Clap-Jubiläumsheft mit Strobl-Porträt und Hey-Interview (hier komplett)

Sie ist unterwegs: Die Clap-Jubiläumsausgabe wird heute an die Abonnenten ausgeliefert. Im Titelprotrait geht es um die wohl meistzitierte Medienfrau in den zurückliegenden sechs Monaten – Christine Strobl. Seitdem sie ARD-Programmdirektorin geworden ist, steht das Telefon der ARD-Pressestelle kaum noch still. Wer Interesse am Heft hat, meldet sich unter clap@clap-club.de.

Eine zweite größere Geschichte kommt von der Welt der Wunder GmbH. Deren Geschäftsführer, Hendrik Hey, will hoch hinaus. In Kürze launcht er einen internationalen Marktplatz für TV-Produktionen. Die Plattform mit dem Namen MILC soll eine Art „Netflix für Profis“ werden und für alle Programmanbieter und Einkäufer der Medienbranche offen sein. Wir trafen ihn in seinem Sendlinger Büro zum Clubgespräch. Newsletter-Abonnenten erhalten hier die komplette Version des Interviews.  

Im Vorgespräch haben Sie gesagt, sie wollen ein Netflix für Profis machen. Warum passt der Vergleich mit der weltbekannten Streaming-Plattform?

Hey: Weil er, vereinfacht gesagt, genau das ist. Netflix ist eine Streaming-Plattform, auf der Inhalte für den Konsumenten angeboten werden. Wir richten uns nicht an den Endkunden, sondern wir bilden das Verhältnis zwischen Content-Herstellern und Content-Käufern ab. Also eine professionelle Variante von Netflix. Wir sind also der Marktplatz, der vor den Konsumenten stattfindet. Das ist natürlich ein riesiger Marktplatz. Zehntausende von Produzenten stellen Programme her. Egal ob Filme, Dokumentationen oder Shows, tausende von Sendern und Content-Plattformen suchen diesen Content. Mit unserer neuen digitalen Plattform wird dieser besser auffindbar sein.

Die TV-Branche hat an dieser Stelle offensichtlich noch großen Digitalisierungsbedarf.

Hey: Ja, aber bislang war dies auch nicht zwingend notwendig.  Ich möchte das vielleicht mit Amazon vergleichen: Jeff Bezos hat damals den Buchmarkt nicht neu erfunden, er hat ihn nur durch seinen e-commerce Ansatz optimiert. Das gleiche machen wir jetzt auch. Wir sagen der Medienmarkt läuft beim Content-Handel nicht rund und wir schauen uns genau an, was da schief läuft. Content ist der Treibstoff des Systems. Ohne ihn geht es nicht. Wenn wir Glück haben, wird unsere Entwicklung auch benutzt. Es gibt aber eigentlich keinen Grund sie nicht zu nutzen. Ich bin selbst Content-Einkäufer, es ist nervig den Telefonhörer in die Hand zu nehmen und ständig schwierige Gespräche zu führen.

 Aber warum ist vor ihnen noch keiner auf diese Idee gekommen?

Hey: Wir haben gerade durch Corona gemerkt, wie rückschrittlich wir eigentlich in der Denke sind. Es hat ja bis dato alles gut funktioniert, aber wir sind in den vergangenen Monaten an Grenzen gestoßen. Das analoge Arbeiten beinhaltet eben auch viele Nachteile.

Welche Nachteile hat das für Produzenten?

Hey: Du musst wahnsinnig viel reisen. Du musst sehr persönliche Netzwerke aufbauen. Das dauert Jahre, bis dich ein Sender außerhalb Deutschlands wahrnimmt. Und auch innerhalb Deutschlands ist es nicht so einfach. Auch der Zwischenhandel kostet natürlich etwas, manchmal müssen Vertriebsprovisionen von 30 bis 50 Prozent einkalkuliert werden. Es gibt Anwaltskosten, Hotelkosten, Messekosten, die das Programm teurer machen. Und außerdem kostet das ganze viel Zeit. Am Ende kommen auf einer Messe doch nicht die richtigen zusammen, obwohl dort 10.000 Leute herumrennen.

