Susanne Aigner stillt die Sehnsucht (nicht nur) der Medienzunft nach weiblichen Vorbildern: Sie tickt modern, denkt global und führt sozial. Als Deutschland-Statthalterin des US-Riesen Discovery hat Aigner ein Bouquet aus Free-, Pay- und Streaming-Angeboten gebunden. Ihre Karriere hat viele Sehenswürdigkeiten. Der Merger mit Warner Media wird neue erschaffen.
Manchmal erkennen Menschen ihre wahre Bestimmung erst mit der Zeit, selbst wenn es sich zunächst so anfühlt, als verabschiedeten sie gerade ihren größten Traum. Und manchmal muss ihnen erst das Glück die Weichen stellen. Susanne Aigners Traum war es, Sportjournalistin zu werden. Als Mittzwanzigerin, gleich nach dem Studium, sah sie die Chance, bei einem Sender den Aufbau einer Sportredaktion mitzugestalten. Doch Aigners Bewerbung für ein Volontariat wurde abgelehnt. Schon immer klar in dem, was sie wollte, war ihre Enttäuschung immens.
Mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf muss die junge Frau daraufhin durch München gelaufen sein, vorbei auch am Deutschen Sportfernsehen (heute Sport1). Der Zufall wollte es, dass Aigner dort einen Bekannten traf, der gerade seinen Job gekündigt hatte und ihr riet, sich auf die Stelle zu bewerben. So jedenfalls geht die Legende, und so glückte Aigners Einstieg in die Medien doch – als Werbezeitenverkäuferin, was despektierlicher klingt als es gemeint ist. „Mein Leben hat sich auch ohne Sportjournalismus herausragend entwickelt“, sagt sie selbst.
„Ich glaube an Zufälle, auch an lebensverändernde“, bekennt Aigner und bezeichnet die Sache mit dem DSF als „Riesenglücksfall“. Für sie persönlich wohnte diesem Anfang tatsächlich ein Zauber inne. Ein Vierteljahrhundert später führt die heute 52-Jährige mit Erfolg die Geschäfte von Discovery Communications im deutschsprachigen Raum plus Benelux und somit gut 250 Menschen. Sie sitzen an den drei Münchner Standorten – Office in der Sternstraße, Eurosport-Produktionsstätte in Unterföhring und Tele-5-Büro in Grünwald – sowie in Amsterdam.
Ihr Team habe „durchaus eine ordentliche Größe“, sagt Aigner. Sie kokettiert nicht, sie meint es vielmehr respektvoll. Ihr ist wichtig, dennoch den familiären Charakter zu bewahren – und zu betonen. Im Moment allerdings arbeiten die allermeisten ihres Teams, die Sportproduktion ausgenommen, wieder von Zuhause aus. Es bleibt Pandemie. „Wir haben eine Verantwortung für unsere Mitarbeitenden“, sagt die zierliche Person und „zoomt“ für das „Clap“-Gespräch selbst aus dem eigene Homeoffice heraus, „da halten wir jetzt noch ein bisschen durch.“
Noch ein bisschen durchhalten – das Mantra der Politik. Doch bei Aigner klingt das nicht wie eine Motivationsspritze. Bereits vor Corona hatte sie mit ihren Leuten flexible Arbeitsmodelle vereinbart: „Schon damals konnte, wer wollte, Homework ableisten, das wurde gern an- und wahrgenommen.“ Auch, weil Organisation und Kommunikation früh daran angepasst wurden, sei Discovery „ganz gut durch die letzten eineinhalb Jahre gekommen“, ist Aigner überzeugt. Langsam reicht’s: Es ermüdet sie, nur zuhause zu sitzen, Video-Calls findet sie suboptimal.
„Ich muss ganz ehrlich sagen, mit wäre es tausendmal lieber, wenn ich wieder regelmäßig ins Büro gehen könnte.“ Sie freue sich „auf den Tag, an dem wir das wirklich umsetzen können“. Für die Mutter einer Tochter ist der persönliche Kontakt unverzichtbar: „Arbeit hat eben auch einen enormen sozialen Aspekt, jedenfalls für mich.“ Aigner nennt beispielhaft „diese kleinen Gespräche am Kaffeeautomat“, aber auch den informellen Austausch über aktuelle Projekte in der Pause. Die traditionelle Weihnachtsfeier fällt auch dieses Jahr aus. Das schmerzt.
