Scheunemann: „Das Smartphone muss manchmal weggedacht werden“

Das sorgte vor ein paar Tagen nicht nur im Gaming-Bereich für Aufsehen: Bayes ESports verstärkt sich mit dem bekannten Ex-Google-Manager York Scheunemann, der damit in eine für ihn neue Branche wechselt. Er will nun völlig andere Erfahrungen in die Gaming-Welt einbringen. Das kann der speziellen Szene gut tun. Clap sprach mit dem Gaming-Shooting-Star, der die Devise vertritt: „Mit Haltung ins Unternehmen gehen, Skills kann man sich aneignen.“

Gaming und geringer Stromverbrauch – das passte bisher nicht zusammen. Die Klimakrise und die Strompreise machen auch den Gamern mittlerweile große Sorgen. Laut dem Branchenverband Game achten neuerdings rund 16 Millionen Spielende in Deutschland aktuell noch mehr als vor einem Jahr auf den Energieverbrauch beim Gaming. Ein erstaunliches Ergebnis. Beobachten Sie diese Trendwende auch?

Scheunemann: Wie jeder von uns sind auch Gamer von den sich verändernden Gegebenheiten betroffen. Diese Personen sind aber nicht nur Gamer, sondern haben ein Leben wie alle anderen auch. Das bedingt, dass es Selbstreflexionen und Veränderungen des eigenen Energieverbrauchs gibt. Die erhöhte gesellschaftliche Aufmerksamkeit darauf, was und wie viel konsumiert und verbraucht wird, zeigt, dass wir alle – Gamer inklusive – uns unserer Verantwortung hinsichtlich einer nachhaltigen Zukunft immer mehr bewusst werden. Für mich persönlich ist das eindeutig etwas Positives. Aus Sicht von Bayes Esports stellt dieser Trend kein Hindernis dar. Auch wenn viele aus unserem Team passionierte Gamer sind, so liegt unser Geschäft in der Sammlung, Verarbeitung und Verbreitung von Daten aus dem Esports, also nicht im Gaming selbst. Die Zuschauerzahlen im Esports entwickeln sich nach wie vor positiv. Das bedeutet, dass immer mehr Sponsoren und Investoren im Esports einen lukrativen Markt sehen. Kurzum: Die Industrie wächst, der Energiekrise zum Trotz. 

Haben Sie im Unternehmen Bayes Esports in den vergangenen Monaten eigentlich auch Maßnahmen zur Verringerung der Stromkosten umgesetzt?

Scheunemann: Für ein Unternehmen, das großen Fokus  auf die eigenen Werte legt, ist das Thema Nachhaltigkeit ein sehr bedeutsames. Wir appellieren an die Verhaltensweisen von jedem von uns, wenn es um den Stromverbrauch geht. Egal ob im Büro oder im Home Office, es sollten stets nur die notwendigen Geräte eingeschaltet und nach Benutzung komplett ausgeschaltet werden. In unseren Räumlichkeiten werden die Lichter nur bei Nutzung des jeweiligen Raums eingeschaltet und anschließend wieder deaktiviert. Ein gewisser Energieverbrauch bleibt bei einem weltweit agierenden  Datenunternehmen natürlich nicht aus, aber wir bemühen uns, diesen auf das absolute Minimum zu reduzieren. Das bedeutet, dass wir uns in diesem Bereich stets verbessern wollen. Wir  setzen uns regelmäßig in Gruppen zusammen, um neue Ideen zu generieren und anschließend umzusetzen. Darunter befindet sich eine ganze Bandbreite an Maßnahmen und Verhaltensweisen, die wir von unseren Mitarbeitenden wünschen. Wir fördern das Ticket für die öffentlichen Verkehrsmittel in Berlin, was nahezu von allen genutzt wird. Es werden ausschließlich abbaubare Reinigungsmittel für die Büroräume genutzt und Plastik ist dort ebenfalls kaum zu finden. Das sind nur einige der vielen selbstverständlichen Dinge, die wir tun. Diese sind aber in vielen anderen Unternehmen heutzutage Standard – und müssen es auch sein.

