Wenn sich einer bei Rockmusik auskennt, dann ist es Alex Gernandt. Der im TV immer öfter gefragte Experte bringt nun im kommenden November ein dickes Interview-Buch heraus, welches seine Leidenschaft repräsentiert. Der Anlass für die Veröffentlichung ist schnell erzählt: acht Dekaden Rock’n’Roll. Verleger seines sechsten Buchs „Wir wollten einfach Krach machen – Die grössten Legenden des Rock & Metal im Interview“ ist übrigens sein Ex-Kollege Jürgen Stollberg (TriMax Media Verlag). Damit arbeitet Gernandt nach längerer Auszeit wieder mit seinem früheren „Bravo“-Kollegen zusammen. Wir befragten Gernandt zu seiner persönlichen Motivation für das Buch:
Schaut man in das Inhaltsverzeichnis Ihres neuen Buchs, dann sieht man gleich die ganz großen Namen des Rock-Business: Jimmy Page, Steven Tyler oder Jon Bon Jovi. Sind das alles auch ihre „Special Friends“ mit denen sie in den vergangenen Jahre auch beruflich zu tun hatten?
Gernandt: Ich käme natürlich niemals auf die Idee, berühmte Rockstars als Freunde zu bezeichnen. Aber mit dem einen oder anderen hatte ich über die Jahre diverse Interviews gemacht, sodass dadurch eine Art Vertrauensverhältnis entstand, Angus Young von AC/DC, Lars Ulrich (Metallica), Steven Tyler, Slash oder Jon Bon Jovi zählen dazu – und Doro Pesch, die ich seit über 40 Jahren kenne. Damals habe ich als junger Metal-Fanzine-Herausgeber (“Shock Power“) tatsächlich den allerersten Printartikel über Newcomerin Dorothee (!) Pesch und ihre Band Warlock geschrieben. Sowas verbindet und ist auch der Grund, warum sie netterweise das Vorwort zu meinem Buch verfasst hat.
Gernandt mit Rock-Legende Jimmy Page.
Wer ist denn eigentlich ihr Lieblings-Rockstar? Oder wollen Sie sich da als Musikjournalist gar nicht so festlegen?
Gernandt: Es gibt soviele, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Aber richtig ans Herz gewachsen ist mir Angus Young, der Gitarren-Derwisch von AC/DC. Mein Jugendzimmer war mit Postern von AC/DC zugekleistert, niemals hätte ich mir träumen lassen, Angus eines Tages mal persönlich zu begegnen und ihn gar über Jahre hinweg immer wieder zu interviewen. Er ist eine Rock-Ikone, ein Weltstar, aber so erfrischend unprätentiös und bescheiden und besticht durch staubtrockenen Humor. Auf meine Frage, ob AC/DC in den Siebzigern denn auch so eine wüste Rock’n’Roll-Truppe waren, die Hotelzimmer demolierte und Fernseher aus Fenstern warf, antwortete er ungerührt: “Warum aus dem Fenster werfen? Wir haben sie mit nach Hause genommen…“
Nach ihrer langen Karriere bei „Bravo“ gelten sie nun mittlerweile als der Musikexperte für Rock und Pop schlechthin und werden von TV- und Radiostationen befragt, wann auch immer etwas Spruchreifes im Musikbusiness passiert. Mit den Interviews im Buch, die in der Vergangenheit schon bei Spiegel Online erschienen sind, wollen sie authentische Einblicke in das Leben der Künstler bieten und nicht nur oberflächliche Anekdoten. Warum haben Sie eigentlich so einen persönlichen Zugang zu den Stars?
Gernandt: Ich sehe meinen Job nicht als Beruf, sondern als – Achtung, Klischee – Berufung. Mich hat eigentlich nie etwas anderes interessiert. Ich war von kleinauf glühender Rockfan, seit ich bei meiner Mutter erstmals Elvis hörte – und träumte immer davon, dass mein Name mal unter einem Artikel zu lesen sein würde. Kein Witz! Die BRAVO war Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger das Tor zur großen, weiten Welt. Rockstar wollte ich jedenfalls nie sein, beim Gitarrespielen würde ich mir wahrscheinlich die Finger brechen. Meine Bewunderung für Gitarristen ist daher umso größer. Mein “Fan-Herz“ habe ich mir bis heute bewahrt, stelle natürlich aber auch kritische Fragen. Ich sehe mich als Mittler zwischen Artist und Fan. Ich empfinde es bis heute als ein Privileg, exklusive Face-to-Face-Interviews mit Rockgrößen führen zu dürfen. Dieses Buch ist nun eine Art “Best-Of“ und ein absolutes Herzensprojekt.
Inwiefern repräsentieren diese Künstler die Entwicklung des Rock und Metal über acht Jahrzehnte?
