelesen. Nun bin ich zwar deutlich älter, aber bei Leibe kein Nostalgiker, wenn ich sage. Es macht mich traurig zu sehen, wie sich Journalismus selber konsequent in die Bedeutungslosigkeit degradiert.

Klus statt Kracht oder Klum statt Kruse?

Wie heißen sie eigentlich? Früher kannte man die Chefredakteure und Anchor-Mans (nein, ich gendere nicht) des deutschen Journalismus. Heute nimmt das breite Publikum bestenfalls Randnotiz, wenn sie sich selbst zerstören oder selber schaden durch unprofessionelles Auftreten in der neuen medialen Welt.

Immer weniger Zeit und Aufmerksamkeit für Journalismus.

Die Mehrheit der Leser und User spürt, dass die klassische Journaille um Luft ringt. Dass viele auf dem anspruchsvollen, meist unwegsamen und bisweilen hinterlistigen Info-Terrain nicht mehr zurechtkommen. Die Fähigkeiten altgedienter Journalisten haben in der Online-Welt keine echte Durchschlagskraft. Harmloser Begleit-Journalismus, ungelenke Enthüllungsstorys wie die der „SZ“ in Sachen Aiwanger und persönliche Scharmützel von Ex-Größen nagen an der Reputation des Berufsstandes und an der Anziehungskraft der angebotenen Inhalte. Die 2010er Jahre fühlten sich noch an wie kuschlige Ausläufer der besten Zeiten. Spätestens mit dem Siegeszug der neuen Medien – den viele lange nicht wahrhaben wollten und wollen – fand man sich schnell in einer eisigen Abwärtsspirale.

Survival of the fittest.

Ehemalige Spitzenreiter von Online-Rankings, wie Focus Online, haben die Spielart gewechselt und verkaufen nun dank ihrer Reichweite lieber Matratzen, Wein oder Rasendünger statt Journalismus. Andere, wie die G+J Marken – dictatored by Berteslmann – haben den Zähler der IVW Messung abgestellt, um dem Leiden nicht ins Auge blicken zu müssen. Und auch der „Spiegel“ muss registrieren, dass es mit der Online Nutzung bergab geht – in einer zunehmend digitalen Welt. Überall wird es heller, nur bei uns geht das Licht aus?

Erfreulicherweise gibt es auch in dieser Branche ein paar Fitte, die wissen, wie sie als Journalisten weiterhin Erfolg haben und überleben können. Beispielsweise Gabor Steingart und sein Pioneer-Team: Podcasts? Vom Schiff? Und dann auch noch gegen Bezahlung? Haha…

Aber die Spötter solcher neuen journalistischen Angebote werden leiser. Sie erkennen, mitunter neidvoll, dass es nicht nur fachliche Ausbildung braucht, sondern vor allem Mut, Selbstbewusstsein, Neugier und Innovationsgeist. Dann glaube ich, gibt es auch in Zukunft wenig spannendere Berufe als Journalist. Und wir User widmen den Inhalten wieder deutlich mehr Zeit und Aufmerksamkeit.

Digitalstratege und Ex-Verlagsfachmann Thomas Bily schreibt regelmäßig für Clap. Mehr über ihn erfahren Sie auf seiner Webseite digital-age.marketing.

Foto: Alexander von Spreti