Readly-Chefin von Bibra: Private Enthüllungen beeinflussen Wahlentscheidungen

Nach dem Ampel-Aus ist der Wahlkampf in Deutschland bereits in vollem Gange. Wie auch die kürzlichen scharfen Debatten im Bundestag gezeigt haben, geht es dabei oft weniger um Sachfragen, sondern eher um persönliche Dinge der Politiker, wie beispielsweise den ersten Auftritt von Markus Söder im Bundestag. Der Flatrate-Anbieter für Zeitschriften Readly hat nun in Zusammenarbeit mit Ipsos eine aktuelle Studie vorgelegt, die gut zum Thema passt. Wie stark lassen sich denn Wähler von eher privaten Enthüllungen und Personality-Stories beeinflussen? Wir sprachen mit Readly Deutschland-Chefin Marie Sophie von Bibra (oben im  Bild) über die Ergebnisse.

Über 60 Prozent der Deutschen geben an, dass private Enthüllungen ihre Meinung über Politiker beeinflussen, was auf eine zunehmende Bedeutung des Privatlebens im Wahlkampf hinweist. Wie beeinflussen Enthüllungen über das Privatleben von Politikern im Hinblick auf kommende Bundestagswahlen?

von Bibra: Es gibt ein natürliches Interesse für die persönlichen Handlungen und das Privatleben von Politiker und Politikerinnen und das nimmt in Zeiten des Wahlkampfes, wenn Politik als Thema und Politiker:innen als Handelnde ohnehin verstärkt im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, eher zu. 31 Prozent der Deutschen geben an, bereits aufgrund von Medienberichten über das Privatleben ihre Wahlentscheidung geändert zu haben, das kann sowohl positiv als auch negativ sein.

74 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass Politiker und Politikerinnen ein Grundrecht auf Privatsphäre haben, aber fast die Hälfte befürwortet Berichterstattung über persönliche Handlungen, wenn diese die öffentliche Aufgabe betreffen. Wo sollte ihrer Meinung nach die Grenze zwischen dem öffentlichen Interesse und dem Recht auf Privatsphäre von Politikern gezogen werden, insbesondere in Zeiten von Social Media und 24/7-Nachrichtenzyklen?

von Bibra: Politiker und Politikerinnen sind Menschen des öffentlichen Lebens und natürlich geht damit ein breites Interesse für die Personen und ihr Leben einher. Social Media hat es ihnen ermöglicht, mehr aus ihrem Alltag und Leben zu teilen und das Narrativ zu erweitern und auf gewisse Weise selbst mitzubestimmen. Trotzdem ist es wichtig, hier eine klare Grenze zu ziehen – denn nur weil sie selbst mehr teilen, muss die Privatsphäre trotzdem geachtet werden. Vor allem, wenn es um die Familien und Details ihres Privatlebens geht, die keine Relevanz für ihre öffentliche Aufgabe und ihr Amt haben.     

Die Umfrage zeigt, dass Enthüllungen sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf das Image von Politikern haben können. Inwieweit können positive private Details über Politiker, wie beispielsweise wohltätige Aktivitäten oder familiäres Engagement, das Vertrauen der Wähler stärken?

von Bibra: Wähler und Wählerinnen wollen verstehen, wer die Menschen hinter den Ämtern sind, welche Werte sie vertreten, was sie bewegt, wie ihre Familienverhältnisse sind und mehr. All das kann Vertrauen aufbauen und Politiker:innen nahbarer und menschlicher machen. Social Media spielt dabei auch eine wichtige Rolle, da Politiker:innen dort sehr direkt Einblicke in ihre Aktivitäten geben können.

Das aktuelle Politiker-Ranking zeigt einen Vertrauensverlust bei wichtigen Akteuren der Ampel-Regierung, was durch persönliche Skandale weiter verschärft werden könnte. Wie sehr haben Skandale um persönliche Verfehlungen zu Vertrauensverlusten in der Ampel-Koalition geführt?

von Bibra: Ich möchte hier nicht spekulieren. Wir haben über die vergangenen Monate einen sukzessiven Vertrauensverlust erlebt, der durch gewisse Charakterisierungen in den Medien thematisiert wurde. Daher kann man davon ausgehen, dass Wähler und Wählerinnen sowohl von den amtlichen Handlungen als auch von den Personen dahinter enttäuscht sind und ein Wechsel daher wichtig sein wird. Weitere Skandale würden hier sicherlich nicht helfen und spekuliert wird gerade zuhauf. Da sollten Medien umso mehr eine neutrale und keine hetzerische Position einnehmen, was aktuell nicht immer der Fall ist.

