Kassaei-Buch: Schwarze Stellen rund um DDB

Gleich vorweg: Das gestern erschienene Erstlingswerk „Vom Unsinn des Lebens“ von Amir Kassaei ist kein neues „39,90„, es ist sogar in seiner Deutlichkeit der Sprache ziemlich weit weg davon. Vielmehr ist es eine intensive Inaugenscheinnahme der deutschen Werbebranche aus dem Blickwinkel des langjährigen erfolgreichen (Ex?)-Werbers, der früher mit so vielen Preisen überhäuft wurde und trotzdem überall aneckte. In seinem Exil auf Ibiza hat er hier die wichtigsten Stationen seines privaten (zwei Scheidungen werden ausführlich beschrieben) und geschäftlichen Lebens (kaum ein Fiasko wird ausgelassen) aufnotiert. Und er weiß an manchen Stellen seine Leser zu fesseln, obgleich der Humoranteil eher gering gehalten wurde. 

Kassaei hat nach seinem Ausstieg viele Jahre nichts von sich hören lassen, 2020 sagte er Adieu, jetzt also so etwas wie ein Comeback in Buchform. Und diesem merkt man durchaus an, dass einiges, was bei ihm wohl innerlich aufgestaut war, nun mit einigem zeitlichen Abstand zu Papier gebracht wurde. Typisch für Kassaei ist sicherlich, dass er keinem Konflikt aus dem Weg geht („Jeder hat einen Plan, bis er in die Fresse kriegt“). Auf Seite 173 wird es deswegen interessant. Von da an wurde so einiges am Text noch kurz vor Druckschluss geschwärzt, was mit seinem damaligen Arbeitgeber DDB Worldwide, dem Volkswagen-Konzern und den Marken Seat und Cupra zu tun hat.

Es geht zunächst um Ereignisse aus dem Jahr 2018. Kassaei leitet das Kapitel „Alles auf Anfang“ ein mit den Worten: „Wer nun meint, alles in Barcelona sei bis hierhin eine makellose Erfolgsstory, irrt.“ Es geht daraufhin um die Marke Seat, die auch durch die Werbemaßnahmen nach seiner Ansicht erfolgreicher wurde, als es vielleicht dem Mutterkonzern lieb gewesen ist. Kassaei: „Wir galoppierten mit Seat allen davon, die Marke war angesagter als jemals zuvor und überrannte eben nicht nur den Wettbewerb, sondern pikste den Großen und Alteingesessenen unangenehm in die Leisten. Selbst Volkswagen als Mutterkonzern.“

Danach ist einiges vom Text geschwärzt. Was übrig blieb – DDB Worldwide saß damit wohl im Dilemma, weil beide Automarken, also Volkswagen und Seat, gleichzeitig Kunden gewesen sind. Immerhin ließ sich VW wohl in der Folgezeit werblich gesehen von den Seat-Ideen inspirieren. Aber der Konflikt blieb wohl bestehen. Es war wohl ein Grund, warum Kassaei DDB Worldwide sowie C14Torce 2019 letztlich verlassen hat. Es ist nur zu erahnen, was da gestanden haben kann – ungeschwärzt bleibt an der Stelle nämlich, dass die „interne Eskalation gigantisch“ bei DDB gewesen ist.  

Und es gibt noch einige weitere pikante Stellen, die unkenntlich gemacht worden sind. An der einen geht es um die Agentur Springer & Jacoby und einem Gespräch mit Gründer Konstantin Jacoby, den er als „machtsicheren Patriarchen“ beschreibt. Und in der Folge auf Seite 241 wieder um DDB und einen Etat von Mercedes Benz, bei dem alles ausradiert ist. Eingeweihte Kreise werden aber sicherlich trotzdem wissen, was gemeint ist.

Warum der Verlag einiges nicht gedruckt hat? Laut einer Sprecherin sind diese Passagen nach der rechtlichen Prüfung entfernt worden, denn es wäre „möglicherweise mit rechtlichen Anfechtungen“ zu rechnen gewesen. Da Amir Kassaei den Text nicht umschreiben wollte – ihm war wichtig, die Geschichte genauso zu erzählen – hat sich der Verlag entschieden, die entsprechenden Stellen gleich vorab zu schwärzen. Wie Kassaei das aufgenommen hat, ist nicht überliefert. Festzustellen aber ist, dass im Kassaei-Interview mit der „Zeit“ in der letzten Woche vom Buch kaum eine Rede gewesen ist.

Und übrigens ist natürlich doch einiges knallhartes Schwarz auf Weiß zu lesen. Vor allem, wenn es um den Berufsverband ADC geht, wo Kassaei mitgemischt hat. Zitat: „Linkes Spiel, stille Absprachen, lautes in den Arsch kriechen, unlautere Geschäfte, soweit das Auge reichte. Eine opportune Hand wäscht die andere und keine bleibt sauber“. Oha, das könnte noch Ärger geben.   

Kassaei ist und war ein Aufmischer. Agenturleute werden sich sicherlich einige Passagen genüsslich reinziehen, denn Kassaei zeigt sich – wie erwartet – nicht von der ungefährlichen Seite. Ein Skandal-Buch ist es aber deswegen nicht. Erschienen ist der Wälzer auf rund 340 eng beschrieben Seiten übrigens bei Ullstein

Foto: Ullstein/Inge Prader