Just another Diekmann-Interview? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. In diesen Tagen gab es ja schon einige Interviews mit dem früheren „Bild“-Chefredakteur und seinem neuen Buch: „Ich war Bild“. Aber alle Details sind eventuell noch nicht auserzählt. Wir haben jedenfalls die Dinge noch einmal von einer etwas anderen Seite bei Kai Diekmann hinterfragt.
Wenn ich mir das Cover-Foto Ihres Buches anschaue, da habe ich mir gedacht, es muss vielleicht auch ein bisschen Schwermut dabei gewesen sein, das Buch zu schreiben. War das harte Arbeit für Sie? Es ist ja ein ganz schöner Wälzer geworden.
Diekmann: Wenn Sie 31 Jahre bei „Bild“ gewesen sind, und 16 Jahre davon an der Spitze, dann haben Sie so viele unglaubliche Dinge erlebt, dass das für drei Leben reicht. Es geht mir darum, Geschichte in Geschichten zu erzählen. Zeitgeschichte eben. Ich hatte am Anfang ein Buch von 350 Seiten geplant habe, es sind 544 geworden. Winston Churchill hat für seine Lebenserinnerungen drei Bände gebraucht. Das ist ja jetzt gerade mal mein Erstling.
Warum haben Sie das Buch überhaupt geschrieben?
Diekmann: Dieses Buch sollte keine belanglose Anekdotensammlung aus dem Büro des „Bild“-Chefredakteurs werden. Ich habe meine „Bild“ beschrieben, wie ich sie 16 Jahre als Chef erlebt und gemacht habe. Mein Blick auf die Mechanismen der Macht. Meine Erlebnisse mit den Protagonisten der Macht. Meine Wahrnehmung. Ich habe es nicht dabei belassen wollen, meine Geschichten nur aus der Sicht des unbeteiligten Beobachters zu erzählen, des Chronisten. Eine Rolle, in der ich mich jahrzehntelang am wohlsten gefühlt habe. Ich habe den Geschichten Kai Diekmann hinzugefügt. Was ich gedacht, was ich gefühlt habe, was mich bewegt hat, wenn wir uns für Schlagzeilen entschieden, die das Leben anderer Menschen auf den Kopf stellten – oder ich selbst unfreiwillig in die Schlagzeilen geriet. Denn: Häufig war ich ja nicht nur als „Bild“-Chefredakteur unterwegs, sondern auch als persönlich Betroffener: Ganz gleich, ob es um den Anschlag auf unser Familienauto ging, die spektakuläre Strafanzeige der SPD-Spitze gegen mich oder um Helmut Kohl, dessen Trauzeuge ich war.
Welche Geschichte ist Ihnen besonders wichtig?
Diekmann: Natürlich das Kapitel über Wladimir Putin. Zum Beispiel die Geschichte, als er mich am Ende eines Interviews fragte, ob ich mit ihm noch baden gehen würde. Ich antwortete: „Üblicherweise nehme ich zu Interviews mit Staatspräsidenten keine Badehose mit.“ Das sind Momente, die kann man sich eigentlich gar nicht ausdenken. Über Jahre habe ich die Anekdote vom gemeinsamen Schwimmen gerne erzählt. Heute tue ich das mit sehr gemischten Gefühlen. Das ist aber ja nicht einfach nur eine Anekdote, sondern sie sagt ja auch etwas über die Persönlichkeit von Putin. Diese Anekdote illustriert, wie der russische Präsident seine Gesprächspartner zu überraschen, zu überrumpeln versucht. Sie zeigt die Perfektion, mit der er Situationen inszeniert, um sich eindeutig als Herr des Geschehens zu präsentieren und den anderen da etwas in der Luft hängenzulassen. Gemeinsames Schwimmen mit Putin wäre heute natürlich ein absolutes No-Go, weil Putin eben nicht mehr der unschuldige russische Präsident, sondern ein Kriegsverbrecher ist.
