Eine beispiellose Amtszeit ist vorbei. Vor rund vier Jahren trafen wir uns schon einmal mit Amerika-Kenner und Kommunikationsprofi Jörg Allgäuer, um uns über Donald Trump nach dessen Amtseinführtung zu unterhalten. Aufgrund der aktuellen Entwicklung gibt es nun ein Update des damals viel gelesenen Gesprächs.
Nun will keiner mehr was von Trump wissen. Waren Sie im Clap-Interview damals, trotz aller Vorbehalte, noch zu optimistisch?
Allgäuer: Ganz ehrlich: Dass Trump dermaßen engstirnig und brachial vorgehen würde, hatte ich zuvor nicht gedacht. Ich habe ihn schon für schlauer gehalten. Nicht viel, aber zumindest ein bisschen. Normalerweise prägt ein Amt einen Menschen, das kann man nahezu immer beobachten. Hier hatten wir nun also mal einen Fall, der die Ausnahme von der Regel darstellt. Trump war nie ein Politiker und er ist in den vier Jahren seiner Amtszeit auch keiner geworden. Er ist bei vielen Themen einfach so dilettantisch und unstrategisch vorgegangen, dass er nicht weit gekommen ist.
Werden dennoch manche in einigen Jahren, also rückblickend, die Trump-Jahre etwas anders bewerten?
Wir haben doch gerade eine vierjährige Achterbahnfahrt hinter uns. Ich habe jedenfalls vor lauter Skandalen und Affären völlig den Überblick verloren. Dahinter steckte Methode und diese hat geklappt, weil Medien und Öffentlichkeit bis kurz vor Schluss über jedes Stöckchen gesprungen sind, das Trump uns hingehalten hat. Wenn sich jetzt so nach und nach der Staub setzen wird, werden wir so manches sicherlich viel nüchterner und klarer sehen und beurteilen können. Ich befürchte nur, dass dabei nicht viel Positives, sondern möglicherweise mehr Schreckliches herauskommen wird.
Wir stehen ja gerade noch unter dem Eindruck der Inauguration. Am Ende waren offensichtlich alle froh, dass Trump nicht dabei war. Auch er selbst?
Für Trump hätte es am vergangenen Mittwoch nur eine einzige akzeptable Inauguration gegeben, nämlich seine eigene. Ich kann mir im Nachhinein auch nicht vorstellen, wie er mit seinem Riesen-Ego irgendwo in der vierten Reihe hinter seinem Nachfolger Joe Biden, dessen Stellvertreterin Kamala Harris, den anderen drei Ex-Präsidenten und seinem inzwischen verhassten Stellvertreter Pence auf die Bühne gepasst hätte. Er vermutlich ebenfalls nicht.
Thomas Gottschalk hat sich über den Auftritt von JLo und Lady Gaga aufgeregt, die hätten bei der feierlichen Amtsübernahme von Joe Biden nicht ins Konzept hineingepasst. Es wäre eine „Fehlinszenierung“, sagt Gottschalk wörtlich. Hat er recht?
Allgäuer: In Inszenierungsfragen will ich mich nicht mit einem langjährigen Profi anlegen, aber in meinen Augen hatten die Auftritte von Lady Gaga, Jennifer Lopez und Garth Brooks hohe Symbolkraft. Zum einen war es natürlich ein deutliches Zeichen von Biden an Trump, dass er für seine Amtseinführung im Gegensatz zu diesem problemlos drei Megastars für einen Auftritt gewinnen konnte. Weiß noch irgendjemand, wer vor vier Jahren bei Trumps Feier die amerikanische Nationalhymne gesungen hat? Nein. Es war eine ehemalige Teilnehmerin von „America’s Got Talent“! Da haben wir am Mittwoch mit Lady Gaga dann doch ein bisschen mehr geboten bekommen. Zum anderen spielt ein Star wie JLo in der immerhin 60 Millionen Menschen umfassenden Latino-Community in den USA eine gigantische Rolle. Denen hat sie bei ihrem Auftritt sogar noch das „Pledge of Allegiance“, also das amerikanische Treue-Gelöbnis, zugerufen – auf spanisch! Und dann kam Garth Brooks mit einem Auftritt, den man nicht anders interpretieren kann als ein großes, ehrliches Versöhnungsangebot.
Über den Country-Sänger Garth Brooks hat Gottschalk gesagt, er wäre „am unbedarftesten“. Warum war der aber nicht so ganz unwichtig?
Allgäuer: Garth Brooks mag hierzulande ziemlich unbekannt sein, aber nur zur Einordnung: Er hat im Laufe seiner Karriere wesentlich mehr Platten verkauft als Lady Gaga und Jennifer Lopez zusammen. Und er ist Erz-Republikaner. Jetzt schreitet also der erfolgreichste Countrymusiker aller Zeiten den Mittelgang hinunter, nimmt seinen Cowboyhut ab und singt mit „Amazing Grace“ ein Kirchenlied, das wie kein anderes für den Kampf gegen Sklaverei und Entrechtung steht, und das in der afroamerikanischen Gemeinde hohe Bedeutung hat. Ehrlich gesagt wüsste ich nicht, wie Joe Biden all denen, die ihn nicht gewählt haben, noch deutlicher die Hand ausstrecken könnte als durch diesen Auftritt.
