Liebe deutsche Medien, es ist erst Freitag… Ganz so atemlos kann es die nächsten vier Jahre nicht weitergehen im deutschen Mediengeschäft. Und die Frage muss erlaubt sein: Stimmt unser US-Kompass eigentlich noch? Donald Trump ist seit fünf Tagen US-Präsident und schon gab es den ersten Skandal um eine Person aus seinem engsten Umfeld. Zeigte der Tech-Milliardär Elon Musk auf offener Bühne wirklich einen „Hitlergruß“?
In den deutschen Medien wurden dazu Politik- und sogar Körpersprachen-Experten herangezogen. Es wurden Berichte verfasst, in denen steht, dass Rechtsextreme in den USA Musk bereits für seine Geste feiern. In der „Zeit“ erschien ein Kommentar mit der Überschrift: „Ein Hitlergruß ist ein Hitlergruß ist ein Hitlergruß.“ In dem Text wird vermittelt, dass es hier nur eine Deutungswahrheit gebe und dass man gar nicht erst auf die Idee kommen solle, das alles „umzuinterpretieren“. Georg Restle, Moderator des Politmagazins Monitor, stellte die Frage: „Hitlergrüße jetzt normal?“
Ob der Tech-Milliardär wirklich einen faschistischen Gruß machte oder nur eine unförmig aussehende Bewegung ist letztlich für den Kern meines Arguments zweitrangig. Mein Argument lautet: die kommenden vier Jahre werden ein Marathon und kein Sprint. Das sollte auch den deutschen Medien klar sein, die allerdings schon in den ersten Minuten der Trump-Präsidentschaft vollkommen außer Atem und überfordert wirken.
Die erste Woche mit Trump hat mich an ein „Meme“ erinnert, das meistens mittwochs in WhatsApp- oder LinkedIn-Gruppen geteilt wird. Auf dem Bild sind Tim (von Tim und Struppi) und Kapitän Haddock zu sehen. Haddock sagt: „Was für ne‘ Woche, oder?“ und Tim antwortet: „Kapitän, es ist Mittwoch.“ Mit anderen Worten: Die Trump-Präsidentschaft wird vier Jahre andauern und, liebe Medien, heute ist erst Freitag…
Diese Atemlosigkeit wird also nicht durchzuhalten sein. Das bringt mich zu einer Frage, die mich schon seit längerer Zeit beschäftigt: Haben wir in Deutschland eigentlich noch ein „akkurates“ Bild der USA? Bzw. welches Bild der USA wird bei uns vermittelt?
Mit der erneuten Wahl Donald Trumps dürfte jedenfalls endgültig klar sein, dass die Mehrheit der Amerikaner einen Weg einschlagen will, der andere Prioritäten vorsieht als transatlantische Beziehungen, NATO oder Klimaschutz. Während man 2016 noch argumentiert hat, dass dies nur ein „Ausrutscher“ in der Geschichte des Landes war, so muss man sich acht Jahre später eingestehen, dass Trump womöglich das „new normal“ ist. Trump ist kein Zufall.
Um es klar zu sagen: Ich schreibe diesen Text nicht, um kluge Ratschläge zu erteilen. Also, der Deutsche, der ein paar Jahre beim Fernsehen in Berlin gearbeitet hat und jetzt, nach ein paar Monaten in den USA weiß, wie der Wind weht. Ich schreibe diesen Text eher, weil ich Sie gerne teilhaben lassen möchte an meinem eigenen Denkprozess mit Blick auf die Zukunft der deutschen USA-Berichterstattung. Ich beobachte nämlich, dass immer mehr Menschen in Deutschland genervt sind über die doch teils einseitige Art und Weise, wie über die USA berichtet wird. Zu oft entsteht der Eindruck, dass deutsche Politikerinnen und Politiker, aber auch die Medien, sich in einer moralisch überlegenen Position gegenüber den USA sehen und das gerne auch so artikulieren und mitteilen. Aber können wir uns das überhaupt noch erlauben?
Diese deutsche Haltung der moralischen Überlegenheit haben übrigens auch ausländische Kommentatoren mitbekommen. So schrieb die ehemalige CNBC-Moderatorin und jetzt „Al Arabiya“-Anchor Hadley Gamble vor einigen Tagen einen Artikel mit der Überschrift: „Die wiederholten Fehltritte Europas haben dazu geführt, dass Europa für Trumps Präsidentschaft irrelevant ist.“ Man muss mit dieser Analyse nicht übereinstimmen, jedoch hat mich das Wort „irrelevant“ doch aufschrecken lassen. Denn letztlich ist das die größte Gefahr (für deutsche Politik und Medien): irrelevant zu werden.
Die nächsten vier Jahre werden spannend – darauf können sich alle einigen. Und die nächsten vier Jahre sind auch eine große Chance für die deutsche US-Berichterstattung. Die Devise muss lauten: Sagen, was ist. Und nicht nur interpretieren, was sein könnte. Mit anderen Worten: Es ist gut, in aller Härte und Deutlichkeit zu berichten, welche Auswirkungen Trumps Politik auf Deutschland hat. Es ist allerdings auch gut, zu berichten, welche positiven Auswirkungen Trump (womöglich) haben wird. Und vor allem ist es gut, kritisch über die Fehler zu berichten, die Deutschland in den vergangenen Jahren gemacht hat.
Es ist doch so: Dass Amerika der wichtigste Verbündete für Deutschland bleibt, dafür tragen nicht nur die Amerikaner eine Verantwortung, sondern insbesondere wir. Eine glaubwürdige Berichterstattung über das Land, das viele immer noch so faszinierend finden, gehört zwangsläufig dazu.
*Philipp Sandmann ist neuer Kolumnist bei Clap und war vier Jahre politischer Korrespondent bei RTL/ntv in Berlin und hat dort unter anderem die Sendung „Frühstart“ mitgegründet und moderiert. Seit August 2023 lebt er in den USA und absolviert dort ein Master-Studium an der Georgetown Universität in dem Fach „Foreign Service“. Jeden Sonntag erscheint sein politischer Newsletter „Gedanken aus Washington D.C.“
Foto: Philipp Sandmann