Und sie wollen nun die wichtigsten Akteure, die Verkäufer und die Käufer, direkter miteinander vernetzen?

Hey: Darum geht es. Man soll auf der MILC Plattform direkt miteinander reden, verhandeln, kaufen und verkaufen können. Das ist natürlich nur über einen virtuellen Marktplatz möglich.

Aber ist und bleibt dieser ganze Rechteeinkauf nicht doch sehr netzwerkgetrieben?

Hey: Wenn man sich schon kennt, dann kommt man leichter zueinander. Es gibt eine gewisse Intransparenz im Markt. Es ist bislang eine sehr starke closed-shop getriebene Industrie. Es engt den Raum natürlich für alle sehr ein. Es sind dann die üblichen Verdächtigen, die verhandeln. Aber man weiß einfach nicht, ob vielleicht in Kasachstan ein Produzent eine fantastische Dokumentation über zentralasiatische Metropolen gemacht hat, oder wo sonst unentdeckte Talente schlummern. Über einen virtuellen Marktplatz ließe sich so was schon finden und der talentierte Produzent, kann sich dort auch als professionelles Mitglied der  Industrie legitimieren. Ob Du ein kleines oder ein großes Mitglied bist, spielt für den Marktplatz keine Rolle. Einkäufer können stöbern  mit Hilfe von integrierten Artificial Intelligence Funktionen ihre Suche optimieren und einfach auch mal neues entdecken.

Die Plattform scheint aber doch mehr auf der Seite der Produzenten zu stehen.

Wir wollen neutral sein, aber es stimmt schon, wir wollen die Macher stärken, die Quelle des Programms. Auch in Deutschland redet eine lokale Produktionsfirma immer mit den gleichen fünf deutschen Sendern. Und weil die das wissen, gibt es viel Angebot und wenig Nachfrage. Wenn du aber plötzlich Marktzugang z.B. zu fünf weiteren europäischen Ländern bekommst, ändert das einiges. Mehr Wettbewerb wird auch die Qualität steigern und davon profitiert am Ende auch der Zuschauer.

 

Das neue Logo der Content-Plattform.

Sie wollen eine neue Transparenz mit dieser Plattform herstellen. Gibt es internationale Vorbilder?

Hey: Nein, die gibt es nicht. Deswegen ist die Plattform im Moment einzigartig und entsprechend international angelegt. Die meisten Marktteilnehmer werden zu Beginn wahrscheinlich auch nicht aus Deutschland kommen.

Warum?

Weil Deutschland überhaupt gar kein so guter Angebotsmarkt ist. Wir Deutschen

kaufen zwar viel, liefern aber recht wenig. Internationale Marktteilnehmer wie Holland, Russland, England, Frankreich mittlerweile sogar China sind da viel aktiver. Produzieren viel mehr für den Weltmarkt. Deutschland kauft mehr Lizenzen. Der deutsche Produzent macht meistens was für den lokalen Markt und denkt nicht so sehr an den internationalen Markt. Wir hoffen aber natürlich dass auch deutsche Produzenten plötzlich merken, dass es außerhalb von ARD, ZDF, ProSiebenSat.1 und der RTL Mediengruppe noch mehr Möglichkeiten gibt. Du kannst zumindest mal mit allen sprechen. Wenn jemand beispielsweise spezialisiert ist auf Dokumentationen über den deutschen Wald, dann kann das überraschender Weise in China von hohem Interesse sein, weil es dort vielleicht exotisch ist. Das weiß aber hier keiner. Es gibt beispielsweise so viele Dokus über das Oktoberfest, die nur darauf warten, international vermarktet zu werden.

Welchen Content wird von ihrer Welt der Wunder GmbH kommen?

