Es ist richtig was los im Mediendorf. Rund 400 Mitarbeiter sollen bei ProSiebenSat.1 gehen. Im Zuge der angekündigten Sparmaßnahmen löst ProSiebenSat.1 außerdem die Redaktion seines Promi-Magazins „Red“ auf. Zudem werde die Redaktion der Sat.1-Sendung „Akte“ verkleinert. Das alles klingt nicht so gut, dennoch blicken die Unterföhringer nach vorn. Nicht umsonst sagte Vorstandschef Bert Habets auch in seiner aktuellen Pressemitteilung: „Wir haben nun eine agile Aufstellung sowie wieder Spielraum für Investitionen geschaffen. Das war als Grundlage zur Umsetzung unserer Wachstumsstrategie unbedingt erforderlich.“ Der Blick ist derzeit wohl nicht ganz kurzfristig, sondern mittelfristig ausgerichtet. Vor Augen haben die Mitarbeiter beispielsweise auch das im Bau befindliche neue Campus-Gebäude in Unterföhring, welches eine aussichtsreiche Zukunft verspricht.
In diesem Zusammenhang ist das aktuelle Titelportrait mit Daniel Rosemann im gedruckten Clap-Magazin interessant. Unser Reporter Bijan Peymani traf den Senderchef von ProSieben und Sat.1 kürzlich und sprach mit ihm über Probleme und Möglichkeiten bei seinen Sendern. So sagte Rosemann im Gespräch: „Sat.1 hat Schwächen im Programm und in der Markenkraft“. Warum Rosemann aber dennoch locker bleibt, lesen Sie hier:
Daniel Rosemann ist zweifelsfrei einer der mächtigsten TV-Direktoren im Land. Als Doppel-Chef von ProSieben und Sat.1 dürfte er derzeit dennoch kaum das schönste Amt neben Papst haben: In der Sendergruppe ist ziemlich Zirkus. Wie sein Vorbild, Clown Zippo, offenbart der Kölner im „Clap“-Gespräch indes sein Talent, Sorgen wegzulächeln – vielleicht genau richtig.
Heute stellen wir die Weichen für die Zukunft. Wir müssen wieder näher bei den Menschen sein, ihre Sprache sprechen. Alles wird besser, bitte noch etwas Geduld: Was klingt, wie der Ausschnitt aus einer Parteitagsrede oder der Neujahrsansprache des Bundeskanzlers, sind die Parolen eines Konzernmanagers, der erkennen muss, dass die Unruhe im Inneren zu- und die Geduld draußen abnimmt. Die Rede ist von Daniel Rosemann, Geschäftsführer sowohl des Fernsehsenders ProSieben als auch von Sat.1 samt ihrer Ableger „Maxx“ und „Gold“.
Vor allem bei Sat.1, einst der erste Privatsender hierzulande und „eine der tollsten Medienmarken, die es gibt“ (Rosemann), ist richtig Dampf unterm Kessel. Aber auch bei der Schwester ProSieben muss die Gruppe immer wieder Rückschläge verkraften, die am Image des Senders als erfolgreichem Ideen-Inkubator kratzen. „Jeder Sender Deutschlands hat seine Baustellen“, wirbt Rosemann um Verständnis, „jeder! Und bei Sat.1 ist uns sehr bewusst, dass wir ein paar mehr haben.“ So viel – für die Branche ungewohnte – Offenheit ist entwaffnend. Tatsächlich ist die Lage beim Sender so prekär, dass sich die „Bild“-Zeitung schon zu der verwegenen Behauptung verstieg, die Mediengruppe plane, ProSieben und Sat.1 zusammenzulegen.
Der 43-Jährige macht das geschickt und vermutlich noch nicht einmal mit allzu viel Kalkül: Er stellt sich der Kritik, gibt ein paar Punkte ab, um dann seinerseits kräftig zu punkten. Als TV-Boss der Mediengruppe mit Sitz in Unterföhring, am nordöstlichen Stadtrand Münchens, blickt Rosemann nicht gern zurück, hält sich nicht allzu lange mit dem auf, was schlecht war, sondern betont, was heute besser ist. Und vertraut darauf, die Weichen für die Zukunft richtig gestellt zu haben. Nur wer das Morgen mit offenen Armen empfängt, dem ist das Glück hold.