Die Frau, die auf den ersten Blick etwas spröde wirkt, die keinen Raum ausfüllt, wenn sie ihn betritt, sie braucht die Menschen um sich herum. Aigner ist ein höchst soziales Wesen, gilt als Teamplayerin, die mit unerschütterlichem Optimismus („hab ich von meiner Mutter) selbst in schwierigen Momenten stets Leichtigkeit bewahrt. Wer eng mit ihr arbeitet, lobt ihre schnelle Auffassungsgabe, die Analysefähigkeit und das strukturierte Denken. Und ihr Talent, sich nicht mit Problemen aufzuhalten, sondern Lösungen zu suchen und Ziele zu formulieren.
Sie diskutiere und entscheide Dinge gern gemeinsam mit ihrem Team, sagt Aigner. Am Ende jedoch ist sie es, die dafür den Kopf hinhalten muss, das weiß sie. Und sie jagt nur die Beute, die sie auch zu erlegen im Stande ist: „Ich habe gelernt, dass es Situationen gibt, die ich nicht beeinflussen kann und in denen es deshalb keinen Sinn macht, Energie dafür zu verwenden, sie dennoch ändern zu wollen.“ Diese Klarheit, ihre Zielstrebigkeit haben Aigner jüngst den Titel als „Playerin des Jahres“ eingebracht, eine Auszeichnung von „Horizont Sportbusiness“.
Die Jury honorierte damit Aigners „Qualitäten als Managerin“, die sie insbesondere während der „schwierigen Lockdown-Monate“ bewiesen habe. Sie sei „eine geschickte Netzwerkerin, die sich auch in einer von Männern dominierten Branche zu behaupten weiß“. Aigner sei „für die Sportwelt damit Respektsperson und Vorbild zugleich“. Die Laudatio dickte ein bisschen sehr auf, und vielleicht war sie noch nicht einmal vollends nach dem Geschmack der derart Hofierten. Am liebsten wäre es Aigner, dieses Frauen-Männer-Ding hätte endlich ausgedient.
Bis dahin ist es noch ein langer Weg, und sie selbst stellt das Thema Gleichstellung – auch in Form persönlicher Engagements – in einen größeren Kontext: Es geht ihr neben Equity um Diversity und Inclusion. Diesen Dreiklang setzt sie als Disvovery-Chefin nicht missionarisch, aber doch konsequent um: „Wir haben das nicht nur als Teil unserer Unternehmenswerte mal so aufgeschrieben, sondern leben das täglich aufs Neue.“ Sie etwa gendert im Gespräch, „und man darf durchaus hören, dass mir das wichtig ist“. Aigner belässt es nicht bei Worten.
So unterstützt sie „Mission Female“. Deren erklärtes Ziel ist es, Frauen in Wirtschaft, Medien und Politik zu stärken. Und ihr Unternehmen fördert die Initiative „Beyond Gender Agenda“. Die kämpft für Chancengerechtigkeit von Führungskräften jeder Herkunft, Verfasstheit und Prägung bei der Besetzung von Vorstandsposten und Aufsichtsratsmandaten. „Es ist uns sehr wichtig zu zeigen, dass wir hier eine Verantwortung tragen und auch etwas beitragen – und wenn es nur kleine Schritte hin zur Veränderung sind“, begründet Aigner das Engagement.
Wo es geht, sollen diese Themen auch in den Programmen ihren Niederschlag finden. Ganz deutlich wird das beim Sender TLC, der als ein bunter Mix aus internationalen Produktionen, deutschen Adaptionen und deutschen Sendungen laut Aigner das unverfälschte Leben zeigt. „Aber es muss Sinn machen und zur Markenpositionierung passen, mit Gewalt werden wir Diversity, Equity und Inclusion nicht überstülpen.“ Schade, gerade beim Testosteron-Sender DMAX – er zählt ebenfalls zum Discovery-Portfolio – wäre das ein spannendes Experiment.
Den gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen, ist für alle Unternehmen nicht zuletzt ein entscheidendes Asset im Kampf um gute Mitarbeiter, das bestätigt auch Aigner: „Im Hinblick auf ,Talent Recruitment’ ist es essenziell, innerhalb der Organisation ein Bewusstsein dafür zu schaffen.“ An den Discovery-Standorten in München arbeiten laut Aigner bereits Menschen aus über zehn Nationen. Sie wünscht sich, dass einmal der Punkt erreicht ist, an dem dieses Thema in der Gesellschaft nicht mehr diskutiert werden muss, sondern selbstverständlich ist – „aber da sind wir noch lange nicht!“.
