Koch-Kolumne: Wien lieben, von Wien lernen

Wien. Jeder Mensch, den ich kenne, liebt Wien. Und da mich die Wiener Media-Branche zurückliebt, bin ich jedes Jahr mindestens einmal in der schönsten Stadt der Welt, um einen Vortrag zu halten. Nach weit mehr als zwanzig Auftritten darf ich behaupten, die Stadt, ihre Medienwelt und viele ihrer Protagonisten ein wenig zu kennen.

Lange Zeit wurde man den Eindruck nicht los, dass sich in der Stadt wenig tut. Man kennt sich halt. Die älteren Wiener Medien-Kaiserinnen und Kaiser-Herrschaften kennen sich seit vielen Jahrzehnten. Die Dinge sind irgendwie stabil. Der berühmte und allseits geliebte Wiener Schmäh rückt – für ungeübte Wien-Besucher – in den Vordergrund. Küss‘ die Hand, Frau Magister.

In Gesprächen betont man in Wien auffallend häufig, dass der Markt so viel kleiner sei als der deutsche, dass viele Dinge daher gar nicht so einfach seien oder Probleme deswegen ein Ausmaß annähmen, von dem wir keine Vorstellung hätten. In Wirklichkeit, glaube ich inzwischen, betonen die WienerInnen die „Größe“ ihres Landes nur, um besser unter dem allgemeinen Radar herlaufen zu können. Nur nicht auffallen. So konnten sie in Ruhe und unbeobachtet ihren Dingen nachgehen. Denn es hat sich in der Stadt etwas getan. Unbemerkt.

Es fiel mir auf, als ich im Mai wieder dort war, um zum „krönenden Abschluss“ (ja, sie sind immer herzlich und neigen äußerst gerne zu Übertreibungen) eines Events der „Show Heroes“ zur digitalen Transformation eine Keynote zu halten. Denn zuvor rockte eine neue Generation von jungen, wilden Wiener Digital-Heroes die Bühne. Es fühlte sich anders an als Veranstaltungen hierzulande, die ich besuche.

Auf den Podiumsdiskussionen wurde sich gefetzt. Die Vorträge hielten einen in Atem. Handfeste Cases liefen im Wettbewerb gegeneinander auf. In den Pausen wurde weiterdiskutiert. Die Luft war elektrisiert vom Aufbruch in neue digitale Dimensionen. Nix Wiener Schmäh. Nix Küss‘ die Hand. Nix „Wie geht’s, Frau Magister?“

Was für ein Wien! Ein neues Wien. Eine Stadt im Aufbruch. Unbemerkt. Alleine Wien Energie verfügt über ein Glasfasernetz von 2.800 km. Da treibt einem der Neid die Tränen in die Augen. Was uns noch neidischer machen sollte, ist jedoch der Spirit, mit dem die jungen WienerInnen zu Werke gehen.

Und erst recht, wenn ich sehe, dass sie mühelos und mit einer Leichtigkeit, wie sie nur WienerInnen beherrschen, einen Spagat schaffen. Sie umarmen das Neue und erhalten das Alte. Das ist (m)ein großer Media-Traum: alles Neue, was sinnstiftend ist, annehmen – und alles Alte, das erhaltenswert ist, erhalten.

Es hat mit Kultur zu tun. Nehmen wir Print. Die WienerInnen erhalten ihre Zeitungen wie kein zweites Volk der Erde. Weil Print-Zeitungen eine andere Funktion erfüllen als das nervige Klickbaiting der Presse im Netz. Sicherlich hat es mit der Caféhauskultur zu tun, denn Zeitunglesen in einem Wiener Café ist keine herkömmliche Mediennutzung. Es ist eine Institution, ein Lebensgefühl. Es ist eine Qualität.

Und wenn es um das Thema Digitalisierung geht, haben die WienerInnen genauso die Nase vorn. Allerdings dort, wo Qualität angesagt ist. Den Internetmüll überlassen sie gerne den Amis und Piefkes. Denn auf Qualität verstehen sich die WienerInnen. Von ihnen können wir viel lernen. Bis bald, Wien.

Text: Thomas Koch