Sandra Thier: Richard Quest und der endlose Sommer auf Ibiza

Es war eine der Top-Personalien der Woche: Nach elf Jahren hört die RTL 2-Newslady Sandra Thier beim Grünwalder Sender auf. Eine neue Station hat sie tatsächlich noch nicht, wie sie gegenüber Clap online bekanntgab. Stattdessen war sie in den vergangenen Wochen auf einer umfassenden Bildungsreise in Amerika. Unter anderem besuchte sie CNN-News-Legende Richard Quest (siehe Foto) und Bloomberg News Anchor Matt Miller. Nach Amerika aber zieht es sie nicht, in den nächsten Wochen will die 34-Jährige, die sich derzeit in Italien aufhält, in Ruhe ihre nächsten Karriereschritte überlegen.

Aber es gibt keinen konkreten Plan: Thier macht erstmal einen ausgedehnten Urlaub, hat ein Flugticket nach Ibiza gebucht, zieht sich auf eine Finca eines Freundes zurück. Ein Rückflug ist nicht direkt vorgesehen. Mindestens sechs Wochen will sie erstmal auf der Sonneninsel bleiben. „Ich weiß, dass so eine Auszeit auch risikoreich ist, aber ich brauch nach den vielen Jahren Zeit für mich selbst“, so Thier. Vor einigen Monaten hat das Clap Magazin ein Porträt über die News-Frontfrau gemacht, das wir aus diesem Anlass online stellen. (Daniel Häuser)

Die Arbeitsthier

Als Österreicherin im Rheinland hatte Nachrichtenfrau Sandra Thier gut zu tun. Bei RTL II stand sie täglich als News-Anchor der Kamera, führte für den Münchner Sender durch ein wöchentliches Magazin und berichtete außerdem als Unicef-Patin aus den Krisenregionen der Welt. Für sowas wie rote Teppiche blieb da wenig Zeit.

Hochdeutsch ist für einen österreichischen Kiefer so etwas wie Hochleistungssport. Seit Sandra Thier Anchor-Woman bei den RTL II News ist, lässt sie sich regelmäßig zur Entspannung die Kiefermuskulatur massieren. Bis zu zehn Stunden am Tag hat sie trainiert, als sie 2005 in Köln anfing. „Jenseits der Alpen macht man den Mund wortwörtlich nicht so weit auf und spricht etwas schlampig“, erklärt die 34-Jährige. In den Nachrichten sind Korrektheit und richtige Betonung angesagt. Bevor Sandra Thier zu RTL II kam, war sie schon eine Weile im Geschäft, hatte es in Österreich zu nationaler Prominenz gebracht. Eigentlich hatte sie sich 2003 beim Sendestart von ATVplus – dem ersten bundesweiten Privatfernsehen in Österreich – für ein buntes Programm beworben, wollte „eine Chartshow oder irgendsowas“ moderieren. Man besetzte sie trotz ihrer anfänglichen Zweifel als Nachrichten-Anchor. „Mein Glück war damals, das alles so neu war und ich als junges Talent hochgelobt wurde.“ Die Presse war froh, dass es überhaupt jemanden gab, der in Österreich so etwas macht und auch noch kann.

Unter anderem mit aufsehenerregenden Talks avancierte sie zur Berühmtheit. „Das waren krasse zwei Jahre“, resümiert sie. „In Deutschland habe ich wieder bei null angefangen.“ Noch steht sie mit RTL II in der zweiten Reihe. Die Antwort auf die Frage nach ihrem heutigen Promi-Status kommt eng umzäunt und wohlformuliert. „Ich bin in meiner Zielgruppe bekannt, sage ich mal.“ Doch Anfragen aus ihrer Heimat lehnt sie dankend ab. „Ich find’s hier schön, ich hab hier doch alles.“ Alles – das sind neben der Nachrichtensendung, die beim jungen Publikum Marktführer ist, auch noch das Magazin „RTL II Spezial“ und die überraschend aufwendige Reportagereihe „Sandra Thier unterwegs“, in der die Journalistin aus den Krisenregionen dieser Welt berichtet. Sie erzählt die Geschichten der Minenkinder von Burkina Faso oder der Kindersoldaten im Kongo. Im September läuft ein Film über die Müllkinder von Ghana, die unseren hochgiftigen Elektronikschrott zerlegen müssen.

