„Sugarless“: Kommt die Werberevolution aus München?

Diese Meldung sorgte vor kurzem für Aufsehen. Burda bereitet sich auf eine Werbewelt ohne Cookies vor: Die selbst­entwickelte Technologie „Sugarless“ soll nach einer längeren Entwicklungsphase „kontext- und contentbasiert“ funktionieren sowie „zustimmungsfrei und daten­schutz­konform“ sein. Das System kann Inhalte analysieren, Bedeutungs­zusammen­hänge herstellen und mit Werbebotschaften verknüpfen. Burda ist für Partner offen. Wir sprachen mit dem verantwortlichen Manager Carsten Sander, Executive Director Monetization Technology Solutions bei BurdaForward, wie das Ganze funktionieren soll.

Die Cookie-Welt, wie wir sie lange kannten, geht gerade unter. Das war aber auch schon länger absehbar. Warum haben Sie gerade jetzt „Sugarless Advertising“ angekündigt?

Sander: Schon seit über einem Jahr arbeiten wir intensiv an alternativen, datenschutzkonformen Vermarktungskonzepten. Wir glauben, dass es spätestens jetzt an der Zeit ist, die alte Welt der cookie-basierten Werbung hinter sich zu lassen und neue innovative Wege zu gehen. Die rasanten Entwicklungen der letzten Monate auf Seite der Browser-Anbieter und Betriebssystemhersteller zeigen uns einmal mehr, dass wir nun handeln und unabhängiger werden müssen. Deswegen ist der Zeitpunkt genau richtig, um neuen Ideen im Markt Gehör zu verschaffen.

Sie offerieren eine „schmackhafte Lösung“ für die Online-Werbebranche. Das von Ihnen genannte „Semantic Intelligence System“, Kern des neuen Systems, klingt dennoch nicht ganz unkompliziert. Können Sie uns in einfachen Worten erklären, wie es funktioniert?

Sander: Der Output unseres Semantic Intelligence Systems sind sogenannte Tags, beschreibende Keywords, die unseren Artikeln als Meta-Information anheften und beschreiben, wie sie inhaltlich ausgerichtet sind. Die Tags ermöglichen es diesen inhaltlichen Schwerpunkt für Targeting nutzbar zu machen. Dabei können sie ganz unterschiedlicher Ausprägung sein. Sie enthalten beispielsweise die im Markt etablierte Context Taxonomie des IAB, übergeordnete Begriffe wie „neue Mobilität“, oder auch Beschreibungen einer bestimmten Absicht wie „Kaufinteresse E-Mobilität“. In einem automatisierten Prozess analysiert das Semantic Intelligence System mithilfe eines Algorithmus stetig Content und Context, klassifiziert Artikel und ordnet diese den Tags zu. Zusätzlich füttern wir es mit bereits vorhandenem und gelerntem Wissen aus angeschlossenen Systemen, um ein Maximum an Wissen zu erreichen. Die Ergebnisse des Systems werden von uns regelmäßig verfeinert.   

Soll „Sugarless Advertising“ die bisherigen Werbemöglichkeiten ersetzen oder ergänzen?

Sander: Am Ende entscheiden unsere Nutzer, welche Werbemöglichkeiten sich hier in welchem Zusammenspiel durchsetzen. Für uns sind beide Varianten denkbar und gut umsetzbar, sowohl im Hybrid-Modus, in dem vorhandene Cookie-Daten mit Kontext-Interesse qualifiziert werden als auch im Stand-Alone-Modus, in dem dann keine Nutzer, sondern nur die Interessen beim Targeting eine Rolle spielen. Wir sehen Sugarless als Baustein, der kombiniert werden kann, aber eben auch für sich allein sehr gut funktioniert. Welche Variante wann sinnvoll ist, hängt vom Anwendungsgebiet und den technischen Voraussetzungen ab.

In ihrer Mitteilung ist die Rede von einer „Advertising Revolution“. Das klingt nach einer Innovation, die über die deutschen Grenzen hinaus transportiert werden soll. Oder interpretiere ich das falsch?