Nur neun Prozent der Befragten halten es für angemessen, dass Medien über jedes persönliche Verhalten berichten, was Fragen zur Verantwortung der Medien aufwirft. Wie wichtig ist es ihrer Meinung nach, dass solche Medienberichte über das Privatleben von Politikern einen Beitrag zur politischen Transparenz leisten?

von Bibra: Die Privatsphäre von Politiker:innenn und ihren Familien muss gewahrt werden und ich nehme es daher positiv wahr, dass lediglich neun Prozent der Menschen denken, ein Recht auf komplette Einsicht in jede Handlung zu haben. Die Medien haben hier eine eindeutige und wichtige Verantwortung, nämlich einzuschätzen, welche Informationen für die politische Transparenz relevant sind und welche nicht. Da sehe ich es als essentiell, dass diese Verantwortung auch so gefühlt wird und es eben nicht nur um reißerische Überschriften und hohe Klickzahlen geht.

Wie beeinflusst die zunehmende Verfügbarkeit privater Informationen durch soziale Medien das Vertrauen in traditionelle Medien, wie Readly sie anbietet?

von Bibra: Wir beobachten hier in meinen Augen zwei verschiedene Entwicklungen: Zum einen sehen und konsumieren Leser:innen Inhalte in den sozialen Medien in hohem Maße, suchen aber dennoch nach der Einordnung und dem Kontext, den traditionelle Medien bieten. Das trifft vor allem auf ältere Zielgruppen zu. Zum anderen wenden sich viele Menschen ohnehin verstärkt wieder traditionellen Medien zu, weil das Vertrauen in Social Media als zuverlässige und fundierte Quelle, unter anderem durch die Verbreitung von Fake News, erheblich geschwächt worden ist. Gleichzeitig fühlen sich viele von der permanenten Informationsflut in sozialen Medien überfordert. Readly bietet eine Plattform, die das digitale Leseverhalten unserer Nutzer:innen abbildet und ihnen den Zugang zu traditionellen Medien in einer neuen, digitalen Form ermöglicht. Indem wir eine breite Palette an Inhalten bereitstellen, erfüllen wir das Bedürfnis nach Einordnung und Kontextualisierung. Unser Ziel ist es, sowohl diejenigen zu unterstützen, die nach fundierten Informationen suchen, als auch diejenigen, die in der Vielfalt der digitalen Welt Orientierung benötigen.

Aus welchem Grund hat Readly eine solche politische Studie überhaupt ins Leben gerufen? So etwas gehört ja nicht gerade zu ihren kerngeschäftlichen Aktivitäten.

von Bibra: Wir untersuchen und analysieren regelmäßig das Leseverhalten, die Bedürfnisse und die Beweggründe unserer Leser:innen, um zu verstehen, wie wir ihnen die beste Leseerfahrung bieten können. Dazu gehören auch diese breiteren, aktuellen Studien, deren Ergebnisse wir dann für die Weiterentwicklung unseres Produkts nutzen. Sie bieten uns wertvolle Einblicke in die Themen, die unsere Leser:innen bewegen. Die Kombination aus Unterhaltung und Politik ist für uns besonders relevant, da politische Nachrichten derzeit sehr stark nachgefragt und in hohem Maße konsumiert werden. Gleichzeitig konsumieren 90 Prozent unserer Leser:innen während ihrer Zeit auf Readly Gossip- und Unterhaltungsinhalte. Indem wir die Beweggründe und dieses Konsums verstehen, können wir unser Produkt und unser Angebot optimieren und an die sich wandelnden Bedürfnisse unserer (potenziellen) Abonnent:innen anpassen.

Interview: dh

Foto: Readly