Bily wundert sich: über die Bettelei um Zustellförderung

Das Produkt Tageszeitung kommt bisher brav zum Kunden und landet im Postkasten, von wo er es – noch im Nachthemd – ungeduldig im Morgengrauen rausfriemelt. Um dann bei einer Tasse Kaffee Berichte über die letzte Feuerwehrübung, Kirmes oder Beerdigung zu genießen. Über zehn Millionen Tageszeitungen beglücken täglich deutsche Frühstückstische. Damit das so bleiben kann, fordern die Verlage eine „Zustellförderung“. Alternativ könnte man auf Verlagsseite drüber nachdenken, die höheren Zustellgebühren selber zu übernehmen. Nur zur Erinnerung: Vor Covid war es der Normalfall, Probleme ohne Staatshilfen zu lösen.

Diese Challenge könnten die Tageszeitungen post-covidal annehmen. So würden sie erkennen, wieviel Kunden bereit sind zu investieren, um eine Zeitung zu ergattern. „Ich gehe meilenweit für Camel-Filter.“ Aber wie weit gehe ich für eine Tageszeitung? Für „Qualitätsjournalismus“ der Kategorie Passauer Neue Presse, meine Heimatzeitung, würde ich keinen Meter gehen, sondern eher die Flucht antreten. Dass der Staat sich bei Subventionen bei dieser angeschlagenen Industrie zurückhält, ist aus Bürgersicht erfreulich. Für Verlage könnte es eine letzte Mahnung sein, sich endlich um eine konsequent zeitgemäße Neuaufstellung ihres Geschäftsmodells zu kümmern, anstatt die Staatskasse anzubetteln.

Mit guten digitalen Angeboten kann man 2023 einfach, schnell und aktuell die gesamte Bevölkerung – auch die Hochbetagten – erreichen, ohne erst aufwendig drucken und dann die übers Land verstreuten Zeitungsrohre ansteuern zu müssen. Man könnte statt registrierter Abonnements einzelne Artikel per Doppelklick verkaufen. Es ließe sich genau steuern, wer sich für was interessiert…

Stellen wir uns eine Gegend mit einer leserfreundlichen digitalen Lokalzeitung vor. Es gäbe keinen Redakteur mehr, der die Menschen langweilt mit blasierten Meinungsstücken. Reporterinnen könnten live aus Gemeinderatssitzungen berichten, wie Politiker auf ihre unbequemen Fragen reagieren. Der Anteil von Berichten zu Kirche und Pfarrern würde auf ein erträgliches Maß reduziert. Die Korruption nähme dank Transparenz ab. Das Vertrauen in Politik und Medien könnte sich erholen.

Das scheinen attraktive Ziele zu sein. Um sie zu erreichen, müssten Verlage ihr Selbstverständnis radikal korrigieren: vom lange gepflegten Sendebewusstsein zur Dienstleistungsmentalität. Die Macht der klassischen Medien besteht in Zukunft nicht mehr darin, Inhalte zu verbreiten, die von Redaktionsstuben nach Wichtigkeit ausgewählt wurden. Die Chance der Verlage besteht in Zukunft darin, den Lesern das Gefühl zu vermitteln, dass sie gut informiert werden zu Dingen, die sie interessieren. Dafür werden sie bereit sein zu zahlen.

Es ist also gut und richtig, dass der Staat auf eine Zustellförderung verzichtet und die Verlage selbst in die Pflicht nimmt. Jetzt verbleibt im Grunde nur noch der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Restant im Biotop der staatlich subventionierten Medien. Aber auch dieses Modell muss ja bald reformiert werden.

Digitalstratege und Ex-Verlagsfachmann Thomas Bily schreibt regelmäßig für Clap. Mehr über ihn erfahren Sie auf seiner Webseite digital-age.marketing.

Foto: Alexander von Spreti