Wie kürzlich bekannt geworden ist, wird Bettina Schausten zum 1. Oktober 2022 neue ZDF-Chefredakteurin und damit eine der wichtigsten und einflussreichsten Journalistin des Landes. Sie hat das „ZDF-Morgenmagazin“ geleitet, war Politikchefin, stand an der Spitze des Hauptstadtstudios und der ZDF-Aktualität. Schon im vergangenen Jahr spekulierte Clap über ihren kommenden Aufstieg beim Sender. Ein Clap-Portrait über Schausten entstand nur einige Zeit zuvor.
Nie ihrer Person, stets der Sache verschrieben, gibt Bettina Schausten populären Senderformaten Profil – auch dem „heute-journal“. Als kommende Chefredakteurin und Nachrichten-Chefin formuliert sie gegenüber Clap indes größere Ziele – und verrät, warum sie sich vorm Bildschirm oft ausgegrenzt fühlt.
Was war das denn?! Am Jahrestag von „9/11“ moderierte Claus Kleber im „heute-journal“ gerade einen Beitrag über die Staatskapelle Berlin an, als im Hintergrund unvermittelt eine Person im blauen Ganzkörper-Schutzanzug durchs Bild huschte und mit den Armen wedelte. Auch eine zweite Tonspur war zu hören. Sekunden später war der Spuk wieder vorbei. Im Anschluss klärte das Kulturmagazin „aspekte“ auf: Es handelte sich um eine Aktion des Künstlers Christian Jankowski, der systemrelevanten Berufen eine Plattform geben will.
Als Leiterin der Hauptredaktion Aktuelles hatte Bettina Schausten die Sache abgenickt, so wirklich glücklich war sie damit offenbar nicht. „Natürlich ist Kunst immer auch Geschmacksache“, sagt Schausten diplomatisch. Ihr selbst, hört man aus dem Umfeld, habe vor allem die Umsetzung nicht geschmeckt, Jankowskis Figur eher an einen Tatort-Reiniger erinnert. Ihrem professionellen Selbstverständnis gemäß, hätte die 55-Jährige der auch vom Publikum teils heftig kritisierten Aktion einen sachlichen Beitrag zum Thema vorgezogen.
Doch Schausten, in der Hierarchie die Nummer Zwei hinter ZDF-Chefredakteur Peter Frey, wahrt nach außen hin Fassung und Fassade: Das „heute-journal“ sei ja kein ganz strenges Nachrichtenformat, sondern habe durchaus Magazincharakter. „Nicht alle Nase lang, aber doch ab und an“ müsse sich die Sendung die Freiheit nehmen dürfen, überraschende oder unkonventionelle Elemente einzubauen. „Als uns die ,aspekte’-Redaktion die Idee antrug, hätte ich auch versuchen können, den „journal“-Kollegen das auszureden – das habe ich bewusst nicht getan.“
Zu den Dingen ungeachtet persönlicher Empfindungen Abstand zu wahren, gilt als eine der Stärken von Schausten. Das meint vor allem, sich mit politischen Gesprächspartnern nicht gemein zu machen. Wie wenige in dem Geschäft hat die langjährige Wahlberichterstatterin des ZDF eine gesunde Distanz auch zu sich selbst, Unaufdringlichkeit zum Markenzeichen erhoben. Die „Stuttgarter Zeitung“ ließ sie einst wissen, sie sei „wohl vom Naturell her eher Augenzeugin“. Schausten beobachtet nicht nur genau, sie hört gut zu und analysiert scharf.
Im nordrhein-westfälischen Lüdinghausen südwestlich von Münster geboren, zeichnete sich das Talent der heutigen Vorzeige-Journalistin früh ab. So soll sie bereits als kleines Mädchen in ihrem Kinderzimmer die „heute“-Nachrichten nachgespielt haben. Man muss ein bisschen graben, um derlei Anekdoten zutage zu fördern. Schausten behält Persönliches gern für sich, Fragen danach irritieren sie. Noch nicht einmal, weil das andere nichts anginge – sie ist vor allem davon überzeugt, dass ihr Privatleben nicht interessiert und nichts zur Sache beiträgt.
