Winter kommentiert ÖRR-Reform: „Masochistischer Prozess in Dauerschleife“

Ende September haben die Bundes­länder ihren Entwurf für einen Reform­staats­vertrag für ARD; ZDF und Deutschlandradio  – mit etlichen Ein­schnitten für die einzelnen Sender. Demnach soll die Zahl der Kanäle deutlich sinken. Neben Das Erste, dem ZDF und den Dritten soll es nur noch vier weitere statt bisher zehn Sparten­kanäle geben. Genau so ein Szenario sagte Medienexperte Wolfram Winter schon vor etlichen Jahren in enigen Beiträgen voraus. Ob es genau so kommt wird sich noch zeigen. Aber wo stehen die öffentlich-rechtlichen Sender gerade bei ihrem Reformprozess? Das beschreibt Winter in seinem neuen Kommentar – exklusiv für Clap:

„’Die Rente ist sicher‘ – man erinnert sich an den Satz von Norbert Blüm, den er 1986 in Deutschland in Wahlkampfmanier nutzte. Schon damals war man sich nicht so sicher, daß die Alterspyramide in ihrer Entwicklung hin zu „immer mehr Alte müssen von immer weniger Jungen rententechnisch finanziert werden“ wirklich so sicherer Renten bedeuten würden. Heute ist es Realität geworden daß die Renten weder hoch genug noch sicher sind, nur fängt der Staat erst jetzt an Erkenntnis in Handlung zu übersetzen.

Dass die Renten im Öffentlich-Rechtlichen System nicht nur sicher, sondern zu hoch ausgefallen waren, darüber bestand schon in den 90iger Jahren Klarheit, nur konnte man an Bestandsverträgen nichts mehr ändern. Somit waren die goldenen Rentenzeiten ab dem Jahre 1994 nur noch silbern, und heute sind sie vergleichsweise vielleicht Bronze aber immer noch besser als für die des gemeinen Beitragszahler.

Und damit ist man mittendrin im Dilemma der heutigen Debatten ob der Zukunft des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Es geht an keiner Stelle darum, worum es eigentlich geht – nämlich Geld. Lediglich ein Intendant hatte es in seiner ‚Hamburger Rede‘ einmal deutlich ausgesprochen – seinem Eindruck entsprach es, dass der Beitragszahler heute und morgen nicht mehr bereit ist, eine Steigerung des Beitrages zu akzeptieren.

Angesichts des gefühlt übervollen Angebotes an Programmen von ÖR und Privaten – und dazu gehören jenseits der Definitionen des Rundfunkstaatsvertrages auch YouTube, Instagram, Netflix, Tiktok, Amazon, X, Microsoft und und und – ist die Einsicht, zehn Milliarden Euro seien nicht genug, maximal minderheitsfähig vorhanden.

Doch die laufenden Konflikte drehen sich weniger darum, wie man tatsächlich Kürzungen vornimmt. Vielmehr ist eine mögliche Zusammenlegung von 3Sat und Arte gefühlt demokratiegefährdend geworden, alle Reformideen sind hauruckartig und ohne Einbindung der Betroffenen formuliert worden, oder würden möglicherweise kurzfristig gar keine Einsparungen bedeuten.

Nebenbei laufen permanent Streiks, und bei den laufenden Tarifverhandlungen streitet man sich logischerweise um Erhöhungen von Gehältern, nicht um Reduzierungen. Nur die Intendantengehälter laufen in die vermeintlich richtige Richtung, nach unten und nicht mehr nach oben. So kommt natürlich keine Reform auf die Beine.

Die Vorschläge des Zukunftsrates sind in einer Schublade gelandet, und wie man es in der Schweiz geschafft hatte, die Beiträge signifikant zu senken ohne demokratiegefährdend Programme abzuschaffen, interessiert offensichtlich nicht im laufenden Prozess. Die Anstalten winden sich wie die Aale vor Reformen, stattdessen leiden sie seit Jahren an Einsparungen und tun sich unendlich schwer etwas auf den Weg zu bringen was tatsächlich absolut gedacht weniger an Beiträgen bedeuten würde als eine kontinuierliche Erhöhung.

So wird ein nahezu masochistisch angelegter Prozess in die Dauerschleife gebracht – jede verhinderte Beitragserhöhung durch Landesparlamente wird vom Verfassungsgericht aufgehoben, und die mikroskopisch gefühlte Erhöhung des Beitrages als Konsequenz daraus wird durch Inflation und Preiserhöhungen aufgefressen respektive übertroffen. Und, die Rentenverpflichtungen der Anstalten steigen noch mindestens ein weiteres halbes Jahrzehnt weiter bevor dann um 2030 herum ein umgekehrter Prozess einsetzen wird.

Zugführer haben sich bisher nicht zu erkennen gegeben, die das Kind wirklich beim Namen nennen und danach handeln. Stattdessen verkündet Anstalt um Anstalt, wieviel Programm nicht mehr produziert werden kann, weil eben eingespart werden muss – natürlich an Programmgeldern weil die nicht festsitzen in der Budgetplanung, anders als beispielsweise die Rentenverpflichtungen.

Reform bedeutet, einen Finanzplan aufzusetzen, den weniger die KEF in Gutachten fabriziert, sondern die Anstalten und damit alle drei ‚Blöcke‘ – ARD, ZDF und Deutschlandfunk – gemeinsam. Wenn man tollkühn sein wollte, auch noch die Deutsche Welle, denn ob direkt durch Steuern oder durch Beiträge: für den Zahlenden macht das anders als für den Juristen keinen Unterschied.

Dem folgend erkennt man, wie viele Plattformen und Marken man finanzieren kann, und weniger wie viele lineare Programme es gibt. Das es in 2030 dann jede Menge gutes Programm öffentlich-rechtlicher Qualität geben wird, daran besteht bei niemanden Zweifel. Doch solange es keine Zugführer gibt, die sich dieser Aufgabe stellen, wird es weiterhin eine „painful exercise“ bleiben, die dem Begehren des Beitragszahlers nicht entsprechen wird.‘

Wolfram Winter ist Gründer der Agentur 3Winters und arbeitete viele Jahre in Managementpositionen bei großen Medienunternehmen. Er schreibt regelmäßig für unseren Online-Dienst über aktuelle Marktentwicklungen.

Foto: Nadine Rupp