Bily wundert sich: über die Kioske in den USA

Unser regelmäßiger Kolumnist Thomas Bily war gerade drei Wochen in den Vereinigten Staaten – und hat von dort einige interessante Beobachtungen mitgebracht, die die Medienbranche hierzulande interessieren könnte. Insbesondere scheint der Zeitungskonsum dort mittlerweile viel geringer zu sein, als man vermuten würde. Nach gedruckten Zeitungen oder Zeitschriften müssen Leser dort regelrecht suchen. Was Bily für Schlüsse daraus zieht, lesen Sie hier:

Wir waren gerade drei Wochen in den USA: in New York City und auf Roadtrip durch acht Bundesstaaten des Südens. In den ersten 20 Tagen habe ich keine einzige Zeitung gesehen – und erst recht keinen Menschen, der eine Zeitung in der Hand gehalten hätte. Erst kurz vor der Rückreise habe ich an den Flughäfen von Atlanta (immerhin einer der größten der Welt) und Washington D.C. (immerhin der Flughafen der westlichen Machtzentrale) ein paar halb vergilbte Exemplare der New York Times im untersten Regal erspäht. Also aktuell waren die nicht unbedingt.

Seltene Erscheinung: Kiosk in Washington D.C.

Was dann aber doch verwunderte: In einem Kiosk in New Orleans (ganz oben im Bild zu sehen) war das Zeitungsregal sogar umgewidmet für Süßigkeiten. Diese Automaten schießen ja auch hierzulande wie Pilze aus dem Boden, aber dass ein Zeitungsregal dafür weichen muss, war auch mir neu. Nicht nur im Hotel in Nashville gab es keine Zeitungen mehr zum Frühstück – dafür aber Apple TV auf dem Zimmer. Die stummen Verkäufer in New York waren weg, leer oder boten nun kostenlose Musicalführer. Kein Wunder, dass die offiziellen Auflagenzahlen der Zeitung seit Jahren sehr steil nach unten zeigen. Aber die Realität scheint in den USA sogar noch krasser zu sein, als es die „offiziellen“ Zahlen vermuten lassen.

Es ist nur eine Frage der Zeit, wann uns diese neue Realität der Tageszeitungen auch in Deutschland erreicht. Springer-Chef Mathias Döpfner kündigte bereits vor Monaten an, dass die „Bild“-Zeitung über kurz oder lang nicht mehr gedruckt erscheinen würde. Die traditionelle Mehrheit der Verlagswelt reagierte empört. Und trotzdem kommt es vermutlich so, wie Döpfner es vorhersagt. Solche Meldungen wie: „Die Hamburger Morgenpost wird zur Wochenzeitung“ zeigen ja schon, wie es auch allgemein weitergehen könnte.

Aber was passiert dann mit unserem Land, seinen Bürgern, unserer Demokratie? Erfahrungsgemäß wird auch einen Tag, nachdem die letzte gedruckte „Bild“, „FAZ“ oder „SZ“ erschienen sein wird, die Sonne wieder aufgehen und das Leben seinen Lauf nehmen. Wenn die Zeitungen und ihre Journalisten wirklich unverzichtbar sind für unseren Staat und unsere Gesellschaft, dann werden sie ihre neue Rolle in dieser neuen Umgebung finden.

Es steht für mich völlig außer Frage, dass diese Rolle in Zukunft 100 Prozent digital sein wird. Bis dato fremdeln die meisten Tageszeitungen noch mit dieser Perspektive. Als Nutzer habe ich meist das Gefühl: Die besten Inhalte werden zurückgehalten. Am liebsten wäre ihnen weiterhin das Jahres-Abo. So richtig stellen wollen sie sich der Messbarkeit des Nutzungsverhaltens aber nicht…

Die Tageszeitung ist in Deutschland ein renommiertes Medium. Ich möchte sie nicht vermissen wollen. Aber sie muss ihre Angebotsformen weiter anpassen, damit sie attraktiv bleibt. Ich persönlich würde nie mehr ein Abo schließen, auch nicht für Kampfpreise wie 9,99 Euro pro Monat. Warum soll ich ein Feuilleton mitbezahlen, das ich nicht lese?

Aber! Ich würde gerne einen Euro (oder mehr) für jeden Artikel bezahlen, der mich interessiert. Das sind pro Monat sicher fünf bis zehn Artikel aus den Rubriken Sport, Lokales oder Wirtschaft. In der digitalen Welt entscheidet der Nutzer, was er wann kaufen oder lesen will. Nur wer sich dieser strikt datenbasierten und nutzerorientierten Realität konsequent stellt, hat Zukunft. Ansonsten leben wir halt in Zukunft wie die US-Bürger: als hätte es nie eine Zeitung gegeben.

Für Bily erinnerungswürdig: G+J-Auflagenzahlen von 1973.

Digitalstratege und Ex-Verlagsfachmann Thomas Bily schreibt regelmäßig für Clap. Mehr über ihn erfahren Sie auf seiner Webseite digital-age.marketing