Gernandt:Ich hege keinen Anspruch auf Vollständigkeit, wohl aber auf gute Unterhaltung und im besten Fall überraschende Aha-Effekte. Ich habe versucht, Interviews mit all den wichtigsten Künstlerinnen und Künstlern auszuwählen, die den Rock über all die Jahre mitgeprägt haben. Das ist “ein weites Feld“ – von den Anfangstagen des Rock’n’Roll (Priscilla Presley spricht über Elvis) über Rock und Classic Rock bis hin zu Hardrock und Heavy Metal. Neben Rocklegenden kommen auch wichtige Zeitzeugen zu Wort, etwa Top-Produzent Eddie Kramer, der von Jimi Hendrix erzählt, Starfotograf Jerry Schatzberg, der von seiner Zeit mit Bob Dylan berichtet, dazu natürlich auch jede Menge Frauenpower von “Queens“ aus drei Generationen: Tina Turner, Suzi Quatro und Doro Pesch! Der Ost-Rock ist durch Puhdys-Legende Dieter “Maschine“ Birr vertreten und Drummer/Sänger Dave Grohl (Nirvana, Foo Fighters) ist der jüngste Interview-Partner im “Krachmach“-Buch.
Gab es eigentlich Künstler, die sich weigerten, im Interview bestimmte Themen zu besprechen?
Gernandt: Gene Simmons von KISS etwa sprach über seinen ersten Kuss und Sex mit einem KISS-Kondom, Tabus oder No-Gos gab es bei niemandem. Die Interviews entstammen meinem umfangreichen Archiv aus der Zeit zwischen 1989 und 2024 und wurden aus über 1.000 Gesprächen ausgewählt, die Auswahl fiel mir alles andere leicht. Mir ist bei Gesprächen wichtig, spannende Storys zu hören, die eben nicht auf Wikipedia oder woanders zu finden sind. Das ist durchaus eine Herausforderung. Ältere Aufnahmen mit Paul McCartney oder Tina Turner habe ich damals per Taperecorder aufgezeichnet, heute natürlich per iPhone. Meine Sammel-Leidenschaft hat mich davor bewahrt, mich von alten Tapes zu trennen. Für einen zweiten Band wäre also noch ausreichend spannendes Material vorhanden, etwa Brian May, Robert Plant, Cher, Paul Stanley, Eric Burdon, Joan Jett, Carlos Santana, James Hetfield… the list goes on.
Zusätzlich zum Buch erscheinen Audio-Tapes mit Soundfiles von 20 Interviews. Warum haben Sie diese nicht als Podcast veröffentlicht? Und inwiefern unterscheiden sich die Audio-Tapes inhaltlich vom Buch?
Gernandt: Die Audio-Tapes beinhalten Sequenzen aus den Gesprächen und unterstreichen die Authentizität der Interviews. Es ist doch interessant, die Akteure auch mal im O-Ton zu hören. Zum Thema Podcast: da bin ich desöfteren und gerne zu Gast, sehe mich selbst aber nicht in der Rolle eines Podcasters. Es gibt ja auch schon so viele gute.
Auch die Rock-Heroen von ZZ Top hat Gernandt mehrfach getroffen.
Wer ist denn eigentlich die primäre Zielgruppe für ihr Werk? Eine ähnliche wie bei dem kürzlich erschienenen Gottschalk-Buch „ungefiltert“? Gottschalk feiert ja auch immer alle möglichen Rock-Jubiläen.
Gernandt: Ich kann und möchte die Zielgruppe für dieses Buch gar nicht definieren. Alle sind welcome to the show! Es ist mit Sicherheit interessant für all jene, die ein Faible für guten Rock haben, das können durchaus auch jüngere Menschen sein. Alle, die einen Blick hinter die Kulissen werfen möchten und die die Geschichte(n) der Protagonisten interessieren. Das Buch ist keineswegs nur ein Ritt durch die Vergangenheit, zumal die meisten Akteure ja nach wie vor aktiv sind und auf der Bühne stehen. Thomas Gottschalk ist als Rockexperte bekannt und zählt, denke ich, durchaus auch zur Zielgruppe. Rock und der ganze Zirkus drumherum fasziniert nach wie vor die Massen, ob in den Charts oder Konzert-Arenen. Rockmusik verbindet die Menschen. Und “Totgesagte“ leben bekanntlich länger. In meiner Jugend wurde der damals aufkeimenden Heavy-Metal-Szene auch eine geringe Halbwertszeit prognostiziert. Doch weit gefehlt…
Welches war für Sie eigentlich die schönste Interview-Begegnung?
Gernandt: Jedes einzelne Interview war etwas Besonderes. Ganz speziell und emotional war für mich als ewigem Beatles-Fan natürlich die Begegnung mit Sir Paul McCartney am 18. Mai 1989. So ein Datum merkt man sich. Ich durfte ihn vor seinem Auftritt in Alfred Bioleks TV-Show “Mensch Meier“ im Studio in Köln-Bocklemünd interviewen. Als kleine Überraschung hatte ich eine alte BRAVO von 1966 dabei, mit der Story zur legendären “BRAVO Beatles Blitz Tournee“. Die Headline war damals “Die Beatles sind da!“ – worauf Sir Paul grinste und fast akzentfrei antwortete: “… und die Beatles sind wieder daaa!!“ Im Gespräch verriet er, wie bodenständig er seine Kinder erzieht, erzählte vom ländlichen Leben auf seiner Farm und mahnte schon damals, dass wir alle gemeinsam die Erde retten müssen…
Interview: dh
Fotos: Trimax, privat