Hey: Unser Vorteil ist: Wir sind Produzent und Einkäufer gleichermaßen, aber auch ein TV-Sender. Insofern betrachten wir den Markt aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Wir haben eine riesige Library mit rund 10.000 Programmstunden. Unseren Content bauen wir um und bieten ihn auch auf der Plattform an. Unser Kernmarkt ist hierbei, die gesamte Publishing-Welt. Also beispielsweise Verlage wie Springer, Bauer oder Gruner + Jahr, weil diese in ihrer digitalen Transformation einen hohen Video-Content-Bedarf auf ihren Webseiten haben. Wir wollen dazu beitragen, dass etwas mehr Broadcast-Qualität dort hinkommt. Unsere Library wird insbesondere sehr kompatibel mit deren Online-Seiten sein. Wir fraktionieren mit kürzer angelegten Beiträgen speziell für diesen Markt. Wir haben spezielle Programmpakete geschnürt, welche wir direkt zum Start auf der Plattform anbieten werden.

Mit Bauer Media Group machen sie die Zeitschrift „Welt der Wunder“. Mit den Hamburgern sind sie schon ein Stück weiter?

Hey: Die sind seit Jahren unser Partner und wir werden sicher einen großen Content-Anteil dort hinliefern. Die gleichen Gespräche führen wir aber auch mit anderen, übrigens auch internationalen Verlagen.

Waren sie auch schon in Unterföhring bei den TV-Sendern? Sie arbeiten ja schon seit Oktober 2017 an der Plattform.

Hey: Ich glaube, die kennen das Projekt sehr gut. Wir wollen aber nicht exklusiv mit einem Sender, oder einer Sendegruppe kooperieren. Unsere MILC Plattform steht ohne Ausnahme jedem Anbieter und Käufer offen. Wir haben das alles Schritt für Schritt aufgebaut. Vielleicht ein wenig langsamer, als es andere mit großen Kapitalgebern im Hintergrund geschafft hätten. Aber dafür haben wir jetzt einen sehr soliden technischen Vorsprung.  Es gibt aber auch viele Dinge, die wir zum Start eventuell noch nicht machen können. Wir wollen z.B. rund um die Plattform Key Account Strukturen in allen wichtigen globalen Territorien aufbauen, damit die Plattform 24 Stunden 7 Tage in allen Zeitzonen besetzt ist. Dafür werden wir möglicher Weise etwas länger brauchen.

Was hätte denn eigentlich Bild TV von der Plattform?

Hey: Ooh, die hätten sehr viel davon. Das ist ein gutes Beispiel, die fangen gerade erst

an und stellen natürlich fest, dass es nicht so leicht ist, einen Fernsehsender zu machen. Ich kann zwar aus meiner Redaktionskompetenz schöpfen, aber nicht sieben Tage in der Woche. Immer wenn Nachrichten im Spiel sind, dann siehst du wie das Budget schmilzt. Die brauchen viel Programm, z.B. Dokumentationen und Reportagen. Gut gemachte Reportagen bringen Einschaltquote. Bild TV könnte sicher auf der MILC Plattform fündig werden.

Der weltweit größte Markt für Bewegtbild ist bekanntermaßen Youtube. Wird Material von dort auch auf die neue Plattform wandern?

Hey: Auch im Youtube Ökosystem häufen sich viele Talente, die ihren Weg ins professionelle TV noch nicht gefunden haben. Wir betrachten diese auch als Produzenten, entsprechend schaffen wir Raum für sie, ihren Content anbieten zu können. Das hilft auch uns TV-Sendern, denn im Moment dürfen wir aus lizenzrechtlichen Gründen nicht einfach so Youtube Material verwenden.

Sie benutzen auch Blockchain-Technologie, um die Abläufe zu regeln und alles rechtssicher zu machen. Warum?