So jedenfalls denkt man in Köln, so besagt es Paragraph 2 des vom Kölsche Jung Rosemann gern einmal zitierten „Grundgesetzes“ der Dom-Stadt: „Et kütt wie et kütt“ – hab keine Angst vor der Zukunft. Mit Blick auf Sat.1 ließe sich Paragraph 3 anfügen: „Et hätt noch immer jot jejange.“ Was gestern geklappt hat, klappt auch morgen wieder, ganz bestimmt, ist Rosemann, Fernsehverrückter mit viel Leib und noch mehr Seele, überzeugt. „Wir wollen Sat.1 nicht neu erfinden, sondern es mit alter Stärke zurück in den Mainstream führen“, bekräftigt er.
Sport, Shows und deutsche Fiction sollen es richten. Rosemann zum Problem gerät, dass er diese Losung bereits vor über zwei Jahren ausgegeben und als Zielmarke das 40. Jubiläum von Sat.1 genannt hat. Bis Anfang 2024 also muss der Turnaround gelingen. Er gibt „kein fixes Datum, zu dem die Neuausrichtung stehen soll“, widerspricht er. Immerhin, in der Primetime hat der Sender in der Zielgruppe der 14- bis 59-Jährigen vier von sieben Abenden pro Woche wieder marginal wachsen lassen, laut Rosemann ein „Riesen-Kraftakt“.
Damit sei „die Arbeit noch lange nicht getan, aber es bewegt sich etwas ins Positive, wie man es uns so schnell vorher vielleicht nicht zugetraut hätte“, erklärt der zweifache Familienvater, der mit Frau Leonie – CvD bei Seven.One Entertainment – und den gemeinsamen Töchtern in München lebt. Rosemann verweist darauf, dass neu gestartete Formate erst einmal gut drei bis vier Wochen benötigen, „bis sie überhaupt ins Schwingen kommen“. Um sich durchzusetzen und Gewohnheiten bei den Zuschauern auszubilden, dauere es mindestens eineinhalb Jahre.
Doch die vermeintlichen Quoten-Raketen werden erst nächstes Jahr aufsteigen. So kündigte Rosemann auf den diesjährigen „Screenforce Days“ an, Sat.1 werde „an einem zusätzlichen Abend Eigenproduktionen in der Primetime spielen“. Auch zwei hoffnungsvolle Adaptionen internationaler Formate – die Quiz-Show „The Floor“ und die Liebes-Show „Stranded on Honeymoon Island“ – werden erst 2024 zu sehen sein. Das gilt für „Kiwis große Partynacht“ ebenso, mit der der Sender den Öffentlich-Rechtlichen in die Schlager-Parade fahren will.
Bis dahin sollen etablierte Formate wie „The Taste“, „Das große Backen“ oder „Promi Big Brother“ das Profil schärfen: Sat.1 zielt auf ein älteres Publikum ab Mitte 40, in der Mehrzahl weiblich und haushaltsführend. An diesem hatten sie in Unterföhring jahrelang beherzt vorbei gesendet. Im Mai 2021 übernahm Rosemann – und spricht statt von Transformation lieber von „Marken-Reaktivierung“. Zur Unterstützung setzt er auf Sport als Killer-App. Ob Bundesliga-Kick, U21-Fußball-EM und vor allem Eishockey-WM die Kernzielgruppe tatsächlich treffen?
„Wir sind uns bewusst, dass wir heute bei Sat.1 an einigen Stellen programmliche Schwächen haben und auch in der Markenkraft“, bekennt Rosemann freimütig. Es komme jetzt darauf an, dass das neue alte Markenverständnis „auch intern“ inhaliert werde. Die Reanimierung von Sat.1 vergleicht er mit der Wiedereröffnung eines Restaurants. In der ehemaligen Straße hätten sich längst weitere Restaurants angesiedelt, nun entschieden Image und Angebot darüber, „ob die Menschen uns wieder gerne besuchen und jeden Tag bei uns essen wollen“.