Weil ich das in sehr guter Erinnerung habe, dass Sie Putin vor Jahren auch mal in Sotschi besuchten: Hatten Sie damals schon in ihm den Ukraine-Krieger gesehen?
Diekmann: Ich weiß nicht, ob ich mich in ihm getäuscht habe. Ich habe den Eindruck, dass es zwei Putins gibt. Der Putin, den ich 2000 und 2001 erlebte, war ein ganz anderer als der heutige Putin. Der damalige Putin hat nach meinem Eindruck daran geglaubt, dass Russland trotz der Niederlage im Kalten Krieg in der Weltpolitik eine Rolle spielen und am Wohlstand teilhaben würde. Der Anschlag auf das World Trade Center hat dann vieles verändert. Die Prioritäten des Westens verschoben sich auf die Bekämpfung des Islamismus. Russland war nur noch eine Tankstelle. Aus diesem westlichen Desinteresse hat Putin Schlüsse gezogen, die ihn zu dem Kriegsverbrecher gemacht haben, der er heute ist. Viele behaupten ja jetzt, sie hätten in Putin schon immer den Verbrecher gesehen. Aber wie war das damals im Bundestag 2001, als er auf Deutsch seine berühmte Rede gehalten hat? Da hatten etliche Abgeordnete Tränen in den Augen. Das war ein Höhepunkt der neuen deutsch-russischen Beziehungen. Ich möchte die Person sehen, die schon damals gesagt hat: „Das ist aber ein Verbrecher.“ Wir dürfen nicht vergessen, wo wir in den deutsch-russischen Beziehungen herkommen. Michail Gorbatschow war ein deutscher Volksheld. Als er auf dem Marktplatz in Bonn aufgetreten ist, haben die Menschen ihm zugejubelt wie vielleicht sonst der Queen. Und die Freundschaft zwischen ihm und Helmut Kohl ist legendär. Die Freundschaft zwischen Kohl und Boris Jelzin und deren Saunagänge sind legendär. Und deswegen gab es auch keinen Grund anzunehmen, dass sich dieses Verhältnis nicht auch in der Freundschaft zwischen Gerhard Schröder und Wladimir fortsetzen würde.
Ich habe in das Buch vorab reinschauen können. Da haben Sie ja unter anderem gesagt, 16 Jahre Bild sind genug. Aber es heißt ja immer so schön: Einmal Journalist, immer Journalist. Wann haben Sie manchmal so Phantomschmerzen auch hinsichtlich „Bild“?
Diekmann: Hinsichtlich „Bild“ habe ich keine Phantomschmerzen, aber ich kann natürlich – einmal Journalist, immer Journalist – an keiner Geschichte vorbeigehen. Und wenn ich hier durch den Park in Potsdam laufe und sehe, was die Biber wieder angerichtet haben, dann ist natürlich die Kollegin Sabine Schicketanz von den „Potsdamer Neusten Nachrichten“ vor meinen SMS nicht sicher. Und so geht mir das auch, wenn ich am Ostseestrand bin und nach einem Gespräch mit den Strandfischern der Meinung bin, es müsste sich mal jemand um das Thema Robben kümmern, werden die Kollegen von der „Ostsee Zeitung“ ebenfalls genervt. Aktuell recherchiere ich die Geschichte unseres Hauses hier in Potsdam, gebaut 1922: Während des Krieges war die Wehrmacht mit einer Dienststelle hier untergebracht, später die Volkspolizei der DDR. Mit der Suche nach den Dokumenten und Akten bekämpfe ich ein wenig den von Ihnen angesprochenen Phantomschmerz.
Jetzt arbeiten Sie ja schon seit etlicher Zeit bei Storymachine mit dem Philipp Jessen zusammen. War das für Sie wichtig, dass er auch ein erfahrener Journalist ist?