Oder jedenfalls nur, soweit es ihr Werden und Wirken betrifft. Katholisch sozialisiert, habe sich ihr nach dem Abitur mit 19 Jahren die Chance geboten, bei der Zeitschrift „Leben und Erziehen“ in Aachen zu volontieren. Heute im Portfolio der Bayard-Mediengruppe mit dem Deutschland-Sitz in Augsburg, gilt das Periodikum als katholisches Pendant zu „Eltern“. Im Anschluss an das Volontariat habe Schausten „noch einmal nach Neigung studieren wollen, um meinen Horizont zu erweitern“. Statt ins Studio ging’s 1986 erst einmal zum Studium.
Eingeschrieben an den Universitäten in Köln und München, wählte die frisch ausgebildete Journalistin mit Literatur und Geschichte zwei geisteswissenschaftliche Fächer, zudem im Magister-Nebenfach Theologie. In jener Zeit beschäftigte sich Schausten unter anderem mit Kirchengeschichte und insbesondere mit „Exil“-Literatur – Werken von hierzulande damals verfolgten Autoren und Schriftstellern, die in den Jahren 1933 bis 1945 ins Ausland flohen, um weiter wirken zu können. Schon immer hatte sie ein Faible für komplexe Themen.
Bei allem Tiefgang wirkt Schausten, verheiratet mit Thomas Fuhrmann, dem Leiter der ZDF-Hauptredaktion Sport, nicht vergeistigt, sondern manchmal sogar richtig lässig. Etwa, wenn sie angesichts ihrer katholischen Prägung, des Glaubens auf der einen und der Verfehlungen der Institution auf der anderen Seite bekennt, „immer noch bei dem Verein dabei“ zu sein. Sie habe sich „seit dem Studium wiederholt kritisch mit meiner Kirche auseinandergesetzt“, fühle sich aber „durchaus verbunden, auch wenn ich mit vielem nicht einverstanden bin“.
Schon während ihres Studiums arbeitete Schausten frei für den Bayerischen Rundfunk, ging 1992 dann von München nach Mainz zum Südwestfunk. Dort wirkte sie bis zu ihrem Wechsel zum ZDF vier Jahre später als Reporterin und Redakteurin der Fernsehnachrichten. Anfangs war sie beim Mainzelmännchen-Sender als Redakteurin und Autorin für das „abendmagazin“ und das Format „hallo deutschland“ verantwortlich. Es muss bisweilen eine Prüfung für sie gewesen sein, denn das bunte Fach liegt Schausten nach eigenem Bekunden nicht besonders.
Sie nahm die Herausforderung an, fiel auf und wurde 1997 persönliche Referentin von ZDF-Chefredakteur Klaus Bresser. Parallel übertrug ihr das Haus die redaktionelle Verantwortung für die bis heute populäre Interviewreihe „Was nun,…?“. 1999, mit Anfang 30, gab man ihr die Möglichkeit, das „Morgenmagazin“ zu leiten und auch regelmäßig selbst zu moderieren. Im Rückblick sei das ein Segen gewesen, verklärt Schausten als bekennende Nachtigall. Die Erfahrungen von damals hätten sie für ihr gesamtes Berufsleben nachhaltig geprägt.
Da schmunzelt Schausten vielsagend und meint vor allem eine gewisse Opferbereitschaft, in Anbetracht der unchristlichen Arbeitszeiten. Sie sei nie wieder so gut und so breit informiert gewesen wie durch die Arbeit für das „Morgenmagazin“. „Aber während dieser Jahre ist mir bewusst geworden, dass mein Talent und mein Interesse vor allem dem politischen Journalismus gelten.“ Ab 2003 übernahm Schausten die innenpolitische Abteilung, präsentierte bald darauf regelmäßig das Politbarometer und wurde zugleich zum Gesicht der ZDF-Wahlsendungen.