Das ist ein weiteres schlechtes Stichwort für den Sender: Seine eigentliche Crux liegt in der Daytime. „Volles Haus“ vor allem ging voll in die Hose – und zwar so sehr, dass reflexartig die Sendezeit kupiert und zuletzt die Produktionsfirma ausgetauscht wurde. Ende Februar gestartet, hat die anfangs dreistündige Live-Show im Sat.1-Nachmittagsprogramm auch den Senderchef enttäuscht: „Es ist uns bisher nicht gelungen, die Sendung on air zu bringen, die wir ursprünglich konzipiert haben. Das müssen wir schnellstmöglich hinbekommen.“
„Binnen Wochen“ soll das klappen, gibt Rosemann vor: „Und wenn wir dann auf dem eigentlichen Konzept produzieren, werden wir feststellen, ob der Zuschauer unsere Idee mag. Vorher nicht.“ Bei aller Macht und Mühe, die der ehrgeizige TV-Manager aufbietet: Ein Happy-End ist nie sicher. So wie jüngst bei der vor drei Jahren mit reichlich Ambitionen gestarteten „Herz! Schlag! Show!“ auf ProSieben. Mitte Juni nahm der Sender das Quoten-Gift endlich aus dem Programm-Schrank.
Dass er regelmäßig für TV-Innovationen steht und ein beachtliches Arsenal an Quoten-Hits im non-fiktionalen Bereich aufweisen kann, ist unbestritten. Doch auch Rosemanns zweites, im September 2021 lanciertes Vorzeige-Projekt neben „Volles Haus“, das Journal „Zervakis & Opdenhövel Live“ („ZOL“), hat bereits Federn gelassen. Zumeist geht das einst zweistündige, weiter wöchentlich ausgestrahlte Format kaum noch länger als eine Dreiviertelstunde. Mithin ist das eigentliche Vorhaben missglückt: „ZOL“ zu so etwas wie einer TV-Instanz aufzubauen.
„Dass wir für das Vorhaben von ,ZOL’ bis zur Ziellinie mehr als ein Jahr brauchen würden, hat mich überhaupt nicht überrascht“, analysiert Rosemann, „und Ziellinie heißt für mich, dass wir einen erfolgreichen Stamm an Zuschauern aufbauen, die jede Woche mittwochs einschalten und dran bleiben.“ „ZOL“ sei „eine wöchentliche Verabredung, die es so für die ProSieben-Zuschauer noch nicht gab“. Das Format wolle bewusst immer wieder „Themen anpacken, die nicht nur durchweg eskapistisch schön sind“. Die Akzeptanz steige ja.
„Wir liegen heute bei der Sehbeteiligung in unserer Zielgruppe 14 bis 49 in ganz vielen Wochen vor ,Stern TV’“. Wir sind auf Augenhöhe mit dem ,heute journal’. Ich kann vor diesem Hintergrund nicht erkennen, dass ,ZOL’ ein weniger erfolgreiches Projekt wäre.“ Bei undifferenzierter Kritik am Programm hat der Spaß für Rosemann tatsächlich ein Loch. Als TV-Manager denkt er nicht in schnöden Marktanteilen, das seien Momentaufnahmen. „Die Frage ist doch: Wie viele Menschen erreichen wir, und wie viele bleiben wie lange dran?“
Im Vertrauen auf ein großes Portfolio an erfolgreichen Formaten hat Rosemann für ProSieben nicht so viele neue Pfeile im Köcher. Ob – die für viele gar nicht witzige – Carolin Kebekus mit ihrem Bruder David mit der Promi-Geschwister-Spiel-Show „Wir gegen die!“ die Bühne in der Primetime abräumt, bleibt abzuwarten. Da darf „Destination X“ oder „The Musical of your Life“ erheblich mehr Potenzial zugeschrieben werden. Ach, wäre da nicht die schwere Last des Tagesgeschäfts, das mitunter unschöne Schlagzeilen statt Jubelmeldungen produziert
„Talk of the town“ sind aktuell weniger das Programm oder einzelne Formate, sondern nicht so schmeichelhafte News wie, dass sich die Konkurrenz aus Köln gleich zwei Trümpfe aus Unterföhring schnappte: Ab Herbst ist die Quiz-Show „Blamieren oder Kassieren“ – ein Top-Element bekannter ProSieben-Quoten-Renner wie „Schlag den Star“ – bei RTL zu sehen. Im kommenden Jahr legen die Kölner mit „Schlag den Besten“ nach. Beide Shows werden von Elton moderiert, einst Dauer-„Praktikant“ von Stefan Raab und Zugpferd von ProSieben.