Diekmann: Ich habe mit Philipp Jessen schon vor ganz langer Zeit bei „Bild“ zusammengearbeitet. Ich fand ihn immer großartig und habe verfolgt, was er beim „Stern“ macht. Wir sind dann vor etlichen Jahren auf einer gemeinsamen Reise in Israel gewesen. Dort hat er mich angesprochen und gesagt: Wenn du mal was Eigenes machst, dann sagst du mir Bescheid – ich bin dabei! Es war dann eher umgekehrt: Ich war mit der Gründung von Storymachine noch gar nicht so weit, da hatte er schon beim „Stern“ gekündigt und wollte loslegen.
In Ihrem Buch bin ich bei einem Foto hängengeblieben. Und zwar geht es da um den „Bild“-Abschied 2016. Da gibt es also dieses Foto, wo Tanit Koch darauf zu sehen ist und auch Julian Reichelt. Bedauern Sie es, dass diese Doppelspitze nicht so lange gehalten hat?
Diekmann: Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass diese Doppelspitze erfolgreich ist. Deswegen habe ich ja auch diese Doppelspitze vorgeschlagen, weil ich beide als hervorragende Journalisten kennengelernt habe und der festen Überzeugung war, in der Balance wird das erfolgreich. Aber es kommt erstens immer anders, als man sich das zweitens denkt und drittens ist es in den wenigsten Fällen so, dass derjenige, der geht, dann auch erfolgreich seine Nachfolge regelt.
Wie sehr stresst Sie denn momentan diese ganze Diskussion rund um die „Bild“-Zeitung, die jetzt durch die Medien getrieben wird? Ärgert Sie das sehr oder schalten Sie da ab?
Diekmann: Warum sollte mich das stressen? Ich bin ja seit sechs Jahren nicht mehr bei „Bild“ und bin deshalb nicht Teil dieser Geschichte und schaue mir das genauso, wie Sie von außen an.
Sie waren ja immer so ein Mann der Mitte auch und haben die Dinge bei Springer in ihrer Zeit dort ganz gut zusammengehalten. Jetzt hat man schon das Gefühl, dass es mehr Bild-Hater gibt als früher. Warum ist das eigentlich so?
Diekmann: Meine Erfahrung war immer: Starke Marken haben leidenschaftliche Fans, leidenschaftliche Anhänger – und ebenso leidenschaftliche Gegner. Gefährlich ist für eine starke Marke zu viel Gleichgültigkeit.
In Redaktionen geht es immer hart zur Sache und Sie schreiben ja auch in Ihrem Buch, Journalisten sind „meistens hartgesottene Typen“. Wie sehen Sie die Geschichte mit den Döpfner-SMS: wird auch nicht in vielen anderen Redaktionen, etwa bei Redaktionskonferenzen, manchmal sogar noch viel härter gestritten, als es diese SMSen suggerieren?
Diekmann: Ich habe mich mit Mathias Döpfner immer leidenschaftlich gestritten, weil es ja überhaupt kein Geheimnis war, dass wir in vielen Fragen politisch völlig unterschiedliche Auffassungen hatten. Deswegen hat mich jetzt auch sein Zitat in der „Zeit“ überhaupt nicht überrascht. Das war zwischen uns kein Geheimnis. Wir haben das sehr transparent ausgetragen. Wir haben uns auf Führungskräftetagungen oder Redaktionskonferenzen lautstark gestritten und wir haben das auch manchmal im Blatt getan. Dahinter steht auch immer die Frage: Wie gehen Sie als Chefredakteur mit dem Versuch der Einflussnahme um? Und das gehört ja nun zum Tagesgeschäft. Sie müssen als Chefredakteur eine Haltung entwickeln. Ich wusste, ich bin derjenige, der am Ende seinen Kopf hinhält. Und deswegen habe ich mich davon nicht beeindrucken lassen und deshalb auch nie solche SMS bekommen. Döpfner wusste aus langjähriger Erfahrung, dass das bei mir nicht auf fruchtbaren Boden fallen würde.
Foto: Penguin Random House/Peter Rigaud