Über die Sache mit dem Atomkoffer müssen wir noch mal reden. Theoretisch hätte er den ja wirklich in einem schwachen Moment auslösen können. Nancy Pelosi hatte da zum Schluss ja offensichtlich die Befürchtung, Trump könnte völlig durchdrehen. War diese Befürchtung wirklich angemessen?
Allgäuer: So ganz wohl war mir bei dem Gedanken, dass Trump als Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte über die nuklearen Abschusscodes verfügt, auch nie. Nancy Pelosi ist als Sprecherin des Repräsentantenhauses die dritthöchste Amtsträgerin der Vereinigten Staaten nach dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten. Kurz nach dem gewaltsamen Sturm auf das Kapitol durch Trump-Anhänger hat sie Mark Milley, den ranghöchsten Vier-Sterne-General der Armee, angerufen und genau darauf angesprochen. Wir wissen zwar nicht, was er ihr geantwortet hat, aber sie schien danach ziemlich beruhigt zu sein. Und wenn Nancy Pelosi sich über etwas keine Sorgen mehr macht, dann tue ich das auch nicht.
Über den Ausschluss von Trump bei Twitter gab und gibt es ja recht unterschiedliche Meinungen. Hat er den Ausschluss am Ende provoziert? Nachdem Twitter ja seine Beiträge schon vorher mit einer Anmerkung versehen hat, war er da ja schon angezählt.
Allgäuer: Ich glaube nicht, dass Trump seinen Ausschluss aus Twitter – und letzten Endes inzwischen ja aus allen relevanten sozialen Medien – absichtlich provoziert hat. Er hatte dort 88 Millionen Follower, das stellte ein unglaubliches Machtinstrument dar, welches er ja über das Ende seiner Amtszeit hinaus behalten hätte und mit dem er sich zu jedem Zeitpunkt und zu jedem Thema massiv Gehör hätte verschaffen können. Man muss sich das schon auf der Zunge zergehen lassen: Trump hatte das größte Megaphon auf der ganzen Welt und jetzt ist es weg. Wie gesagt, er ist im Herzen immer noch ein Geschäftsmann und kein Politiker, er hat den Wert seines Twitter-Handles mit Sicherheit genau gekannt.
Wie lange er nicht mehr twittern darf steht in den Sternen. Finden Sie den Ausschluss von Trump bei den sozialen Medien eigentlich richtig?
Allgäuer: Natürlich kann ich die ganzen Diskussionen über die Macht der sozialen Medien nachvollziehen, und ich teile auch die Einschätzung der Bundeskanzlerin, dass die Twitter-Sperre von Trump problematisch ist. Aber andererseits hatte ich seine jahrelangen Krakeelereien und Lügen inzwischen so dermaßen satt, dass ich in den Tagen darauf und immer noch einfach die Stille genieße. War es denn nicht unendlich angenehm für die ganze Welt, am Mittwoch die Vereidigung des neuen Präsidenten zu erleben und vom abgewählten Vorgänger einfach gar nichts zu sehen, zu hören und zu lesen? Ich fürchte zwar, dass er schon wieder einen Lärmkanal finden wird, aber vorerst gebe ich mich einfach nur der Ruhe hin. Hoffentlich schickt niemand Trump eine Einladung zu Clubhouse.
Herr Allgäuer, Sie haben persönlich derzeit ganz andere Themen und müssen der Meister aller Homeschooling-Lehrer sein, denn sie haben einige Kinder im Schulalter. Wie kommen Sie damit zurecht?
Allgäuer: Meine Frau und ich kümmern uns mit tatkräftiger Unterstützung durch meine Schwiegereltern gerade um vier Kinder in der ersten, dritten, fünften und sechsten Klasse. Und das ist gelinde gesagt anspruchsvoll: Der Drucker läuft von morgens bis abends, der Tag ist gefüllt mit Schreibübungen, Bruchrechnen, Deutsch, Englisch, Französisch, Mathematik, Geschichte, sogar Werken ist dabei. Andererseits habe ich noch nie so viel Zeit mit meiner Familie verbracht und das ist schon schön – zumindest spätabends, wenn alles eingescannt und wieder auf das übrigens entgegen aller Unkenrufe wunderbar funktionierende Mebis-Portal hochgeladen ist. Aber nur kurz, denn am nächsten Morgen geht der Wahnsinn wieder von vorne los.
Interview: Daniel Häuser
Foto: Alexander von Spreti, Gage Skidmore/Wikipedia