Unseld: „Wegen Corona schwenkt kein Capital Bra-Fan zu Bon Jovi um“

Die Musikwelt leidet. Keine Live-Konzerte in Sicht, die Festivals wurden abgesagt. Release-Termine von neuen Musik-Alben wurden erstmal verschoben wegen der Corona-Krise. Ein klassischer Musiksender wie Deluxe Music kann jedoch punkten mit steigenden Reichweiten. Der Sender konnte im April rund 15 Prozent gegenüber dem Vormonat zulegen in der Zielgruppe 14 bis 49. Wir sprachen mit Ulrike Unseld, die das Musikportfolio bei Highview leitet.

Ihre Reichweiten steigen, doch nicht alles dürfte eitel Sonnenschein sein. Mit welchen Nachteilen müssen sie während der Corona-Krise klarkommen?

Unseld: In der Tat, die Musikwelt leidet sehr unter der Krise – es gibt vielfältige Herausforderungen. Beispielsweise sind wir produktionstechnisch sehr limitiert, konnten bei unseren Eigenproduktionen nur beschränkt Gäste empfangen und mussten auch bereits geplante DLXM Sessions in Absprache mit den Künstlern canceln oder verschieben. Auch geplante Kooperationen mit Festivalpartnern fallen natürlich aufgrund der aktuellen Gegebenheiten aus. Last but not least haben die Kontaktbeschränkungen natürlich unmittelbare Auswirkungen auf die Produktion von Musikvideos, Stichwort „Quarantäne-Clips“.

Über welche Innovationen denken Sie deswegen nach?

Unseld: Die vielfältigen Konzerte im Netz sind nur ein Beispiel, weitere neue Ideen werden folgen. Das zunehmende Interesse der Menschen an Ablenkung und positiver Unterhaltung zeigt sich auch auf unseren digitalen Plattformen, Radiosendern, aber mit dem stärksten Wachstum im TV auf Deluxe Music. Und trotz dieses Wachstums kämpfen natürlich auch wir aktuell mit den durch die Krise bedingten sinkenden Werbeeinnahmen.

Streaming-Dienste und Nachrichtensender sind die Krisengewinner. Das ist natürlich klar, es wurde vielfach darüber berichtet. Aber warum kann auch ein klassischer Musiksender wie Deluxe Music punkten?

Unseld: Die Kontakteinschränkungen respektive Ausgangsbeschränkungen, die Unsicherheit und Angst und deutlich mehr Zeit zu Hause lösen ganz primär zwei Grundbedürfnisse aus: Zum einen den Wunsch nach glaub- und vertrauenswürdiger Information, sprich: sinniger Komplexitätsreduktion, und als zweites den Wunsch nach Entspannung und Ablenkung.

Und Fernsehen ist der „Problemlöser“?

Unseld: Dem Fernsehen kommt in diesen Krisenzeiten eine so hohe Bedeutung zu, weil es grundsätzlich viele dieser Wünsche befriedigt. Im Fernsehen kann man vor allem auch in heile, aufregende, abenteuerliche, ganz unterschiedliche Welten eintauchen. Das zweite Element, die Musik, wird ständig gehört und ist unser Alltagsbegleiter. Interessanterweise aber ein besonderer, ein „Alltags ästhetisierender“ Begleiter – ich fühle mich mit meiner Musik wohl, weil sie mir etwas gibt, dass anders nicht vorhanden ist. Musik ist nichts Rationales, sondern tief Emotionales, mit dem ich mich identifiziere. Musikfernsehen führt beide Aspekte zusammen und bedient dieses Nutzungsmotiv der Entspannung und Ablenkung ideal audiovisuell und dank seiner Mikrostruktur (gemeint sind die Musikclips, die Redaktion) flexibel und zuverlässig 24/7.

Wurde bei ihren Sendungen wegen der Rahmenbedingungen etwas geändert? Zumindest hat ihr bekanntes Sendergesicht Jennifer Rostock ihren Moderationsstil auch ein wenig angepasst.

Unseld: Ja, wir konnten zeitweise keine oder nur sehr beschränkt Gäste in unsere Shows einladen. Natürlich thematisieren wir die Coronakrise in den Sendungen. Gerade Jennifer als Musikerin erlebt ja sehr direkt im Freundes- und Bekanntenkreis die vielen Probleme, die sich aus den aktuellen Erfordernissen ergeben und kann die Situation und Herausforderungen gut einschätzen. Das spiegelt sich dann in ihren Moderationen wider.

Welche Art von Musik und welche Bands passen denn in die Krisenzeit? Hiphop, Rock, Pop oder House? Sind eher Cips aus den 80er oder 90er Jahren gefragt? Welche Erfahrungen haben Sie gewonnen?

Unseld: Direkte Auswirkungen auf den Musikgeschmack lassen sich aus unserer Sicht noch nicht erkennen. Es gibt natürlich die vielen Quarantäne-Clips bzw. Songs, aber wegen Corona ist noch kein Capital Bra-Fan zu Bon Jovi umgeschwenkt. Deluxe Music bietet für jeden Musikliebhaber etwas, wir stehen für den perfekten Mix aus vier Jahrzehnten Musikgeschichte mit großen Stars und Legenden, vielversprechenden Neuheiten, vertrauten Klassikern und ausgefallenen Raritäten.

Auch die Nutzung von Amazons Alexa steigt weil viele Menschen zuhause sind. Deluxe Music bietet seit letztem Jahr die Radio-Channels auch über den Dienst des amerikanischen Konzerns an. Hat sich der Schritt für Sie gelohnt?

Unseld: Die Entscheidung für einen eigenen Alexa Skill hat sich auf jeden Fall gelohnt. Insgesamt freuen wir uns schon die letzten Jahre, ähnlich wie im TV, über eine sehr positive Entwicklung hinsichtlich der Nutzung unserer Radiochannels auf allen Plattformen. Seit Beginn der Corona-Beschränkungen verzeichnen wir zudem zweistellige Zuwachsraten bei der Nutzung unseres Deluxe Music-Alexa Skills. Die erhöhte Nutzung spiegelt sich letztlich in den Hörerzahlen unserer Webradio Channels wider. Diese Zuwächse beziehen sich sowohl auf die Anzahl der Zuhörer als auch auf die durchschnittlichen Hördauer. Im Übrigen steigt auch die Zahl der aktiven Mobil-Geräte, auf denen unsere Deluxe Music-App installiert ist, seit dem LockDown signifikant an.

High View überraschte während der Krisenzeit mit dem Ausbau des Musik- und Sales-Teams. War das schon länger geplant? Wie große ist das Team derzeit und gibt es bei Ihnen demnächst noch weitere Personalien?

Unseld: Ja, diesen Schritt hatten wir länger geplant. Über die letzten Jahre konnten wir kontinuierlich bei Zuschauern und Fans über alle Plattformen hinweg und auch dank exzellenter Zusammenarbeit mit Sky Media deutlich im Werbemarkt wachsen. Wir sind sehr optimistisch, dass wir gut durch diese Krise kommen. Mit Gordon Harms und Daniela Hecker haben wir zwei erfahrene, gut vernetze Experten und Persönlichkeiten gefunden, die perfekt zu unserem Team passen. Als kleines inhabergeführtes Unternehmen agieren wir grundsätzlich und auch jetzt etwas „unkonventioneller“ als Konzerne es tun müssen.

Interview: Daniel Häuser

Foto: Highview