Thomas Bily, Vorstand Gruender Wizelife Muenchen

Bily wundert sich: über die „bewusste Reichweite“

Die Reichweite ist tot! Es lebe die bewusste Reichweite! Zumindest möchte Media Impact zusammen mit dem Institut für Demoskopie Allensbach „eine Debatte anstoßen“, die der besonderen Wirkung von Qualitätsmedien in diesen wilden Zeiten wieder gerecht wird. Das erinnert mich an die Drogenszene aus Pulp Fiction: „Das ist bewusste Qualität deutscher Medien. Wenn du die liest, weißt du, warum. Der Stoff ist der reinste Wahnsinn.“ 

Ein raffinierter Ansatz, der fast genial anmutet, wenn man sich bewusst wird, dass die bisher messbaren Leistungsdaten wie harte Auflage oder TV-Reichweiten nicht mehr so richtig performen. Der „Stern“ beispielsweise verkauft in den ersten drei Ausgaben 2019 (IVW 1-3/2019) noch rund 125.000 Exemplare am Kiosk und hat noch 166.000 Abonnenten, also 291.000 harte Auflage – für die sich Menschen bewusst entscheiden. Dazu kommen noch die  unbewussten Auflagen-Bestandteile wie Bordauflage, Lesezirkel und die Sonstigen aus dem Reich des Unterbewusstseins. In Summe werden rund 490.000 Exemplare ausgewiesen. 
 
Es wird also höchste Zeit, dass man sich auf den bewussten Teil konzentriert. Die bewusste Print-Reichweite wird dann halt nur halb so groß ausfallen – aber endlich realistischer. Wir sprechen dann über destillierte Medienqualität aus „Bild der Frau“, „Bayerwald-Bote“ und „Stern“. Noch zu klären ist, wie viel Bewusstsein Zuschauern von Dschungel-Camp oder Love Island attestiert werden kann. 
 
Im digitalen Bereich wäre die bewusste Reichweite übrigens auch sofort anwendbar. Mit Seitenaufrufen, Verweildauer, Bouncerate oder Net Promotor Scores kann man sehr gut messen, was die User wie lange nutzen, bewerten oder weiterempfehlen. Verfügbare Zahlen, die zum Ausdruck bringen, ob sich ein User nur verirrt oder verfangen hat auf einer Seite, oder ob er sie bewusst nutzt. Damit käme man auch weg vom aktuellen, elendigen Geschäftsmodell der AI-Maximierung. Mit SEO-Kräften, Cliff-Hängern, Abnehmtricks oder Unwetter-Inszenierungen versucht man viele User auf Webseiten zu locken. Hauptsache sie generieren durch ihren Besuch Ad Impressions, die man den Kunden für ihre Werbung anbietet. Das ist so, als würde man Hühner mit Monsanto-Mais ködern und dann als Bio-Hähnchen verkaufen.
 
Bewusste Reichweite ist der ideale Schmierstoff für die geplanten Upload-Filter. Nur noch die Preziosen des Internets werden hochgeladen und geteilt. Dafür werden Google und Facebook&Co sicher gerne viel bezahlen. Einziger Haken bleiben Leser und Zuseher. Die nutzen großteils ganz andere Angebote im Netz und scheinen überhaupt kein Bewusstsein mehr zu pflegen für bewusste Mediennutzung. Wobei man, ehrlich gesagt, einem jungen Menschen unter 80 gar nicht vorwerfen kann, wenn er sich – ganz bewusst – für LeFloid entscheidet anstatt für Heribert Prantls Botschaften in der „SZ“. 
 
Thomas Bily, der Mitgründer der Social Media-Plattform Wize.Life, hat für Clap Online wieder in die Tasten gegriffen. Als ehemaliger Manager in der deutschen Printmedienlandschaft (Burda, Gruner + Jahr) robbt er sich durch den digitalen Wandel und stolpert manchmal über Seltsamkeiten in seiner alten und neuen Branche. Wenn Sie ihn erreichen wollen: t.bily@wize.life