Sie waren fast 13 Jahre bei Google Germany in verschiedenen Führungspositionen. Vor ein paar Wochen sind Sie gewechselt in die Games Branche als neuer COO bei Bayes Esports. Haben Sie sich schon eingelebt in die Gaming-Szene?

Scheunemann: Die Esports-Branche, die mit der Games-Branche verwandt ist, aber definitiv von ihr abgegrenzt werden sollte, ist eine faszinierende Branche mit sehr viel Dynamik und Leidenschaft, gepaart mit Technologie. Ähnlich wie in der Musik, Kunst oder in anderen Sportarten, werden in dieser Branche geographische, religiöse oder anderweitige Abgrenzungen überwunden. Sprachbarrieren werden überwunden, und Menschen kommen zusammen, um gemeinsam zu spielen oder die Profis anzufeuern. Das begeistert mich. Die Kombination von diesen Elementen mit dem Wachstumspotenzial des Marktes und mit der starken Position und erfolgreichen Ausrichtung von Bayes Esports hat mich sehr gereizt, Teil des Ganzen zu werden und mitgestalten zu können. Momentan ist meine Lernkurve sehr steil, was ich genieße. Noch bin ich viel damit beschäftigt, mich einzurichten und mich mit vielem Neuen vertraut zu machen, aber die Neugier ist eine wunderbare Antriebsfeder. 

Oberflächlich betrachtet haben der Suchmaschinenriese und die Gaming-Szene nicht so viel gemeinsam. Oder gibt es da mehr Gemeinsamkeiten, als man glaubt? Welche Erfahrungen von Google können Sie bei Bayes Esports weiterbringen?

Scheunemann: Wie erwähnt ist Bayes Esports kein Player im Bereich Gaming. Dennoch haben Gaming, Esports und Google einiges gemeinsam. Offensichtlich ist der Fakt, dass Technologie eine zentrale Rolle spielt. Ohne diese wären keine Esports-Veranstaltungen möglich, könnte Bayes keine Echtzeitdaten zur Verfügung stellen und wäre auch Google als reines Tech-Unternehmen quasi nicht existent. Das bedeutet ebenso, dass Innovationen und Fortschritt Teil der Geschäfts-DNA beider Unternehmen sind. Darüber hinaus stehen sowohl bei Google, als auch bei Bayes Esports Daten im absoluten Mittelpunkt. Für beide Unternehmen geht es darum, aus Daten Mehrwerte für die Nutzer zu schaffen. In diesem Sinne sind sich Google und Bayes doch recht ähnlich. Natürlich habe ich bei all meinen beruflichen Stationen eine Menge gelernt. Google hat dabei allein schon aufgrund der Länge meiner Zugehörigkeit einen besonderen Stellenwert. Vieles von dem Gelernten bringe ich bereits bei meinen beiden Aufsichtsratsmandaten ein. Bei Bayes Esports werde ich Aspekte wie “Think Big” oder den Anspruch der Verantwortungsübernahme und des holistischen Denkens an jeden Mitarbeitenden einbringen und einfordern. Die bei Google gelebte transparente und hierarchie-entkoppelte interne Kommunikation ist ebenso lehrreich wie die stets angestrebte Effizienz-Steigerung, u. a. durch Perfektionierung von Prozessen. Dies sind nur exemplarische Erfahrungen. Darüber hinaus gibt es noch weitere, die ich bei Bayes Esports sicherlich einfließen lassen werde.

Sie sind bekanntermaßen ein Anhänger von Human Centricity – ein relativ neuer Trend in Unternehmen. Welche Art von nachhaltigen Konzepte und Technologien, die den einzelnen Menschen im Fokus haben, verfolgen Sie?

Scheunemann: Es sollte gar nicht so neu sein, doch scheint die Zeit endlich gekommen zu sein, dass in allen Etagen und Branchen die Erkenntnis durchsickert, dass es Menschen und nicht nur Kolleg:innen – oder noch rationaler “Human Resources” – sind, mit denen wir zusammenarbeiten. Menschen wollen gesehen und gehört werden, und sie wollen das Gefühl der Zugehörigkeit spüren; auch im beruflichen Kontext. Deshalb ist es eine der Kernaufgaben der Führungskräfte, Rahmenbedingungen zu schaffen, die dies ermöglichen, denn nötig ist es allemal. Es hört jedoch nicht mit den Rahmenbedingungen auf. Menschenzentrierte Führung muss vorgelebt werden. Stichworte wie Kommunikation auf Augenhöhe, Empathie, und Resilienz seien hier nur kurz genannt. 