Die Zugehörigkeit zu einem amerikanischen Konzern lässt sich eben nicht leugnen. Und mit der Ankündigung des Telekom-Riesen AT&T, sein Mediengeschäft mit dem von Discovery zusammenzuschließen, dürfte der Einfluss weiter wachsen. Mit der zwischenzeitlich beinahe gescheiterten, nun für Mitte 2022 avisierten Fusion zu Warner Bros.Discovery wird der nach Umsatz zweitgrößte Medienkonzern der Welt hinter Disney entstehen. Das neue Unternehmen soll 2023 rund 52 Milliarden US-Doller erlösen und 14 Milliarden Dollar Gewinn erzielen.
Erwartet wird, dass die Streaming-Dienste Discovery+ und HBO Max gebündelt angeboten oder verschmolzen werden. Ersterer wurde zu Jahresbeginn in den Niederlanden gelauncht. In Deutschland ist Discovery über eine Kooperation mit ProsiebenSat.1 mit Joyn im lukrativen Streaming-Geschäft präsent. „Wie Discovery+ in den deutschen Markt passt, das eruieren wir gerade“, bleibt Aigner vage. Darauf konkret angesprochen, gilt das auch für ihre beruflichen Perspektiven nach vollzogenem Mega-Merger. Aigner empfiehlt sich für höhere Aufgaben.
Sie selbst orientiere sich „ehrlicherweise eher seltener an der Frage, was der nächste Schritt für mich sein könnte“. Ob sie an Bord bleibe, ob sie aufsteige? Schweigen. Stattdessen sagt sie: „Was dann kommt, werden wir sehen. Da werden sich schon noch ganz positive Dinge ergeben.“ Dabei hat Aigner doch längst einen Plan im Kopf – oder wenigstens eine gewisse Vorstellung davon, wie sie in das neue Konzernbild passt. Ihre gesamte Vita verlief gradlinig, nichts schien sie dem Zufall zu überlassen – glückliche Umstände und Wendungen inklusive.
Aufgewachsen ist Aigner mit vier Schwestern im bayerisch-tschechischen Grenzgebiet. Das hört man noch, typisch niederbayerisch rollt sie das „R“ bis heute und verleugnet auch sonst ihre Herkunft nicht. Im Örtchen Mauth im Bayerischen Wald (Landkreis Freyung-Grafenau), wurde ihr bei aller Idylle indes früh klar, dass sie mehr von der Welt sehen wollte. Und so zog es die junge Frau Ende der 1980er direkt nach dem Abitur für ein Jahr in die USA. „Für mich war das rückblickend eine Art Abnabelungsprozess, weg von Zuhause, das erste Mal ganz auf mich allein gestellt.“ Für ihre persönliche Entwicklung „extrem wichtig“ gewesen sei diese Erfahrung, sagt Aigner.
Zurück in Deutschland, schrieb sie sich an der Ludwig-Maximilians-Universität München ein und studierte Kommunikationswissenschaften mit Nebenfach Englische Literatur. Nach ihrem Magister-Abschluss folgten zunächst fünf Jahre DSF, anschließend wechselte Aigner von der Vermarktung auf die Planungs- und Einkaufsseite: Sie wurde Geschäftsführerin von Media Plan, einer Mediaagentur in Karlsruhe. Hier sammelte Aigner erste Führungserfahrung, ging drei Jahre später zurück zum DSF, stieg dort als damals erste Frau ins Management auf.
Mitte 2006 wechselte Aigner zu Discovery, genau zu jener Zeit, als DMAX startete. 2011 wurde sie zur Geschäftsführerin für die Region D-A-CH ernannt, im September 2020 kamen die Benelux-Länder dazu. Eine steile Karriere, die Aigner selbstsicher hat werden lassen, aber nicht allzu eitel. Sie wirkt aufgeräumt. Kritische Nachfragen können sie nicht aus der Reserve locken. Ihre Antworten sind überlegt, ohne einstudiert oder vorgefertigt zu erscheinen. Und immer wieder setzt sie dieses entwaffnende, machmal etwas verschmitzte Lächeln auf.
Beruhigend zu wissen, dass der Allmächtige nicht alle Bäume in den Himmel wachsen lässt, auch bei Aigner nicht: Bis heute scheitert sie am Vorhaben, die Steirische Harmonika spielen zu lernen. Das Instrument steht ausgepackt, aber unbenutzt in der Ecke. Immerhin, mit Tennis habe sie „nach vielen, vielen Jahren“ wieder angefangen. Und Laufen geht sie sehr viel, schon wegen Hund Simba, ihrem Labrador-Australian Shepherd-Mischling. „Sport ist eine meiner Leidenschaften.“ Die größte aber bleibt wohl ihre Expedition in der Medienwelt.
Foto: Alexander von Spreti