Schmitz-Portrait: Griff nach den Sternen

Aufgrund der regen Nachfrage veröffentlichen wir heute das jüngst im gedruckten Clap-Magazin veröffentlichte Titel-Portrait von „Stern“-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz in unserem Online-Dienst. Geschrieben von Clap-Reporter Bijan Peymani.  

Gregor Peter Schmitz soll den „Stern“ wieder zum Strahlen bringen. Eigner RTL sichert dem Chefredakteur für das Mammut-Projekt maximale Mittel und Freiheiten zu. Doch Geld allein macht keine Sieger, das Vorhaben bleibt ehrgeizig. Auch privat läuft Schmitz unter Volllast: Zuhause warte auf ihn „double trouble“, sagt der Vater von Zwillingen im „Clap“-Gespräch.

Hoppala! Ist das nicht der Wagen von Gregor Peter Schmitz, der da in der Tiefgarage des Spiegel-Gebäudes im Quartier Brooktorkai/Ericus parkt? Ja, ist es, bestätigt der „Stern“-Hauptschriftleiter, um flugs jeder Fehldeutung den Boden zu entziehen: Beide Häuser teilten sich am neuen „Stern“-Standort in der Koreastraße 7 dieselbe Stellfläche. Und von der Koreastraße aus könne er direkt auf die Kollegen schauen. Seit Februar hatte sich Gruner + Jahr schrittweise vom einstigen Stammsitz am Baumwall in die Hamburger Hafencity verlegt. Den Anfang hatte damals die Redaktion der Zeitschrift „Geo“ gemacht („Clap“ berichtete).

Das achtgeschossige Bürohaus kann architektonisch ohne Zweifel nicht mit dem markanten, unter Denkmalschutz stehenden Pressehaus in der Neustadt mithalten. Der „Stern“ aber soll schon bald wieder bei den ganz Großen seines Fachs mitspielen – allen voran der „Spiegel“ und die „Zeit“. Dafür stellt Eigentümer RTL Deutschland bis 2025 stolze 30 Millionen Euro bereit. Der Auftrag an Schmitz und sein inklusive „Geo“ und „Capital“ 325-köpfiges Team: Im Rekordtempo endlich ein funktionierendes digitales Geschäftsmodell hinzaubern.

„Das ist echt anspruchsvoll, und ja, wir sind spät dran“, räumt der 49-Jährige ein, „aber wir haben uns mit dem ,Stern’ realistische Ziele gesetzt.“ Dass „Stern“, „Geo“ und „Capital“ – seit August organisatorisch bei „RTL News“ angesiedelt – „noch einmal eine echte Chance bekommen, um im Markt anzugreifen“, das findet Schmitz „großartig“. Lobt dann sogleich Freiheit und Gestaltungsmöglichkeiten, die die Mutter ihm gebe. „Wir sind auf einem guten Weg, und ich glaube wirklich, dass wir das, gerade mit RTL an der Seite, schaffen können.“

„Stern TV“, derzeit meistgesehene RTL-Programmmarke in TV & Streaming, ist dabei sicher ein Asset, jedenfalls soweit es um Themen geht, die Relevanz für ein breites Fernsehpublikum besitzen. Nach guten Quoten für die ersten beiden Folgen wird zudem das crossmediale, im Herbst 2023 lancierte RTL-Format „Stern Investigativ“ fortgesetzt. Die dritte Folge steht kurz vor der Ausstrahlung. „Es gibt einige, die den Zusammenschluss von RTL und G+J kritisieren“, sagt Schmitz, „aber für uns macht  es total Sinn, die Synergien zu nutzen.“ Und doch treten beide im Paid-Content-Bereich mit „RTL+“ und „Stern+“ als Konkurrenten an.

Vorsorglich hat die RTL Group das Angebot ihres Streaming-Dienstes – per Ende des ersten Halbjahres 2024 nach eigenen Angaben mit rund 5,6 Millionen Abonnenten – Mitte August deutlich ausdifferenziert. Die Einstiegsbarriere für Neukunden wird mit dem neuen „Basic“-Tarif auf 5,99 Euro pro Monat gesenkt. Dafür bietet der einzig werbefreie „Max“-Tarif als Top-Paket für 12,99 Euro monatlich auch Zugriff auf Hörbücher und das Musik-Streaming von Deezer. Und was macht „Stern+“? In Kürze soll das überarbeitete Bezahlangebot für die digitalen Ableger des Magazins starten.

Ein Branchendienst hatte zuvor von ungeplanten Verzögerungen berichtet. Die RTL-Pressestelle nahm dazu öffentlich keine Stellung. Fragliche Unterlage, aus der in dem Artikel zitiert wird und die einen Relaunch von „Stern+“ bereits im Spätsommer des vergangenen Jahres vorsah, gebe es nicht. Jedenfalls nicht so verbindlich. Es heißt, Schmitz und sein Team hätten dem neuen Primus von RTL Deutschland, Thomas Rabe, mit dem Dokument vor allem ihre Vision für den „Stern“ präsentieren und ihn für Investitionen in die Marke gewinnen wollen.