Ich habe mir in den letzten Jahren vieles angeeignet, sowohl durch Literatur und Workshops als auch durch die Hilfe von Mentoren und ehemaligen Kolleg:innen. Das gab mir immer wieder die Gelegenheit, Neues auszuprobieren und mein eigenes Vorgehen zu hinterfragen und zu verbessern. So nutze ich Elemente aus der positiven Psychologie oder Aspekte von Experten, wie etwa die “Theory U” von Otto Scharmer. Oftmals höre ich aber auch auf mein Bauchgefühl und meine Menschenkenntnis.

Sie hatten mal auf einer Xing-Veranstaltung etwas interessantes für einen Online-Manager gesagt: von ihrer inneren Haltung her können sie offline sein, obwohl sie gerade online sind. Wie haben Sie das genau gemeint? Eine starke Fokussierung auf die realen Dinge, die Sie gerade umgeben?

Scheunemann: Wir alle sind die meiste Zeit des Tages online und viele von uns sind es selbst in der Nacht. Das Smartphone macht es möglich und ist eigentlich nicht mehr wegzudenken. Aber genau darum geht es. Es muss manchmal weggedacht werden, um die Präsenz im jeweiligen Moment zu wahren. Das ist wichtig für mich selbst, um fokussiert bei einer Sache zu bleiben, oder – ganz im Gegenteil -, um komplett abzuschalten, auch wenn es nur für ein paar kurze tiefe Atemzüge zwischen zwei Terminen ist. Es ist aber auch wichtig im Kontext von Meetings mit Kolleg:innen oder Geschäftspartnern. Eine – wenn auch nur latente – Ablenkung sorgt dafür, dass nicht zielgerichtet und effizient auf den Themen des Termins gearbeitet wird. Zudem zeugt es von mangelndem Respekt, wenn der Anziehungskraft des Displays nachgegangen wird, statt sich konzentriert in den Termin einzubringen.

Sie doch früher bestimmt selbst mal ein Freund von Computerspielen, sonst würde Sie die Gaming-Branche wahrscheinlich gar nicht reizen. Welche Art von Spielen haben Sie als Teenager gezockt?

Scheunemann: Im Vergleich zu heute war das Angebot zu meiner Jugendzeit eher marginal. Die ersten Computerspiele und Konsolen kamen da erst auf. Ich erinnere mich gut daran, wie ich vor dem ersten Apple IIe, einem riesigen Gerät mit Metallgehäuse, saß und auf die Tastatur eingehämmert habe, um z. B. bei den Olympic Winter Games im Skispringen auf das Podest zu kommen. Ein guter Freund von mir war der stolze Besitzer einer Atari-Konsole. Die Joysticks wurden malträtiert, um mit den als einfache Striche dargestellten Tennisspieler:innen ein Match zu gewinnen. Da sind die Spiele heutzutage doch ein gutes Stück komplexer, aber genau das macht es ja auch so interessant. 

Sie werden gerade zum vierten Mal Vater und sind als Manager erfolgreich. Kollidiert da manchmal der Familienmensch mit dem Karrieremann.

Scheunemann: Beides lässt sich durchaus gut miteinander kombinieren, wenn man für sich selbst einige Bedingungen schafft, die das ermöglichen. Dazu zählen Aspekte wie die eigene Disziplin, striktes Zeitmanagement, klarer Fokus und Struktur. Es braucht aber auch einen Arbeitgeber, der die erforderliche Flexibilität ermöglicht oder gar fördert. Vor allem ist aber auch eine Partnerin oder ein Partner essentiell, die/der das alles mitträgt, sodass auch bei ihr/ihm Zeit für die eigenen beruflichen Themen, für die Familie und für sich selbst bleibt. Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen es schon mal aufreibend sein kann, alles andere wäre ja geschönt. Aber letzten Endes sind auch diese Situationen bereichernd.

Interview: dh

Foto: Bayes Esports