Sander: Es ist sehr gut möglich, dass sich diese Innovation international weiterverbreitet. Grundsätzlich sind wir offen für Partnerschaften aller Art mit Publishern und Werbetreibenden und freuen uns über jeden, der der Cookie-Thematik innovativ begegnen möchte. Der Machine-Learning-Ansatz von Sugarless basiert sowohl auf Algorithmen als auch auf von Menschen unterstützten Trainingsmodellen, die natürlich mit mehr Daten noch besser funktionieren. Am meisten Sinn machen für uns also Partnerschaften, bei denen wir gemeinsam das System und die Produkte weiter entwickeln können. 

Sind Sie bereits auf der Suche nach Kooperationspartnern außerhalb von Burda?

Sander: Wir konzentrieren uns aktuell darauf, unser Semantic Intelligence System technisch weiterzuentwickeln und die Produkte so zu verbessern, dass der „Return on Advertising Spend“ für Werbetreibende überzeugt. Darin geht derzeit unsere gesamte Energie. Wir suchen zum jetzigen Zeitpunkt nicht aktiv, sind aber sehr offen für Partnerschaften.

Ihre Initiative ist sicherlich nicht von heute auf morgen passiert. Schon lange werfen die Themen DSGVO und E-Privacy ihre Schatten voraus. Wie lange arbeiten Sie bereits an dem Thema?

Sander: Die erste Idee zu einem System wie „Sugarless“ ist tatsächlich schon fast drei Jahre alt. Seit 1,5 Jahren arbeiten wir mit einem dedizierten Team an der Entwicklung.

Offensichtlich steht auch ein größeres Team dahinter. Sie haben mit Entwicklern, Vermarktern und Redakteuren zusammengearbeitet. Warum war dieser Aufwand notwendig?

Sander: Unser Ziel ist es seit Jahren, Werbung als relevanten Inhalt für Nutzer zu gestalten und somit Mehrwert zu schaffen. Dies ist ohne ein tieferes Verständnis für die Interessen unserer Nutzer nicht möglich. Der Weg zu ihnen führt über den Inhalt und ihre Interessen im jeweiligen Moment. Was zählt ist die Verbindung zwischen Content und Context – hier steckt der Schlüssel für eine bessere Werbewelt mit relevanter Werbung. Um die Thematik ganzheitlich betrachten zu können, mussten wir alle beteiligten Experten zusammenbringen: Redaktion, Vermarktung, Technologie und Data Science. BurdaForward vereint all diese Kompetenzen unter einem Dach – das ist unser großes Glück, denn so konnten wir das Thema gemeinsam vollumfänglich ergründen und bearbeiten.

Es gab in Zusammenhang mit ihrer Ankündigung auch die Wortschöpfung „Goodvertising“. Warum soll Online-Werbung künftig nützlicher, informativer und unterhaltsamer sein?

Sander: Weil es Zeit dafür ist – nicht erst seit gestern. Goodvertising ist seit 2015 unser strategisches Zielbild, nach dem wir streben. Leider hat die Branche versäumt, offensiv zu kommunizieren, dass Werbung ein sinnvolles Finanzierungsmodell für das Open Internet sein kann. Es ist nicht verwerflich, wenn ein Unternehmen seine Angebote werblich inszeniert. Ich kenne Menschen, die stellen sich einen Wecker, um die Apple Keynote nicht zu verpassen. Nun haben nicht alle Werbetreibenden das Glück eine starke Marke wie Apple zu sein, aber interessante Produktfeatures haben sie sicherlich ebenso. Jeden Tag versuchen Millionen von Menschen ein Bedürfnis im Internet zu befriedigen. Sei es die Antwort auf eine Frage, die Suche nach einer Lösung, Inspiration oder einfach nur Ablenkung. Wir sind fest davon überzeugt, dass auch Werbung hilfreicher Content sein kann, und dass sie ebenso facettenreich auf die Nutzer, die genau das suchen, zugeschnitten sein kann.

Interview: Daniel Häuser

Foto: Burda