Letzteres inspirierte die Redaktion der „heute-show“ zu einer Figur, die als „Tina Hausten“ mit der Rubrik „Kompetenz in Prozent“ Meinungsumfrage zu allerlei Themen und mit dem gebotenen Unernst zum besten gab. Inzwischen steht Tina Hausten für andere Inhalte, erhielt Familienzuwachs mit der sächselnden Mandy, der Berliner Schnauze Dörte und der adeligen Antonia aus Bayern. „Darauf bilde ich mir was ein!“, sagt Schausten und lacht herzhaft. Die Tina Hausten sei „meine anarchische Schwester“. Die Mandy gefällt ihr aber noch mehr.
Die Schauspielerin hinter den Kunstfiguren, Martina Hill, hat Schausten noch nie persönlich getroffen. Immerhin sendete die eine Grußbotschaft in einem Filmchen, das Schaustens Team ihr zum Abschied produzierte, als sie im April 2010 nach Berlin ging. Es war im Lichte der behördlich organisierten Männerriege ein superlativer Karriereschritt: Als erste Frau leitete Schausten das ZDF-Hauptstadtstudio, die „Berlin direkt“-Moderation und Sommerinterviews als Kirschen auf der Torte. Da war die selbsternannte „Politikerklärerin“ in ihrem Element.
Seit gut eineinhalb Jahren dirigiert Schausten nun die Nachrichten-Redaktionen und arbeitet seither kräftig daran, die Formate erstens zukunftsfest und zweitens auch wieder für jüngere Zielgruppen attraktiv zu machen. Zentral war dabei der Relaunch des Online-Angebots unter heute.de, ergänzt durch die neue „ZDFheute“-App. Flankiert wird der digitale Auftritt von der „heute“-Redaktion für die News am Tag und der Redaktion des „heute-journals“, die sich um alle Neuigkeiten am Abend kümmert. Das gilt auch für das „heute-journal update“.
Die Spätausgabe des Flaggschiff-Magazins geht seit Anfang September fünf Mal pro Woche um Mitternacht auf Sendung. Schausten sieht den „heute+“-Nachfolger, der künftig auch mit Interviews aufwartet, als „Teil einer größeren Strukturveränderung“, die auf eine Verzahnung von linearen und digitalen Angeboten und die crossmediale Zusammenarbeit der derzeit rund 300 festen und freien Mitarbeiter setze. Schausten räumt ein, das ZDF habe spät erkannt, dass es im Zuge der Digitalisierung nicht länger nur Sender, sondern längst auch Empfänger sei.
2021 soll das virtuelle Nachrichten-Studio im Sendezentrum in Mainz-Lerchenberg erneuert werden. Sichtbare Veränderungen gibt es bereist beim „heute-journal“: Seit Mitte Juli verstärkt Schausten das Moderatoren-Team um Marietta Slomka, Claus Kleber und Christian Sievers, will „das politische Profil vertiefen“. Es ist kein ungewöhnlicher, für das Zweite aber dann doch ein inzwischen ungewohnter Vorgang. Lange war es Tradition, dass die stolzen Vorgänger in Schaustens Position auch im „heute-journal“ ihr Revier markierten.
„Ich hätte diese Tradition nicht unbedingt weiterführen müssen, aber es war der Wunsch im Haus, und ich komme dem sehr gerne nach“, sagt sie. Im Schnitt drei- bis fünfmal pro Monat sehe der Einsatzplan vor, „aufs Jahr gerechnet komme ich vielleicht auf fünf Wochen.“ Das langt ihr dann auch komplett, ihr Hauptjob fordere sie wirklich zur Genüge. Aus Schaustens Sicht folgt die Moderation des „heute-journals“ einer gewissen Logik. Das könnte auch für die Annahme gelten, sie werde einmal Peter Frey nachfolgen. Sie selbst wehrt brav ab.
Gibt sich bescheiden, lobt Frey, sagt aber auch, dass bisher all ihre Engagements beim ZDF aufeinander aufbauten. Fiele die Frey-Nachfolge wider Erwarten auf den Programmdirektor Norbert Himmler, darf man davon ausgehen, dass sie dessen Posten ausschlagen wird. „Ich bin Journalistin, und damit fühle ich mich sehr wohl“, sagt Schausten lapidar. Ebenso wenig Lust verspürt sie auf eine eigene Talkshow. Die Vertretung der erkrankten Maybrit Illner im Herbst 2017 soll ein einmaliger Ausflug bleiben, so souverän Schausten es auch gemacht hat.
