Armin Hierstetter konnte im Jahr 2008 offenbar nichts besseres passieren, alsdass er bei seinem Verlag von einem auf den anderen Tag vor die Tür gesetzt wurde. Mittlerweile ist er erfolgreicher Unternehmer mit seiner Sprecher-Website Bodalgo.com. Wie es dazu kommen konnte lesen Sie hier im Interview.
2008 als FHM-Verlagsleiter plötzlich gefeuert. Herr Hierstetter, was ist damals bei Egmont Cultfish genau passiert?
Hierstetter: Die damalige Geschäftsführerin, Tina Deißler, hatte mich für den 17. März, ein Montag, zu einem „Marketing-Meeting“ bestellt. Die Situation war wegen der Finanzkrise nicht einfach: Auflagen fielen, Anzeigenumsätze noch mehr. Ich denke, es ging den meisten Verlagen wie uns. Ich kam also in den Besprechungsraum und sah einen Mitarbeiter aus der Personalabteilung dort sitzen. Da war mir klar: Ein Marketing-Meeting wird das nicht. Tina Deißler kam hinzu und schob die Kündigung über den Tisch. Ich war im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos. Mein Mund wurde trocken, ich bekam erstmal keinen Ton heraus. Vielleicht war ich zu naiv. Die Kündigung traf mich völlig unvorbereitet. Detail am Rande: Auf meinem Weg zum Meeting kam ich an der Eingangstüre vorbei, an deren Kartenleser sich unser IT-Mann zu schaffen machte. Hinterher wurde mir erst klar: Der hatte den Auftrag, meine Karte zu sperren. Der Mann wusste von meiner Kündigung noch vor mir. Das hat mich zuerst gewurmt, dachte aber später: Ging gar nicht anders, die haben das einfach professionell durchgezogen: Karte gesperrt, Computer-Zugang gesperrt, aus. Ich habe meine Sachen zusammengesucht und war draußen. Arbeitslos.
Was haben Sie damals gedacht, als Sie plötzlich als arbeitsloser Print-Manager auf der Straße standen?
Hierstetter: Im ersten Moment dachte ich: Okay, das war’s. Dein Leben, wie du es kanntest, ist offiziell beendet. Für mich war völlig klar, dass die Chancen auf eine Anstellung in gleichwertiger Position verschwindend gering waren. Leute wurden rausgeschmissen, nicht eingestellt. Schon gar keine Verlagsleiter. Am Abend der Kündigung habe ich mich mit meinem Bruder zusammengesetzt, um alle möglichen Szenarien durchzugehen. Je länger wir redeten, desto ruhiger wurde ich. Ein großes Fragezeichen war aber die Höhe der Abfindung, denn das Angebot des Verlags war lächerlich gering, und meine Hoffnung auf eine gütliche Einigung erfüllte sich nicht. Ich hatte dann das Glück von einer der größten Kanzleien in München vertreten zu werden: Die haben solange Druck gemacht, bis der Verlag einen Tag vor dem Gerichtstermin unsere Forderungen akzeptierte. Und da wusste ich: Jetzt habe ich zwei Jahre Zeit, um Bodalgo.com, einen Marktplatz für Werbesprecher, den ich als Hobby-Projekt gerade fertiggestellt hatte, groß zu machen.
Wie kommt ein Verlagsmensch eigentlich dann auf die Idee, was mit „Stimmen“ zu machen?
Hierstetter: Purer Zufall. Vor meiner Zeit bei FHM war ich im Haus Objektleiter der Jugendtitel. Stefan Rörig, damals in gleicher Position bei FHM, brauchte 2003 oder 2004 einen Sprecher für einen Spot. Ich sagte ihm: ‚Du machst mir doch immer Komplimente wegen meiner Stimme. Können wir doch mit mir probieren. Kostet dich ja nichts, wenn’s nicht reicht‘. Also sind wir ins Studio und nach einer halben Stunde war das Ding im Kasten. Und ich dachte – völlig naiv: Wow, ich bin Sprecher! Nachdem alle Versuche, mich bei Sprecher-Agenturen zu bewerben scheiterten, suchte ich online nach Jobs. Dort fand ich eine Seite, auf denen Kunden Sprecheraufträge einstellten, auf die sich Werbesprecher bewerben konnten. Nur: Die Seite war für den US-Markt, in Deutschland gab es nichts Vergleichbares. Da hab ich mir zum ersten Mal gedacht: So was müsste man nach Deutschland holen.
Die Dinge hätten auch anders laufen können. Was wäre passiert, wenn Sie heute noch als Print-Mann unterwegs wären?
Hierstetter: Vielleicht hätte ich mich wieder in einem anderen Verlag nach oben arbeiten können. Und wäre heute möglicherweise ein mittelprächtig erfolgreicher Verlagsmann. Oder ich wäre als Content-Manager von einem Start-up zum nächsten getingelt. Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß: Es wäre alles nicht vergleichbar mit dem ‚erzwungenen‘ Sprung in die Selbständigkeit. Viele Menschen können sich gar nicht vorstellen, was für eine unglaubliche Befreiung das ist. Aber die Zukunftsangst kann einem da schon mal gehörig die Sinne vernebeln. Heute ist für mich ganz klar: Zurück in eine Festanstellung ist völlig undenkbar.
Und warum stürzen Sie sich schon wieder in ein neues Abenteuer? Ihre neue Unternehmung zum Retro-Gaming hat so gar nichts mit Bodalgo gemein…
Hierstetter: Weil es wieder eine gute Idee gibt, auch wenn sie erstmal banal klingt: retroplace.com wird ein Marktplatz für Retro-Video- und Computerspiele. Alles schon dagewesen, oder? Man mag es kaum glauben, aber: Es gibt weltweit keine Konkurrenz. Abgesehen von Ebay und Amazon natürlich. Aber es gibt ein paar ganz entscheidende Gründe, warum die Retro-Fans weltweit mit keinem der Angebote wirklich glücklich sind. Und genau da setzt retroplace an. Diesmal stemme ich das aber nicht allein, sondern im Team mit zwei Freunden, die tief in der Szene verwurzelt sind. Beide sind außerdem Händler für Videospiele. Die haben das Verkaufs-Know-how, ich weiß, wie man eine Seite aufsetzt, die Anwender begeistert. Noch im Frühjahr wird die Beta-Phase beendet sein – dann werden wir sehen, wie gut die Idee wirklich ist.
Was würden Sie einem Printler raten, der heute gefeuert werden würde?
Hierstetter: Kommt auf die Fähigkeiten an: Ich hatte das große Glück, ein Nerd zu sein. Ich programmiere seit meinem zwölften Lebensjahr. Dazu habe ich Marketing studiert und Erfahrung im Umgang mit Menschen und Medien. Alles Heizelemente für den Sprung ins kalte Wasser. Was sicherlich immer hilfreich ist: Eine schonungslose Bestandsaufnahme: Wo liegen meine Stärken? Wo meine Schwächen? Und dann zu 100 Prozent auf das fokussieren, was man besser kann als andere. Angst zu haben, schadet dabei gar nicht, im Gegenteil: Angst fördert Fleiß – der letzte wichtige Baustein, wenn man sich nicht auf Glück verlassen will.