Unappetitlich auch die Meldung von bevorstehenden Massenentlassungen im TV-Konzern. Mehrere Hundert Jobs stünden auf der Streichliste, ließ Bert Habets, Vorstandsboss der ProSiebenSat.1 Media, die Presse unlängst wissen. Der Aderlass treffe primär die Verwaltung und sei diesmal „signifikant umfangreicher“ als vor vier Jahren. Damals fielen knapp 120 Vollzeitstellen weg. Das bringt Unruhe ins Haus. Auch wenn die Produktion laut Habets von Streichungen verschont bleiben soll, drohen mittelfristig Auswirkungen auf die Programme.
In dieser Gemengelage nützt es ja nichts und niemandem, Trübsal zu blasen, was Rosemanns Naturell auch komplett zuwider liefe. Deshalb tut der Mann das nun wohl einzig Richtige: Er verbreitet Aufbruchstimmung, die sich beispielsweise bei ProSieben auch auf die populären Sender-Gesichter stützt: allen voran Heidi Klum, Thilo Mischke, Jenke von Wilmsdorff, Joko Winterscheidt oder die Moderatoren-Riege von „Galileo“ rund um Aiman Abdallah. Wenn Rosemann das Kommende skizziert, kann er seine Vorfreude nur schwer verbergen.
Überhaupt strahlt diese Frohnatur einen ansteckenden Optimismus aus. Rosemann wirkt agil, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, lächelt immer wieder. Das sei ihm wichtig, betont er: „,Jeder Tag, an dem Du nicht lächelst, ist ein verlorener Tag“, zitiert er Bernhard Paul, den legendären Direktor des Zirkus „Roncalli“. Paul hatte sich in seiner Manege als „Zippo“ vor allem dem Clown-Fach verschrieben. „Ich liebe dieses Motto“, bekennt Rosemann, „es gibt keine berufliche und keine private Situation, in der Lächeln nicht Lösungen erleichterte.
„Mensch-Mensch“ will Rosemann sein und steht damit sinnbildlich für die Mediengruppe. So wirft sein Presse-Adjutant Christoph Körfer, der dem „Clap“-Gespräch (meist still) beiwohnt, dann auch selbst eine Frage (an seinen Chef!) ins Interview ein. Reißt Anekdoten an, über die sich aus seiner Sicht zu reden lohnte – alles wirkt irgendwie privat und sehr sympathisch. Weiter oberhalb, am Rhein, ist das nicht unbedingt Standard. Da geht es im Dialog mit den Multiplikatoren etwas distanzierter und regelmäßig formaler zu. Jede Jeck is eben anders.
Rosemann besonders. Medizin habe der Sohn einer Lehrerin einst studieren wollen, erklärt er. Letztlich sei er am Numerus Clausus gescheitert; sein Abi-Schnitt lag „bei zweieinhalb“. Als Mann, dem die Stars vertrauen, gilt er intern. „Wir haben zwei kostbare Ressourcen, ohne die es uns gar nicht gäbe: Ideen und Talente. Ich glaube fest daran, dass beide vor allem anderen gut gepflegt und wertschätzend behandelt werden müssen.“ Das gilt noch mehr für die eigene Familie. Vor wichtigen Anlässen etwa der Töchter geht Rosemann nicht auf längere Reisen.
Wenn eine von ihnen – beide schulpflichtig, zweite und vierte Klasse – etwa Geburtstag hat, übernachtet er nicht auswärts, egal, welche Produktion gerade läuft. „Es ist mir wichtiger und ein Bedürfnis, sie morgens zu wecken und ihr mit meiner Frau und der anderen Tochter ein Ständchen zu singen.“ Überhaupt versucht Rosemann, seine Work-Life-Balance trotz seiner Mehrfachbelastung im Blick zu behalten: „Wenn ich in das Muster des gestressten Managers verfiele, der sich permanent selbst vorhält, wie viel er arbeiten muss, dann wäre es zu spät.“
Ausgleich findet Rosemann immer wieder auch in der Musik – früher noch mehr als heute. Schon im Alter von 16 Jahren verdiente er sich damit etwas Geld hinzu. Rosemann spielte als ausgebildeter Organist parallel zur Schule an den Wochenenden in Kirchen, auf Hochzeiten und Beerdigungen. Später war er „Springer“, wenn sonntags irgendwo ein Organist ausfiel oder gebraucht wurde. „Dann bin ich herumgefahren, von Messe zu Messe, ein Einsatz um 9 Uhr, der nächste um 10.45 Uhr.“ Sein größter Moment: das Orgel-Spielen im Kölner Dom.
Text: Bijan Peymani