 

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Auf der Suche nach einem ehrenamtlichen Engagement kam Thier 2010 mit Unicef ins Gespräch. Schnell war die Idee für die Reportagen geboren, die sie gemeinsam mit Gunther Weber realisiert. Die zum Teil gefährlichen Einsätze werden mit Aufmerksamkeit belohnt. „Es gibt bei jungen Leuten ein großes Bedürfnis nach Sendungen, in denen solche Themen diskutiert werden und die zeigen, dass es engagierte Menschen gibt“, sagt Thier. Das Feedback sei enorm. Die Quoten der Reportagen können sich sehen lassen. Dass ein Promi sich freiwillig meldet, sei neu gewesen für die Entscheider bei Unicef, berichtet Thier. Aber „mal hier und da hobbymäßig“ was zu machen sei halt nicht ihr Ding. „Ich will mittel- und langfristig mit jemandem wachsen – sei es im Job oder im sozialen Engagement.“ Sie kennt ihre Ziele genau. „Wenn ich was will, dann gehe ich dem nach und krieg das auch“, sagt sie. „Meistens“, fügt sie leise an.

Die Disziplin dafür kommt wohl vom Ballett. Zwölf Jahre lang hat sie das gemacht. Hat getanzt, bis die Füsse kaputt waren. Heute ist es der Kiefer, der leidet. Ohne Disziplin gehe es nun mal nicht in dem Job. Man müsse „on the long run schauen“. Neben viel Arbeit heißt das: auf die Ernährung achten, Sport treiben, in Form bleiben – das Fernsehbild trägt schließlich auf – und wenig Alkohol wegen der Cellulitis. „Frauen müssen auf so was achten, wenn sie älter werden“, sagt sie. Im Showgeschäft haben Frauen es schwerer als in den Nachrichten. „Eine junge Frau wird meist als Komoderatorin oder zur Aufhübschung besetzt“, stellt Thier nach Ausflügen in die Primetime-Unterhaltung vor einigen Jahren fest. Will sie sich anschicken, die gläserne Wand mit den Männern in der ersten Reihe zu durchbrechen? „Ich?“, fragt sie zurück. „Ich hab doch einen Job.“ Sie wolle es nur mal anmerken, weil es nicht diskutiert wird.

Sandra Thier versteht es, sich zu präsentieren. Beim RTL-IIPressetermin geht sie zielstrebig auf die Schreibenden zu. Nennt kurz und knapp Namen und Leistungsbilanz. Das Marketing-Studium ist ganz offensichtlich nicht an ihr vorbeigerauscht. Für Promi-Getöse gibt es wenig Platz in ihrem Leben. Es habe schon so manchen Interviewtermin gegeben, gerade weil sie nicht zu denen gehört, die man überall sieht. „Ich stehe ja jeden Tag im Studio“, so die schlichte Erklärung. Fernsehpreis-Gala? „An dem Tag drehe ich – was soll ich machen?“ Und einfach mal freinehmen? „Ich habe immer zu tun. Da muss es schon mindestens drei gute Gründe geben, um auf einem roten Teppich zu laufen.“ Was Sandra Thier in Köln an Karneval macht, muss man eigentlich gar nicht erst fragen. „Ich arbeite viel“, gibt sie zu. Ihre Wohnung ist beim Sender „gleich ums Eck“. Das Privatleben beschränkt sie auf das Wochenende.

Sandra Thier ist Single. „Das erklärt sich ja von selbst“, scherzt sie. Zwar ist die RTL-Gruppe als Ehestifterin zahlreicher Mitarbeiter bekannt – aber Sandra Thier findet es gut, wenn der Partner nicht aus der Branche kommt. Sie weiß offenbar wirklich sehr genau, was sie will. RTL II ist vermutlich nicht ihre letzte Station. „Ich habe ein paar Ziele, aber die werde ich hier nicht kundtun“, sagt sie freundlich-bestimmt. Sie bezeichnet sich selbst als „alten Hasen“ im Geschäft. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet sie für Print, Hörfunk, Fernsehen. „Das Lustige ist doch, dass ich jetzt in einem Alter bin, in dem man bei den Öffentlich-Rechtlichen erst allmählich anfängt groß zu werden.“ Die suchen doch gerade händeringend nach Personal, das sich mit jungen Zielgruppen auskennt. „Sollen sie nur suchen“, sagt Sandra Thier, die sich darauf versteht, an den entscheidenden Stellen nichts zu sagen. Aber haben die denn nicht …? Schweigen und ein ebenso vieldeutiges wie genüssliches Lächeln. „Es muss erst mal ein Angebot kommen, das ich interessant fände“, stellt sie klar. Bis jetzt jedenfalls könne sie bei RTL II ihren Traum leben. Eigene TV-Formate irgendwann mal selbst zu produzieren – das könne sie sich sehr gut vorstellen. Einen jungen Polittalk zu moderieren, so etwas wie „Stern TV“ – auch das fände sie interessant und betont dabei den Konjunktiv mit ganz besonderem Nachdruck und nahezu akzentfrei.

(Jochen Voss) Fotos: Sandra Thier (privat), RTL2 (Frank Dicks)