Schmitz, auf den Relaunch-Termin angesprochen, sagt: „Uns war schnell klar, dass wir erst 2024 soweit sein würden, zumal es um mehr geht, als nur darum, die Seite aufzuhübschen.“ Im Herbst solle es jedenfalls mit dem runderneuerten „Stern+“-Angebot losgehen. Damit will der Verlag im Paid-Content-Geschäft den Abstand zu den Mitbewerbern verkürzen. Als Zielgröße gelten 100.000 digitale Bezahl-Abos für die Marken „Stern“, „Geo“ und Capital“ bis Ende 2026. Der „Spiegel“ zählt schon heute mehr als dreimal so viele.

Nur mit dem nachhaltigen Erfolg im Digitalen kann G+J die Auflagenerosion im Printmarkt kompensieren. Bei der „harten“ Auflage – also die Einzelverkäufe zum regulären Preis und Abonnements – kam der „Stern“ im zweiten Quartal dieses Jahres auf gerade noch 182.000 Exemplare, minus zehn Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Etwa 130.000 Stück davon liefen im Abo, nicht einmal jeder fünfte Abonnent bezog auch das ePaper. Auf den flüchtigen Blick enttäuscht die Bilanz unter Schmitz. Sein bisheriges Wirken bleibt für Außenstehende ereignis- und ergebnisarm. Reüssiert er aber im Paid, hat er alles richtig gemacht.

Schmitz’ Mission ist nicht allzu weit weg von „impossible“: In gut zwei Jahren soll er für G+J schaffen, was Verlagseigner und deren Strategen in den zehn Jahren davor verschlafen haben. „Das ist sicher der forderndste Job, den ich je gemacht habe“, bekennt Schmitz, der mit einer wahrnehmbaren Unbekümmertheit ans Werk geht. Sein Selbstverständnis spiegelt sich in den Initialen seines Namens, mit denen er gern spielt: „GPS“ – für die „Stern“-Familie. Und muss dann doch lachen: „Ich selbst bin ein Mensch mit extrem schlechtem Orientierungssinn.“

Es ist nicht verbürgt, dass Gruner + Jahr der Strategiewechsel gelingt. In manchem Nebensatz  lässt Schmitz den Druck spüren, der auf ihm lastet: „Wir haben diese Chance bekommen. Nun werden wir liefern.“ Das klingt fast trotzig, jedenfalls wie eine Kampfansage. Immerhin, unter der Regie von Schmitz hat die Marke „Stern“ an Profil und Lebendigkeit gewonnen, wird wieder als politisch klarer wahrgenommen, setzt Themen und stößt Debatten an.

Die kommenden beiden Jahre entscheiden über ihr Los. In 2026 wird sich RTL fragen, ob es das Investment wert war – „das ist auch vollkommen in Ordnung. Schließlich relaunchen wir ,Stern+’ ja, um uns gut für die Zukunft aufzustellen“. Das klingt hoffnungsvoll. Doch niemand in der Koreastraße macht sich da etwas vor, Schmitz schon gar nicht: Gelingt das nicht, wird sich RTL aus dem Engagement zurückziehen wie ein scheues Reh.

Schmitz nimmt die Herausforderung offenbar sportlich, ganz nach dem Motto: Wir trainieren hart, liegen sehr gut im Rennen und werden sehen, mit welcher Zeit wir am Ende durchs Ziel laufen. Selbstbewusst anzutreten und sich auf Neues einzulassen, eben einfach mal machen, diese Mentalität zeichnet den zweifachen Familienvater aus. Er mag sie sich während seiner USA-Zeit angeeignet haben, wo er 2005 an der Harvard University sein Studium abschloss und später in Washington sechs Jahre für „Spiegel und „Spiegel Online“ arbeitete.

Eben diese Einstellung hat ihn auch bewogen, einen Job anzunehmen, dem aus Sicht vieler Kollegen nicht nur der Glamour-Faktor fehlte, sondern den sie nach Schmitz’ bis dahin recht ansehnlich dekorierter Vita als ziemlichen Rückschritt in seinem Curriculum werteten. Die Rede ist von der „Augsburger Allgemeinen“, für die sich Schmitz ab Anfang 2018 vier Jahre lang als Chefredakteur ins Geschirr lag. Er hob den Regionaltitel publizistisch aus der Provinz auf die nationale Bühne, empfahl sich so letztlich als Top-Kandidat für die „stern“-Vakanz.