Hey: Ich halte die Blockchain-Technologie für absolut systemrelevant. Sie steht zwar noch am Anfang, aber schon heute können wir hiermit z.B. eine Art Urheberechts-Notariat anbieten, in dem eine hohe kryptographische Sicherheit auf das Urheberrecht herrscht. Der kryptographische Sicherheitsstandard ist enorm hoch, dass er zeugenfähig ist. Ich denke, dass sollte jeden, der mit Lizenzen handelt interessieren. Denken Sie aber auch daran, was z.B. dieser Sicherheitsstandard für den Journalismus tun könnte. Wir planen bereits vollkommen dezentrale Journalisten-Netzwerke mit Hilfe der Blockchaintechnologie aufzubauen und zu integrieren. Eine Zensur würde sich an diesen komplett die Zähne ausbeißen. Eine andere wichtige Funktion für uns ist, dass nach einem Lizenzkauf Beträge in Millisekunden über den Globus transferiert werden können, ohne dass eine Bank dafür notwendig ist. Ansonsten dauert eine Überweisung beispielsweise nach Indien schon mal eine Woche. Natürlich lässt sich aber auf dem Marktplatz auch mit den gängigen Währungen bezahlen, auch mit Paypal. Wir haben zusätzlich die eigene Kryptowährung MLT (Micro Licensing Token) entwickelt, diese Währung könnte bestimmte Prozesse nochmal beschleunigen.

War es unbedingt notwendig diese eigene Krypto-Währung zu entwickeln?

Hey: Ja, wenn gleich es viel mehr um die sogenannte Tokenisierung geht als um eine Krypto -Währung. Der MLT ist ein Funktions- oder Industrietoken, mit ihm lassen sich ganz bestimmte Abläufe auf der MILC Plattform steuern. Er reflektiert viele Bedürfnisse der Medienindustrie. Dadurch dass wir in diesem Ökosystem einen eigenen, intelligenten Token anbieten, könnte es sein, dass sich dieser als eine Art Standard im Medien Ökosystem durchsetzt.

Außerdem wollen wir mit Hilfe dieses Tokens auch versuchen eine direkte Brücke zum Zuschauer zu schlagen. Beispielsweise wird es auf der Plattform für Kreative möglich sein, sehr früh mit ihrem zukünftigen Publikum zu interagieren und sich von diesem helfen zu lassen. Man könnte diese aktive Unterstützung z.B. mit Hilfe des MLTs auch honorieren und damit ganz neue Marketingwege erschließen. „TV meets Blockchain meets Social Media“ – das finde ich extrem spannend.

Welt der Wunder läuft doch ganz gut. Zu tun gibt es auch viel, wenn ich mich auf ihren Fluren so umschaue. Warum machen Sie das überhaupt?

Hey: Weil ich denke, dass Medien sich in einem enormen Umbruch befinden. Da ich Medien sehr liebe, will ich unbedingt an diesem Prozess frühzeitig teilnehmen. Ich glaube fest daran, dass aus diesem Umbruch ganz neue, sehr zukunftweisende Strukturen hervorgehen werden. Wenn man in einem noch jungen Umfeld, wie der Blockchaintechnologie, Dinge nachhaltig umsetzen und in die Realwirtschaft übersetzen will, muss man sehr leidenschaftlich und auch sehr stur sein. Eine gute Idee ist aber einfach eine gute Idee, auch wenn es manchmal länger dauert sie umzusetzen. Aber dann geschieht etwas und plötzlich ist alles anders und das erleben wir gerade hautnah. Durch Corona ist beispielsweise der internationale Contenthandel fast zusammengebrochen, die ganzen weltweiten Messen und auch unendlich viele Produktionen sind ausgefallen. Vielleicht wird es sogar nie wieder mehr so, wie es einmal war. Deswegen ist es jetzt Zeit für eine digitale Lösung wie unsere Milc-Plattform. Ich bin sehr froh, dass wir das ein wenig vorhergesehen haben und nie aufgehört haben an diesem Projekt zu arbeiten. Jetzt dürfen wir auf die internationale Startlinie, um am Sprint in die Zukunft teilzunehmen.

Interview: Daniel Häuser