Sie nennen es eine Fusion, aus der ein crossmedialer Medienchampion entstehen soll. Übernahme oder Auflösung wäre aber auch nicht so verkehrt gewesen. So oder so: Am Freitag, den 6. August 2021, wird das alte Kapitel Gruner + Jahr beendet und ein völlig neues und bespielloses soll Anfang 2022 aufgeschlagen werden. Bei Olympia würde man sagen: In einer schwächelnden Sportart muss ausgerechnet der jahrelang dominierende Modellathlet frühzeitig die Segel streichen. Wie konnte es so weit kommen? Die Gründe im Zeitraffer:
Enges Qualitätsspektrum: Als ich im April 1991 bei Gruner+Jahr als Trainée anfing, strotzte der Verlag vor Selbstvertrauen, Stärke und Geld. Die großen Marken des Hauses wie „Stern“, „Brigitte“, „Schöner Wohnen“ und „Geo“ prägten das Selbstverständnis allen Denkens und Handelns. Sie setzten die Standards und visierten damit Zielgruppen an in einer Range zwischen Oberstudienrat und Unternehmersgattin. Alles, was außerhalb dieser Toskanafraktion der Printbranche entstehen sollte, hatte es schwer. Zu viel Leichtlebigkeit, Style, Boulevard oder Promis waren verpönt am Baumwall. Deswegen konnte „Gala“ nur an einem anderen Standort wachsen. „Marie Claire“ scheitere letztendlich als verkopftes Modeblatt. Und dem launischen, erfolgreichen Österreich-Import „Woman“ wurde am Baumwall der Stecker der Lebenslust gezogen.
Zu wenig Straßenfußballer-Instinkt: In den 90ern war die Welt für Gruner+Jahr noch in Ordnung. Preislistentreue statt Kickbacks oder außertarifliche Rabatte. Beratung statt Verkauf. Marktforschung statt Kundenbelustigung. In dieser Verlagswelt mit klaren Regeln waren die Manager von Gruner+Jahr die besten. Ungläubig schielten sie auf Dirk Manthey aus der Milchstraße, der Innovationen nur so aus dem Ärmel zu schütteln schien. Kopfschüttelnd ignorierte man die billigen Tricks der Konkurrenz, die Journalismus schon damals verkauften und Anzeigenpakte wie am Fischmarkt schnürten. Nein, mit so billigen Methoden wollte man sich nicht beschäftigen.
Unglückliche Personalentscheidungen: Als in den 2000er Jahren Dotcom und Lehman die ersten nachhaltigen Krisen auslösten, wäre starkes Führungspersonal umso wichtiger gewesen. Ausgerechnet zu der Zeit kamen Bernd Kundrun und Bernd Buchholz an die Spitze des Verlages. Der eine zu sehr Bürokrat, der andere ein Politiker. Keiner mit dem Blick für die digitalen Zeichen der Zeit. Zu Ende moderieren durften das alte Kapitel Gruner+Jahr dann Frau Jäkel und ihre Entourage. Darüber wurde schon mehr als genug gesagt.
Der Mann, der den Verlag vorangetrieben hatte und unter dessen Ägide Gruner+Jahr zu dem stolzen Haus wuchs, das wir in Erinnerung behalten, war Gerd Schulte-Hillen. Er verstarb am Mittwoch dieser Woche, als wollte er sich das traurige Ende seines ehemaligen Vorzeige-Verlages ersparen.
Thomas Bily arbeitete von 1991 bis 2004 in verschiedenen Positionen bei Gruner + Jahr. Später war G+J EMS der Vermarkter seiner Internet-Plattform Wizelife.