„Man hat mich damals seitens der ,Augsburger’ angesprochen, ob ich mir den Job vorstellen könne. Nach den ersten Gesprächen habe ich das Potenzial des Titels gesehen – nach Auflage die drittgrößte deutsche Tageszeitung –, aber vor allem das unbedingte Commitment der Verleger gespürt.“ Anders als bei vielen, einst namhaften, am Ende ausgehöhlten US-Regionalzeitungen, waren da plötzlich Eigentümer, die für ihr Blatt große Zukunftspläne hegten. Das reizte Schmitz, so zog er von Berlin nach Augsburg. „Vielleicht war ich naiv, und ja, es hätte auch schief gehen können.“ Es ging bestens.

Der Journalismus war Schmitz nicht zwingend in die Wiege gelegt, denn er stammt aus einer Arztfamilie. Das griff er auch im „Stern“-Editorial Anfang August mit einer Titelgeschichte zum Ärztemangel in Deutschland auf („bin mit Halbgöttern in Weiß groß geworden“). Wie seine Schwester schlug er beruflich aber einen anderen Weg ein. „Das nahmen unsere Eltern erstaunlich locker auf“, führt er im Editorial weiter aus. Überhaupt sind die Grußworte an die „Stern“-Leser mithin der prominenteste Platz, auf dem Schmitz regelmäßig Privates teilt.

So etwa auch über sein Vergnügen und die Herausforderungen als Vater zweieiiger Zwillinge. Sie heißen Fritz und Franz und werden bald zwei Jahre jung. „Obwohl es ganz unterschiedliche kleine Wesen sind, eint sie die Gabe, unser Leben auf den Kopf zu stellen“, erzählt Schmitz. Längst weiß er: Das wird noch doller. „Anfangs hat man uns beruhigt, nach dem ersten Jahr werde es einfacher“, amüsiert er sich, „das waren Durchhalteparolen.“ Denn inzwischen hören seine Freundin und er immer häufiger, jetzt werde es erst richtig schwierig.

Ist sein Job schon echt „challenging“, wartet auf Schmitz zuhause der „double trouble“. Doch nichts kann sein Glück über die beiden Kleinen schmälern. Und so ließ er in einem „Stern“-Editorial seiner Begeisterung darüber freien Lauf, dass er Fritz und Franz nun auch schon ein paar Dinge beibringen könne – etwa, die Arme hochzurecken, wenn Deutschland während der Europameisterschaft in diesem Jahr ein Tor erzielte. Schmitz’ große Leidenschaft jedoch gilt nicht dem Fußball; tatsächlich ist er ein passionierter Mini-Golfer. Wie wohltuend anders!

Andere seines Fachs und Ranges brüsten sich eher damit, beim „großen“ Golf regelmäßig ihre neun oder 18 Löcher zu schlagen. Sich selbst nicht allzu wichtig zu nehmen, das darf als eine Stärke von Schmitz gelten. eispielsweise, dass der studierte Jurist (erstes Staatsexamen) im Jahr 2007 promoviert hat, mit einer Arbeit zur Gesetzgebung gegen Holocaustleugnung. Den Titel trägt er gleichwohl nicht zur Schau. „Irgendwie hat mich da auch meine Zeit in den USA geprägt. Viele Menschen dort denken gleich, Du seist Arzt und erbitten medizinischen Rat.“

Da verschweigt er dieses Schmuckstück seiner Vita lieber, „außerdem sehe ich mich in erster Linie als Journalist und nicht als Figur oder Promi“. Zu einem solchen formt ihn die Branche schon ob seiner aktuellen Position durchaus: Schmitz ist oft geladener TV-Gast, eine Zeitlang besonders präsent in der Talkshow von Markus Lanz („wir schätzen uns gegenseitig sehr“). Er steht für eine Haltung, die dem Liberalismus der USA ebenso zuneigt wie manchen Facetten des europäischen Konservativismus’. Inspirierend, schlägt doch das Herz der meisten Kollegen überlaut links und damit bisweilen die Meinungsvielfalt.

Vor allem das zu Unrecht oft negativ konnotierte konservative Ich zeigt Schmitz, wenn er zum Beispiel analysiert, was Deutschland aktuell fehlt. Zuversicht – klar, geschenkt. „Aber auch Realitätssinn. Wir sind schon sehr auf uns fixiert und bekommen manchmal nicht so richtig mit, was um uns herum in der Welt passiert.“ Mehr mag Schmitz offiziell nicht dazu sagen. Unter zwei ist schon mal der Vorwurf des gemeinsamen Versagens von Politik und Wirtschaft herauszuhören. Und die Botschaft, dass nur neuer Erfindungsgeist und kollektive Leistungsbereitschaft diesem Land eine Zukunft weisen könnten.

Irgendwie gilt das auch für den „Stern“, einst ein Pulsar am deutschen Medienfirmament.

Text: Bijan Peymani

Fotos: Frank Siemers