Sie hat auch so genug zu tun – und manche Baustelle mit Geschick ins nächste Jahr verlegt. So gelang es ihr, Petra Gerster und Claus Kleber zu überreden, ihren Lebensabend noch eine Weile im deutschen Fernsehen zu verbringen. Beide haben 2020 die interne Altersgrenze von 65 Jahren erreicht, für beide würden nun die Verträge auslaufen, bei Gerster im November, für Kleber im kommenden Frühjahr. Überraschend gab letzterer Anfang September bekannt, auf Bitten von Schausten bis Ende 2021 Anchorman des „heute-journals“ zu bleiben.
Zuvor hatte „heute“-Moderatorin Gerster einer Zugabe bis zum Frühsommer nächsten Jahres zugestimmt. Zwei wichtige Personalien sind damit vorerst wegorganisiert. Das verschafft für die Nachfolgesuche Luft. Die vergangenen Monate hätten zudem gezeigt, „wie groß der Wert von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen gerade in Krisenzeiten ist, die ihre Ankerfunktion gut und glaubhaft ausfüllen“, begründet Schausten ihre Entscheidung. In beiden Fällen könnte die Neubesetzung auf eine Frau hinauslaufen – das Thema ist top, auf Schaustens Agenda.
Ganz objektiv habe sich in punkto Geschlechtergerechtigkeit in den vergangenen Jahren auch beim ZDF viel getan, postuliert die Vize-Chefredakteurin, „aber es gibt noch einen deutlichen Nachholbedarf!“. Weiterhin müssten Frauen „in einer gewissen Lebensphase mehr leisten als Männer“. Karriere und Kinder unter einen Hut zu bekommen, vor diese Aufgabe würden dann eben doch vor allem die Frauen gestellt. Ihre Erfahrung sei schon, dass sie sich mehrheitlich bis heute entscheiden müssen, wo sie den Schwerpunkt legen“, kritisiert Schausten.
Sie selbst sei kinderlos und halte die Frage für hypothetisch, ob sie mit Kindern eine ähnliche Karriere hätte hinlegen können. „Ich kann dazu nur soviel sagen: Ich habe keine Entscheidung gegen Kinder und für den Job getroffen.“ Das eine schließe das andere nicht aus, man müsse aber auch die Bedingungen dafür schaffen, das beides miteinander verbunden werden könne. „Ich selbst lege als Chefin darauf wert; Frauen müssen in Unternehmen die Möglichkeit haben, an dieselben Futtertöpfe zu kommen wie die Männer.“ Oft allerdings ist Kind ein K.O.
Ihr sei auch klar, dass ein paar Appelle oder gendergerechte Sprache allein kaum helfen, sagt Schausten: „Wir sind uns einig, das mitgesprochene Sternchen kann noch nicht der Weisheit letzter Schluss sein.“ Aber gerade ein Massenmedium wie das Fernsehen müsse Sprache bewusst gebrauchen und Sprachentwicklung fortwährend abbilden. „Wenn mich ein Moderator heute noch mit ,liebe Zuschauer’ begrüßt, fühle ich mich persönlich nicht mehr angesprochen“, so Schausten, „ich erwarte schon, dass er eine Form findet, die alle einbezieht, die vor dem Fernseher sitzen.“
Nicht nur aus eigenem Empfinden, sondern auch angesichts vieler Rückmeldungen sei sie davon überzeugt, „dass wir uns alle in irgendeiner Weise um angemessene Formen werden bemühen müssen“. Sie jedenfalls sei dazu bereit, fühlt sich der Idee verpflichtet. Schausten vertraut auf Einsicht: „Für uns will ich das weder verordnen noch sagen, dass wir das so auf keinen Fall machen.“ Vielmehr sollen die Redaktionen Raum für eigene Ansätze haben. Es geht Schausten um Reflexion, nicht um Perfektion: „Es gibt beim ZDF keine Sprachpolizei!“
Text: Bijan Peymani
Fotos: Jana Kay für Clap